Die Referentin #39 - Aktuelle Beiträge

Männlichkeiten angehen

Austauschcafé Männlichkeiten | Kunst und Kultur, 5. März 2025
Die Referentin #39

Wann ein Mann ein Mann ist, beantwortet das Austauschcafé Männlichkeiten für sich recht einfach: wenn er bei Vorstellrunden bei der Frage nach dem bevorzugten Pronomen „er/ihm“ sagt. Bei dieser Frage geht es also um Selbstidentifikation und nicht um Biologie oder was wer zwischen den Beinen hat. Ein vom Austauschcafé kollektiv verfasster Text darüber, „warum uns Männlichkeiten angehen sollten – und wie wir sie angehen wollen“.


Foto Austauschcafé

Um eine Identitätssuche geht es uns in der Auseinandersetzung mit Männlichkeiten nicht. Wir beschäftigen uns mit Männlichkeiten nicht deshalb, weil uns eine Identifikation mit dem Männlichen so wichtig wäre, oder weil wir aus unserer Verunsicherung und Orientierungslosigkeit neue Konzepte von Männlichkeit erarbeiten wollen. Am liebsten würden wir die „Männlichkeit“ in einem Wisch mit der Zweigeschlechtlichkeit und der Heteronormativität in die Tonne werfen. Und doch kommen wir nicht um die Tatsache herum, dass in dieser Gesellschaft aufgewachsen zu sein und männlich gelesen zu werden bedeutet, Sexismen und Anspruchsdenken inhaliert zu haben. Geschlecht einfach nicht sehen zu wollen und so zu tun, als seien wir schon alle gleich, birgt die Gefahr, die eigene (privilegierte) Position im Geschlechterverhältnis zu übersehen und sich der daraus resultierenden Verantwortung zu entziehen. Dass wir uns dieser Verantwortung stellen wollen, ist ein Grund für unsere Auseinandersetzung mit Männlichkeiten. Aus unserer Sicht geht es aber nicht nur darum, eigene Prägungen zu hinterfragen, sondern auch um die aktive Beteiligung an einer längst überfälligen gesellschaftspolitischen Aufgabe: Denn während FLINTA* schon lange für eine lebbarere und gerechtere Welt kämpfen, stehen die meisten Männer* immer noch in ihrem antrainierten Stoizismus herum und tun so, als hätte all das nichts mit ihnen zu tun. Das Ergebnis ist oft ein (subtil) verletzter Stolz, der der Gewalt, dem antifeministischen Backlash und letztlich dem Faschismus in die Hände spielt. So kann es (schon seit langem) nicht weitergehen. 

Vor diesem Hintergrund und im Anschluss an einen vom Verein F.I.S.T. organisierten Workshop zum Thema „kritische Männlichkeiten“ entstand 2023 die Idee eines Austauschcafés. Ziel war es, einen Raum schaffen, in dem die im Workshop begonnene Arbeit weitergeführt werden konnte. Die Initiative wurde im F.I.S.T.-Newsletter beworben und im November 2023 fand der erste Termin statt. Seither trifft sich die Gruppe ungefähr jede zweite Woche an wechselnden Orten in Linz und Umgebung. Die Gruppe ist für alle Geschlechter offen, aber bisher nahmen fast ausschließlich Menschen teil, die sich als Mann* identifizieren (auch in Bezug auf andere Faktoren wie race, Klasse, Staatsangehörigkeit oder Be_Hinderung genießen viele von uns Privilegien). Aus eher unstrukturierten Treffen zu Beginn, bei denen wir häufig Grundlagentexte zu bestimmten Aspekten als Impulse und Diskussionsstarter nutzten, entwickelten wir im Laufe der Zeit einen klareren Ablauf für unsere Treffen. Bald hatten wir auch eine minimale, sichere, online Infrastruktur adoptiert: eine Chat-Gruppe und eine Cloud, um Dokumente austauschen zu können. Wenn die Ressourcen dafür vorhanden sind, wird ein Thema von einzelnen Mitgliedern der Gruppe vorbereitet, ansonsten gibt es eine Themensammlung, auf die wir in den Treffen zurückgreifen können. Dennoch gibt es Raum für akute Themen oder Probleme, die uns beschäftigen – diese bekommen immer Priorität. Wir wechseln uns bei der Moderation der Treffen ab und sprechen immer wieder auch im Kreis, um den leiseren Stimmen ausreichend Raum zu geben. Diese Strukturen definieren einen Ablauf für unsere Treffen, der uns hilft, uns auf das Inhaltliche zu konzentrieren.

Einer unserer Startpunkte war die Auseinandersetzung mit der sogenannten „kritischen Männlichkeit“. Dabei geht es nicht darum, eine neue, unproblematische Identität für Männer* zu schaffen, sondern sich zuerst einmal bewusst zu machen, dass wir als männlich geprägte Menschen toxische Muster gelernt haben. Es wichtig, diese zu erkennen und zu benennen – und im besten Fall zu verlernen. Es geht um Verantwortungsübernahme in einem sexistischen System, das viele von uns mit Privilegien ausgestattet hat. 
Doch wir sind uns ebenso bewusst, dass das Patriarchat nicht einfach nur Positives für Männer* bedeutet, sondern als institutionelles System Anforderungen bereithält, die auch ihnen Schaden zufügen – manchen allerdings deutlich mehr als anderen. Das Patriarchat verlangt von Männern* eine Entfremdung von sich selbst, eine emotionale Distanz zu sich und den Menschen im Umfeld. Es gilt dabei, die zugewiesene Rolle zu spielen, den Normen zu entsprechen, zu performen – nicht zuletzt um die Anerkennung von anderen Männern* zu gewinnen, denn die Absicherung des Patriarchats ist ein kollektiver Prozess. Die Anforderungen und der Druck, der dabei entsteht, münden oft in gewaltvolles, destruktives und verletzendes Verhalten, sich selbst und anderen gegenüber. Ziel unserer Gruppe ist es, diese Muster aufzubrechen. 

Deshalb hat, getreu nach dem Motto der zweiten Frauenbewegung „das Private ist politisch“, die Arbeit bei uns selbst begonnen. Dabei konnten wir in unserem großteils homosozialen Raum ein neues, empathisches Miteinander schaffen. Dadurch gibt es eine gute Gesprächsbasis, in der auch Dominanzen benannt werden können. In unseren gemeinsamen Auseinandersetzungen mit Themen wie Konsens, Freundschaft oder „Caring Masculinities“ wurden Prozesse sowohl in uns selbst, als auch im Umgang miteinander angestoßen. Die Beschäftigung mit der Geschichte von Gruppen zu kritischen Männlichkeiten und der Kritik daran hat uns aber auch für die Gefahr sensibilisiert, eine reine Labergruppe zu werden und nur um uns selbst zu kreisen. Zielloses Reden, nur um uns ein gutes Gefühl zu verschaffen, bringt uns nicht weiter. Auch sind wir uns bewusst, dass unsere patriarchalen Privilegien es uns ermöglichen würden – im Gegensatz zu den von Sexismus und Queerfeindlichkeit Betroffenen – uns einfach zurückzulehnen und unsere Arbeit zu pausieren. Aber wir glauben, eine Praxis etabliert zu haben, die von Zuverlässigkeit, gegenseitiger Umsichtigkeit und gegenseitiger Herausforderung gekennzeichnet ist.

Ein wichtiges Themengebiet in der Auseinandersetzung um Männlichkeiten ist die Frage nach der Gewalt. Jede dritte Frau* in Österreich hat körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt, aber wo sind die Täter? In unserer Gesellschaft gibt es nur wenig Diskussion um Täterschaft. Es gilt, sich klar zu machen, dass die Männer*, die diese Gewalt ausüben, irgendwo sein müssen – und dass es sie auch im eigenen Umfeld geben muss. Somit müssen wir uns auch die Frage stellen, wie es mit Täterschaft und Komplizenschaft in unserer Gruppe aussieht. Diese Auseinandersetzung ist nicht leicht, da sie neben Scham und Angst auch die Gefahr birgt, das Thema nur anzuschneiden und dann im eigenen Gefühls­chaos hängen zu bleiben, anstatt Verantwortung für eigene Taten zu übernehmen. 

Doch neben dem „Patriarchat in uns“ gibt es auch unser patriarchales Umfeld sowie die Gesellschaft als Ganzes, in die wir hineinwirken wollen. Dem Anspruch, unsere Reflexionen in eine transformierende Praxis umzusetzen und über das Private hinaus politisch wirksam zu werden, konnten wir bisher aber erst in Ansätzen gerecht werden. Obwohl die Frage, wie wir als selbstorganisierte Gruppe zum Thema Männlichkeiten eine anti-patriarchale Praxis entwickeln können, uns von Anfang an beschäftigt, haben wir auch nach einem Jahr noch viele Fragen und wenig Antworten.

Die Arbeit an den eigenen Privilegien ist nicht einfach und ohne Fehler vielleicht unmöglich, aber sie ist unumgänglich. Uns geht es nicht darum, alles immer richtig machen zu wollen, perfekt zu sein oder am Ende eine „gesunde Männlichkeit“ zu beanspruchen; was auch immer das sein soll. Die Auseinandersetzung ist ein Weg, und es geht uns darum, (fragend) voranzugehen, im Dialog mit andern eine eigene Handlungsperspektive zu entwickeln und, im Privaten wie Politischen, mitanzupacken auf dem Weg zu einer gerechteren, lebbareren Welt für alle.

 

Der Text wurde im Kollektiv vom Austauschcafé Männlichkeiten verfasst.

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