Im März 2010 verbringt Hans Eichhorn, unterstützt durch ein Stipendium der Stadt Linz vier Wochen in Paris. Er arbeitet intensiv an seinem Projekt Pariser Bildpostpassagen, und schickt literarische Notate aus Paris ans StifterHaus in Linz. Florian Huber über den Autor Hans Eichhorn, dem aktuell eine Ausstellung im Stifterhaus gewidmet ist.
Mit „A-i“ oder „E-i“, fragt die Verkäuferin, bevor sie meine Angaben in den Computer tippt. Es ist die vierte Linzer Buchhandlung, in der ich vergeblich versuche, spontan eine Publikation des 1956 in Vöcklabruck geborenen und 2020 allzu früh verstorbenen Autors und Berufsfischers Hans Eichhorn zu erwerben. Umso erfreulicher ist, dass das Linzer StifterHaus dem Dichter, der über Jahrzehnte auch die oberösterreichische Literaturszene prägte, seine jüngste, von Gerhard Spring und Gerold Tagwerker gestaltete Ausstellung sowie eine von Claudia Lehner mit einem kenntnisreichen Vorwort versehene Publikation gewidmet hat. „Hans Eichhorn: Aus Paris“ versammelt über hundert, vom Autor aus Papierabfällen gefertigte und an die Leiterin des Literaturhauses Regina Pintar adressierte Postkarten im Format 20×30 cm, die nicht nur persönliche Erlebnisse und Lektüren anlässlich eines vierwöchigen Parisaufenthalts im Jahr 2010 rekapitulieren. Vielmehr gestatten die Bild-Text-Collagen auch Einblicke in ein Lebenswerk, das neben Lyrik auch Prosa, szenische Texten und zahlreiche bildkünstlerische Arbeiten umfasst. Die allen Unternehmungen Eichhorns zugrundeliegende Poetik skizziert bereits der Titel seiner ersten Buchpublikation, des Gedichtbands Das Zimmer als voller Bauch aus dem Jahr 1993. Der Überfülle der Gedanken und Geschehnisse begegnet der Dichter mit großem Formbewusstsein und dem genauen Blick auf das vermeintlich Naheliegende und Alltägliche seiner unmittelbaren Umgebung, „bis nichts mehr sich auf irgendetwas bezieht, der reinste Strich, die reinste Farbe und alles schon gehabt“, wie auf der Rückseite der 36. Postkarte aus Paris zu lesen steht. Die unhintergehbare Differenz zwischen den Dingen und ihrer Bezeichnung, zwischen Sagen und Zeigen, Erfahren und Beschreiben lässt diesen Anspruch freilich ins Utopische abgleiten, wie auch die erneute Lektüre von Eichhorns Prosa Der Ruf. Die Reise. Das Wasser aus dem Jahr 1996 hervorhebt: „Schon nach kurzer Zeit die Verkrampfung, daß die Begriffe sehr schnell das Gesehene zuschütten, weil bloß ein Sandkorn irgendwo oder ein Tropfen im Ozean, müßte also beginnen, wie besessen dagegen anzugehen, während mit jedem MEHR gleichzeitig das Ausgelöschtsein wächst. Vielleicht deshalb diese Gier nach Gegenständen, gestapelt, aufgebaut als zwingende Argumente, scheinbarer Realismus aus dem Ungenügen heraus, doch immer bloß vom Akt vergeblicher Erkenntnis zu berichten oder Hervorzerren der Begriffshülsen, daß sich, wie in ausgelegten Netzen, irgendeinmal darin Wirklichkeit verfangen möge, um ihrer auch habhaft zu werden.“
Der „Gier nach Gegenständen“ korrespondieren Eichhorns Pariser Notate, wie etwa die Illustration auf der Vorderseite der 36. Postkarte erkennen lässt. Zu sehen ist eine abstrakte Figur in Weiß, darunter und daneben Fragmente einer gedruckten Konzerteinladung, die dem Dichter als Malgrund diente. Die Übermalung bekräftigt, dass jedes Schreiben ein Fortschreiben fremder Gedanken und Erfahrungen ist, von denen die Literatur lediglich eine Ahnung zu vermitteln vermag: „Éluard, Apollinaire, Beckett, die Lektüre hat einen eigenen Parisraum herabgelesen, der jetzt angesichts verfallener Stein- und Betonhaufen auf den Friedhöfen nichts damit gemein hat, bloß das Traumgerippe scheppernd meint.“ (Postkarte 69).
Womöglich deshalb trägt die poetische Sehnsucht nach der Entgrenzung von Objekt und Subjekt, einer Einheit von Körper und Geist bei Eichhorn bisweilen mystische Züge: „[D]ie Place de la République als der Anhaltspunkt, schon einige Male umgangen und als sei das Umgehen bereits eine Einverleibung, ein Insistieren: ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ (Postkarte 38). In der Verbindung von Gehen und Schreiben, Lektüre und (Lebens-)Erfahrung rücken aber auch zwangsläufig Fragen nach der eigenen Sprechhaltung in den Fokus: „Und wenn ich mir dabei im und mit dem Schreiben über die Schultern schaue, so möchte ich die Sätze mit der Rückwärtstaste sofort wieder löschen.“ (Postkarte 94). In die Skepsis mischen sich wiederholt Überlegungen zur Reichweite des eigenen Tuns, wie auf Postkarte 58: „in der boulangerie an der Place de la République Baguettes gekauft. Wen, wo, was wird das interessieren, falle ich mir ins Wort und so steht aufgeschrieben, das Ins-Wort-Fallen, das Baguette-Kaufen, das Interessieren, und wieder ist Essenszeit.“
Dabei konfrontiert der Autor Eichhorn das Banale des Alltags mit den hohen Ansprüchen der modernen (Dicht-)Kunst, indem er den verschwenderischen Reichtum der Stadt in seiner Wahrnehmung mit Ironie versieht. Wohl nicht ganz zufällig erinnert Postkarte 115 an eine Bildidee von Marcel Duchamp: „Mona Lisa und ihr Lächeln auf einigen von da Vincis Frauengesichtern, so als hätten sie sich eben spiegelbildlich mit Schnurrbart gesehen.“ Die erdrückende Last der Pariser Kultur- und Literaturgeschichte macht letztlich einer Gelassenheit Platz, die sich unmittelbar auf die Betrachter*innen von Eichhorns Bildnotaten übertragen soll, wie Postkarte 49 verdeutlicht: „was, wenn die Karten nicht ankommen? Sie kommen an! Und wenn sie doch nicht ankommen? Dann kommen Sie doch nicht an.“
Ausstellung
Hans Eichhorn: Aus Paris
StifterHaus, noch bis 15. November
stifterhaus.at/programm/ausstellungen