Herbert Bayer (1900–1985) gilt als Inbegriff des modernen, universellen Künstlertyps. Mit der Schau Herbert & Joella Bayer rückt das Lentos sein Bayer-Archiv in den Mittelpunkt, das zu den größten Sammlungen dieses aus Oberösterreich stammenden Universalkünstlers in Europa zählt – und beleuchtet das gemeinsame Wirken mit seiner Frau Joella. Florian Huber gibt eine Vorschau auf die Ausstellung, die Ende September eröffnet.
1932 fertigt der 1900 in Haag am Hausruck und 1985 im kalifornischen Montecito verstorbene Herbert Bayer ein Selbstporträt, das heute zu den Ikonen der Fotogeschichte zählt. „Der Künstler reflektiert ganz selbstverständlich sowohl das Sichtbare als auch das Unsichtbare, er ist der Spiegel, in dem man sieht, was ohne ihn unsichtbar bliebe. Er dient als ein Medium, das mit großer Sensibilität eine Umwelt wahrnimmt und durch sein Talent Gesehenes und Erlebtes auszudrücken und zu übermitteln vermag“, bemerkt Bayer 1967. Das zerstückelte Porträt des Künstlers als junger Mann verkörpert exemplarisch den mit der Moderne verbundenen Orientierungsverlust und seine Herausforderungen für den künstlerischen Schaffensprozess: „Das Mosaik unserer Bildaussagen setzt sich heute aus vielen fragmentarischen Behauptungen von großer Vielfalt und Gegensätzlichkeit zusammen. Eine umfassende Konzeption bei der Suche nach Wahrheit und Ordnung lässt sich in der Kunst insgesamt nicht feststellen, die Erprobung aller visuellen Möglichkeiten könnte aber zu einer neuen Synthese und damit zur Entwicklung sinnvoller bildnerischer Ausdrucksformen führen.“ Dementsprechend zeichnet sich Bayers Werk seit jeher durch eine enorme Diversität der künstlerischen Mittel aus, „denn der Antrieb des Künstlers liegt nicht in seinen früheren Leistungen, sondern im Gedanken des ,Werdens‘ und im schöpferischen Akt selbst.“
Von diesem Anspruch zeugt auch eine aktuelle Ausstellung im Lentos Kunstmuseum Linz, das mit über 200 Werken über eine der international bedeutendsten Bayer-Sammlungen verfügt. Dieser Umstand verdankt sich nicht zuletzt dem Engagement des früheren Museumsdirektors Peter Baum (*1939) und mehrerer Stiftungen Herbert Bayers und seiner zweiten Ehefrau Joella (1907–2004), die in der von Elisabeth Nowak-Thaller kuratierten Retrospektive bereits im Titel adressiert wird. Während die letzte, umfassende Bayer-Schau des Lentos (ahoi herbert!; 2009) sein Werk vor allem im Kontext einer Kultur- und Kunstgeschichte der Moderne verortete, verdeutlicht die aktuelle Präsentation die herausragende Bedeutung von Bayers familiärem Umfeld und seiner Liebesbeziehungen für das berufliches Fortkommen und seinen Nachruhm. Joella Bayer erschloss dem Universalkünstler durch ihre vorangegangene Ehe mit dem prominenten, amerikanischen Galeristen und Kunsthändler Julien Levy (1906–1981) ein neues, auch zahlungskräftiges Publikum und wirkte zudem als Managerin, Promoterin und wichtige Beraterin des Künstlers. Darüber hinaus widmet sich die von Nicole Six und Paul Petritsch gestaltete Schau auch seiner ersten Ehe mit der Fotografin Irene Bayer-Hecht (1898–1991), die Bayer zu eigenen Arbeiten inspirierte und zugleich als Dokumentaristin seines umfängliches Oeuvres fungierte, sowie seiner Beziehung zum Weimarer Bauhaus in Gestalt seiner mehrere Jahre andauernden Liaison mit Ise Gropius (1897–1983).
Die Ausstellung zeigt dabei nicht nur Gemälde, Fotografien und Skulpturen aus allen Schaffensphasen Bayers, sondern führt anhand neuer Materialien auch seine Tätigkeit als Typograph, Designer, Architekt und Landschaftsgestalter vor Augen. Ein besonderer Schwerpunkt gilt dabei Bayers Pionierarbeiten auf dem Gebiet der Ausstellungsgestaltung sowie Werbe- und Gebrauchsgrafik, denen er ab 1925 als Leiter der Werkstatt für Druck und Reklame des Bauhaus Dessau und ab 1928 als künstlerischer Leiter der Werbeagentur Studio Dorland in Berlin nachging. Ab 1933 gestaltete Bayer auch mehrere Ausstellungen für das NS-Regime wie „Deutsches Volk – Deutsche Arbeit“ oder „Das Wunder des Lebens“, deren modernes Erscheinungsbild zentrale Inhalte nationalsozialistischer Ideologie wie Volksgemeinschaft, Rassenhygiene oder Antisemitismus vermitteln und popularisieren half. Trotzdem wurden 1937 mindestens zwei Werke Bayers für die Ausstellung „Entartete Kunst“ beschlagnahmt, was ihn gemeinsam mit dem so genannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 zur Ausreise in die USA bewog. Auch in der neuen Umgebung konnte Bayer seine bereits zum damaligen Zeitpunkt beachtliche Karriere als international gefragter Designer fortsetzen, was sich nicht zuletzt den Bemühungen von Joella verdankte. Angesichts der vorangegangenen Kollaboration mit dem NS-Regime irritieren besonders offizielle Aufträge für Ausstellungen für das US Office of War in den Jahren 1942 und 1943 oder der Umstand, dass Bayers sein ästhetisches Programm offenbar weitgehend unabhängig von seinen jeweiligen Auftraggeber*innen oder politisch-ideologischen Erwägungen verfolgte, wie die neue Ausstellung durch die Gegenüberstellung der Arbeiten der Zwischenkriegszeit und der amerikanischen Jahre sichtbar werden lässt. Obwohl Bayer etwa mit seinen Architekturarbeiten im kalifornischen Aspen auch Prominenz als Landschaftsplaner und innovativer Gestalter des öffentlichen Raums erlangte, mangelte es ihm, der sich „in erster Linie als Maler“ verstanden wissen wollte, womöglich an kritischem Bewusstsein für die gesellschaftspolitische Dimension seiner künstlerischen Arbeit. Auch andere Arbeiten für den öffentlichen Raum, wie etwa der 1977 für das Forum Metall in Linz entstandene Brunnen vor dem Brucknerhaus stehen in merkwürdigem Gegensatz zu seiner weitgehenden Indifferenz gegenüber den revolutionären Ansprüchen und pädagogischen Visionen, die etwa seine engen Weggefährt*innen aus Bauhaus-Tagen wie Ise und Walter Gropius (1883–1969) oder Annie (1899–1994) und Josef Albers (1888–1976) in Theorie und Praxis verfolgten.
Nicht zuletzt in diesem Zusammenhang lohnt der genaue Blick auf Joella Bayer, den die Ausstellung ermöglicht. Schließlich war ihre Mutter Mina Loy (1882–1966) nicht nur eine von Gertrude Stein (1874–1946) oder T. S. Eliot (1888–1965) geschätzte Dichterin, die mit ihrem 1914 entstandenen und zu Lebzeiten unveröffentlichten Feminist Manifesto einen Schlüsseltext der Frauenbewegung hinterließ. Welchen konkreten Einfluss die als Künstlerin und Intellektuelle mit dem italienischen Futurismus und dem französischen Surrealismus eng verbundene ausübte, zählt zu den möglichen Fragestellungen künftiger Bayer-Forschung, die das Lentos nicht nur mit der aktuellen Retrospektive anregt. Anlässlich der Ausstellung wurde der Bayer-Bestand des Museums digital erschlossen und steht nun auch auf der Website allen Interessierten zu Recherchezwecken zur Verfügung. Darüber hinaus bietet eine internationale besetzte, wissenschaftliche Konferenz im Oktober auch Anlass zur Diskussion neuer Forschungsansätze, was den mit Bayers Kunst verbundenen Akteur*innen und Werken hoffentlich auch in Oberösterreich zu nachhaltiger Sichtbarkeit verhelfen wird.
Lentos Kunstmuseum
Herbert & Joella Bayer
Eröffnung: Do, 29. Sept, 19 h
Von 30. Sept 2022 bis 8. Jänner 2023
Bayer-Symposium:
Freitag, 07. Okt, 10:00–13:00 h
Mit Vorträgen u. a. von Gwen Chanzit, James Merle Thomas, Lynda Resnick, Patrick Rössler, Nicole Six und Paul Petritsch, Bernhard Widder, Irene Wögerer.
www.lentos.at
Zur Ausstellung 2009 ist ein Katalog erschienen:
ahoi herbert! – bayer und die moderne
Lentos Kunstmuseum Linz
ISBN: 978-3-900000-06-6
Verlag Bibliothek der Provinz