Der international tourende oberösterreichische Tänzer Simon Mayer ist mit seinem Performance-Solostück „SunBengSitting“ im Oktober in der BlackBox des Linzer Musiktheaters zu sehen. Gerlinde Roidinger hat das weitgereiste Stück bereits gesehen und Simon Mayer Fragen gestellt.
Du selbst wirst immer wieder als „Bauernbursch“ bezeichnet. Dein Stücktitel SunbengSitting klingt hingegen irgendwie chinesisch. Es klingt so, als ob sich die Heimat in die große weite Welt zurückmeldet. In welcher Welt empfiehlst du deiner Stückfigur nach ihrer Identität zu suchen?
In einer Welt, in der Menschen die Qualität des Beobachtens, des Immer-Wieder-Hinschauens und die Gabe der Reflexion beherrschen. Wo Vorurteile, voreiliges Werten und Urteilen der Vergangenheit angehören. Eine Welt mit Bäumen, viel Natur und einer Lichtung im Wald, wo eine kleine Sonnenbank steht, auf der man sich ausruhen kann und auf der man seinen inneren Frieden findet, bevor man sich wieder aufmacht um den Weg zu seinem Innersten zu finden – den Weg zur einzig wahren Heimat.
Du bist in deiner Arbeit durchgehend nackt. Sich mit Ritualen der Volkskultur auseinanderzusetzen und dabei radikal auf Elemente traditioneller Kleidung und Tracht zu verzichten, wirkt wie ein Ablegen von ungewollten Masken. Ein Appell zur Auflösung konservativ-männlicher Fassaden? Nacktheit scheint in zeitgenössischen Arbeiten zurzeit ein recht beliebtes Ausdrucksmittel zu sein. Was meinst du, was die Nacktheit als sehr präsente Darstellungsform generell momentan so attraktiv macht?
Der Akt der Befreiung. Die Befreiung vom eigenen Ballast, von Traumata, Klischees, Vorurteilen, von der Vergangenheit. Und von einer gewissen Schwere, die mit der Thematik mitschwingt, mit der ich mich auseinandersetze. Sich schälen. Ein Neuanfang. Ein Akt der Akzeptanz von Veränderung. Ich denke, die Rückkehr der Nacktheit auf die zeitgenössische Tanzbühne war einfach notwendig, da es nach wie vor viele Tabus und Ängste in der Gesellschaft gibt. Berührungsängste, die Angst nicht zu genügen, nicht schön genug zu sein, zu kleine Brüste oder einen zu kleinen Penis zu haben, nicht Mann bzw. Frau genug zu sein, den materiellen Werten und Schönheitswerten dieser Zeit nicht zu entsprechen. Das alles ist Teil dieser Wiederkehr der Nacktheit, denke ich. Eine Lederhose hätte in dem Stück keinen Platz gehabt, weil sie viel Vergangenheit und Geschichte hat. Ein nackter Körper zwar auch, aber dessen Geschichte ist viel individueller und bedarf einer genaueren Beobachtung des Publikums. Außerdem spiele ich mich im Stück mit männlichen und weiblichen Energien und mit rituellen Elementen. Da passt die Nacktheit für mich gut hinein. Es ist ein Weg um meinen Körper zu transformieren.
In SunBengSitting hast du viele symbolische, um nicht zu sagen liebevolle Momente verarbeitet. Dem Publikum zeigen sich im Verlauf der Performance immer wieder imaginäre Bilder, wie etwa an der Stelle, an der du das von der Decke hängende Mikrofon kreisend in Bewegung bringst und die Idee eines Reigen-Tanzes entsteht. Die Buntheit der zusammengesetzten Fragmente und deren humorvolle Aufbereitung im Stück erzeugen eine Art Entertainment. Welche Rolle spielen Humor und Leichtigkeit in deinen Arbeiten? Und welche Rolle Kritik?
Humor ist ein toller Weg um den Menschen schwierige Themen und Bilder näher zu bringen. Ich spreche hier nicht vom regulären Theater- bzw. Kollegenpublikum, sondern vom realen Publikum und Menschen, die vielleicht noch nicht so viel experimentelle Kunst gesehen haben. Nacktheit, Rituale und Volkstanz haben eine lange Vergangenheit und sind oft schwer „zu verdauen“. Viele Leute wollen keinen Volkstanz sehen, weil sie diesen sofort mit Nazi-Propaganda verbinden. Wenn man dem Volkstanz und der Musik ihre Leichtigkeit und ihren Humor zurückgibt und ihren rituellen bzw. heilsamen Charakter, sind diese Formen viel leichter zu akzeptieren und man kann sie aus einer neuen Perspektive sehen. Dasselbe gilt für die Nacktheit. Als Performer muss man über sich selber lachen können und es auch anderen erlauben über und mit einem zu lachen.
Als Tänzer bist du u. a. in Produktionen von Anne Teresa de Keersmaeker und Wim Vandekeybus erfolgreich getourt und ebenso warst bzw. bist du als Musiker mit deiner eigenen Band RisingHalfmoon oder auch Zita Swoon auf der Bühne. Im Bild des kreisenden Mikrofons ist auch eine Referenz an Popkultur und deine eigene Tätigkeit als Musiker zu erkennen. Wie mischen sich diese Kunstfelder zusammen? Ist Performance der Weg, um die vielen Identitäten, die man in sich trägt, zu vereinen?
Ja genau. Performance ist der Weg. Das Feld gibt mir die Freiheit, die ich brauche, um mich mit aller Vielfalt künstlerisch auszudrücken und die Themen, die ich bearbeiten und kommunizieren möchte, auch mit dem richtigen Werkzeug zu kommunizieren. Alles ist erlaubt und kaum etwas verboten – außer, man verbietet es sich selber.
Der zweite Teil von SunBengSitting, der ja ebenfalls schon tourt – Sons of Sissy, macht mit diesem Titel eine ziemlich eindeutige Referenz auf den „Sissy-Boy“, und damit in Richtung Homosexualität. Wer sind nun deine „Sons of Sissy“?
Manuel Wagner und Patric Redl sind ehemalige Mitschüler aus der Staatsopernballettschule und haben sich danach auch auf den Performance- und Musikweg begeben. Matteo Haitzmann ist Geiger (Volksmusik und Jazz), hat Schuhplattel-Wettbewerbe getanzt und ist mittlerweile auch ein toller Performer. Eine super Gruppe, weil alle sowohl Instrumente spielen als auch tanzen. Wir setzen uns im Stück erneut mit Vorurteilen auseinander, dieses Mal vor allem in Bezug auf Männlichkeit: Was muss man tun um Mann zu sein? Wir tanzen Paartänze gemeinsam. Nackt. Volkstänze, bei denen es in einem traditionellen Verein undenkbar wäre, dass zwei Männer miteinander tanzen. Und von eben diesem Konservatismus wollen wir das Thema befreien. Nur einer von uns ist homosexuell, daher war es für den Großteil das erste Mal, nackt mit einem Mann zu tanzen und sich so nahe zu kommen. Eine tolle Erfahrung. Und man muss gar keine Angst haben. (lacht)
Und warum ist dieses Stück eigentlich nicht auch in Linz zu sehen?
Naja, Linz ist so eine Sache. Da ging lange nix. Jahrelang konnte ich meine Stücke nicht in Linz spielen, weil entweder Veranstalter nicht interessiert waren, kein Vertrauen hatten oder auf Nummer sicher gehen wollten, es auch vielleicht zu wenige Spielorte für zeitgenössischen Tanz gibt. Und weil sich manche Veranstalter oft nicht drüber trauen mal etwas zu riskieren und jungen Künstlern eine Chance zu geben, denk ich. Es ist teilweise auch verständlich, wenn man immer gewisse Zahlen liefern muss. Teils ist es aber auch ein richtiger „Killer“ für die Vielfalt der Kunstszene, wenn man als Veranstalter kein Risiko eingeht, versucht den Menschen hinter dem Künstler kennen zu lernen und eine Portion Vertrauen mitbringt. Es freut mich aber umso mehr, dass ich jetzt endlich mit SunBengSitting in Linz spiele.
Seit mehreren Jahren veranstaltest du ja in deiner Heimatgemeinde Andorf das Spielfestival. Kommen auch Menschen von dort, um sich deine Show in der BlackBox des Linzer Musiktheaters anzusehen?
Ja, ich bin sicher, dass Leute aus Andorf nach Linz kommen. Seit der Premiere vor zwei Jahren fragen mich Leute aus und um Andorf, sowie auch die Vereine, bei denen ich Recherche betrieben habe, wann ich endlich einmal in der Umgebung spiele. Daher glaube ich, dass da schon der eine oder andere Bus mit Innviertlern zu erwarten ist. Das ist auch wichtig, denn das ländliche Publikum liegt mir total am Herzen.
SunBengSitting: Sonntag, 18. Oktober 2015, 20.30 h–21.40 h, Musiktheater Linz/BlackBox; Tickets: Landestheater Linz
www.landestheater-linz.at
Weitere Infos: simon-mayer.tumblr.com
SonsofSissy: vimeo.com/121471341