Touch Ästhetisierung
Die Referentin #39
Was denkt eigentlich die Natur zum Thema Klimawandel? Kaum ist die Eingangsfrage meines Artikels formuliert, läuft meine Katze über die Tastatur und schreibt: errrrrrrrrfcccccccccccc. Der provokativ gedachte Auftakt ist vermasselt. Andererseits ist es toll, wenn die Katze beim Thema Natur mitschreibt – meint Georg Wilbertz, der sich die Ausstellung Touch Nature im Kunstmuseum Lentos angesehen hat.
Elmar Bertsch, Alpenüberquerung mit dem EUTER von Barbara Anna Husar, 2020. Bild Bildrecht, Wien, 2024
Nach der Anfangsfrage sollte es sinngemäß weitergehen mit: „Würde sich die Natur eine Eintrittskarte für die Ausstellung Touch Nature kaufen, um sich selbst besser kennenzulernen, zu sehen, wie es um sie steht und zu erfahren, welch faszinierende ästhetische Konzepte der Mensch für sie bereithält?“ Wahrscheinlich eher nicht. Obwohl letzteres in der Lentos-Ausstellung vielgestaltig und kreativ beantwortet wird. Allerdings strebt die Natur nicht nach Erkenntnis, sondern danach, zu existieren und zu überleben.
Labyrinth der Erkenntnis
Um es gleich vorweg zu sagen: Die Eintrittskarte lohnt sich, auch wenn man der Natur, die man so gerne berühren möchte oder soll (Touch!) im Lentos nicht begegnet. Stattdessen bewegt man sich durch ein hellweißes, von der Decke abgehängtes Raumlabyrinth mit Kojen, Gängen, Hallen und Rundtempeln, das die räumliche Vielfalt und Überraschungspotentiale eines englischen Landschaftsgartens des 18. Jahrhunderts zu paraphrasieren scheint. Die Ausstellung atmet eine gewisse Weite, den einzelnen Arbeiten wird viel Raum und damit Bedeutung gegeben. Ähnlich dem Landschaftsgarten der Aufklärung kann man sich im Lentos beidem hingeben: dem neugierigen Lustwandeln, das die emotional erwartungsvollen Sinne befriedigt und der durch Überraschung und Beobachtung beförderten kritischen Erkenntnis. Dass man es mit immerhin rund 100 Arbeiten und Positionen zu tun hat, drängt sich glücklicherweise nicht auf.
Das Verhältnis des Menschen zu dem, was er (und nur er) als Natur betitelt, ist äußerst kompliziert und vielschichtig. Und trotz des schmissigen „Machet euch die Erde untertan!“ (der alberne Godfather DEAL aus Florida übersetzt dies mit „Drill baby, drill!“) fremdeln wir mit der Natur und fürchten uns vor ihr. Wie existenziell wir verwoben sind, dringt nur selten in unser Bewusstsein. Der Mensch sucht deshalb bis heute nach Annäherungsmöglichkeiten, um sein ängstliches Fremdeln abzuschwächen. Dabei haben sich im Laufe der Geschichte drei große Wege der Erkenntnissuche aufgetan. An Nummer eins stehen Religion und Metaphysik. Sie wurden teilweise abgelöst oder überlagert durch die – modern zu denkenden – Naturwissenschaften. Den dritten Weg beschreiten jene Ästhetisierungsprozesse, die, in steter Wechselwirkung mit den beiden erstgenannten, versuchen, ein kreatives, gültiges, künstlerisch handhabbares Bild der Natur zu liefern. Die Ästhetik als interpretierende, zuweilen nachschöpfende Naturerkenntnis ist so alt wie die Menschheit selbst. Und natürlich war dieser Prozess vielen – teilweise revolutionären – Wandlungen unterworfen. All dies findet sich in der Lentos-Ausstellung und entfaltet dort im artifiziellen Habitat eines Kunstmuseums seine Wirkung.
Claire Morgan, The inevitable heat death of the universe, 2023. Bild Claire Morgan, Courtesy of Galerie Karsten Greve Köln Paris St. Moritz. Foto Galerie Karsten Greve
Mimesis und Offenheit
Zu den ursprünglichsten ästhetischen Praktiken gehört der Wunsch, sich die Phänomene und Emanationen des Natürlichen durch Mimesis anzueignen. Mit Einschränkungen lässt sich durchaus behaupten, dass die Fähigkeit zur und die Virtuosität der Nachahmung eines der wesentlichen Kriterien zur Bemessung künstlerischer Qualität war. Abbildung ist jedoch nicht alles. Kunst macht die Natur zur Trägerin von Inhalt, Bedeutung, Symbolik etc. Sie wird – auch im Angesicht der Katastrophe – zur Stellvertreterin menschlicher Befindlichkeiten. Ging es im 18. Jahrhundert um die Erfahrung des Sublimen (Edmund Burkes unser Naturverständnis bis heute maßgeblich prägende Wirkungsästhetik des „schönen Schauders“) und in der Romantik um eine transzendente, zwischen realer und metaphysischer Sphäre vermittelnde Welt- und Naturerfahrung, so änderten sich die Verhältnisse mit der Industrialisierung radikal. Ab der Zeit um 1800 macht der Mensch erstmals die Erfahrung, dass durch sein Handeln Natur, Landschaft, Flora und Fauna nicht nur ihre ideale Anschauung verlieren – man denke an die arkadische Landschaft des Klassizismus oder die übermächtigen Naturbilder der Romantik und Nachromantik. Natur wird als gefährdet wahrgenommen, es drohen Verluste. Die metaphysische Kollaboration von Mensch und Schöpfung verliert ihre Basis. Soviel Gefährdung musste sich auf die tradierte Naturwahrnehmung und die Modi der Naturdarstellung auswirken. Die Moderne vertritt nicht länger das Ideal der mimetisch versierten Naturdarstellung. Beginnend mit dem Impressionismus löst sich das Bild der Natur vom tatsächlich Vorgefundenen und wird Ausgangspunkt neuer ästhetischer Verfahren. Der Kunstbegriff und damit auch die Naturästhetik öffnen sich für neue Konzepte und Formen der Darstellung. Eine Ausstellung wie Touch Nature repräsentiert durch ihre verschiedenen künstlerischen und medialen Herangehensweisen eben diesen offenen Begriff einer heute aktuellen Naturästhetik.
Verlustoptimismus
Und wie schon im 19. Jahrhundert geht es, ausgehend vom drohenden Untergangszenario der Klimakatastrophe, um die Thematisierung des Verlusts. Arten gehen verloren, Naturräume (ganze Ozeane) verkommen zu wachsenden Müllhalden, Wälder brennen ab und Wüsten dehnen sich aus. Die Bilder von in Flammen stehenden Villenvororten erinnern an die dramatischen Ölgemälde von Naturkatastrophen, wie sie das 19. Jahrhundert geschätzt hat. Für all dies hat die Natur kein wirkliches Bewusstsein. Sie schlägt auch nicht strafend zurück oder rächt sich. Die Prozesse laufen entsprechend ihrer physikalischen, chemischen, meteorologischen Gesetzmäßigkeiten ab. Als beginnend mit den Umweltschutzbewegungen der frühen 1970er Jahre eine neue Naturästhetik diskutiert und erprobt wird, wird sehr schnell klar, dass es mal wieder der Mensch ist, der sich in den Mittelpunkt des ästhetisch aufgeladenen Krisenerlebens stellt. Auch dies zeigt die Ausstellung im Lentos geradezu überdeutlich. Wie eine von der Natur selbst kuratierte Ausstellung zum Thema „Ich gehe gerade zugrunde“ aussehen würde, lässt sich nicht mutmaßen. Bereits 1987 stellt der Philosoph Gernot Böhme in seinem Vortrag „Naturästhetik – eine Perspektive?“ fest: „Die gegenwärtige Aktualität der Naturästhetik verdankt sich […] dem Leiden an der Natur, insofern nämlich der Mensch beginnt, das, was er der Natur antat, am eigenen Leibe zu spüren; das ist der Kern des sogenannten Umweltproblems.“ Am Ende kommt Böhme zu dem vor rund 40 Jahren noch möglichen, denkbar optimistischen Schluss, dass eine neue, sensible, offene Naturästhetik tatsächlich dazu beitragen könne, das Schlimmste abzuwenden: „Die Hoffnungen, die heute auf die Naturästhetik gerichtet sind, gehen deshalb weit darüber hinaus, dass sie ihren gehörigen Beitrag zum Gegenwartsdiskurs leistet. In ihr selbst muss sich die notwendige Veränderung der Beziehung des Menschen zur Natur vollziehen.“ Mit Touch Nature appelliert das Lentos auf geradezu rührend-traditionelle Weise genau in diese Richtung. Folgerichtig verwundert es nicht, dass die mit Abstand meisten Künstler:innen der Ausstellung zwischen 1960 und 1985 geboren sind.
Eva Yurková, Sukkulenten, 2020. Bild Courtesy Galerie Ernst Hilger, Wien
Katastrophentrost
Um es klar zu sagen: Ausstellungen und Positionsbestimmungen wie jene, die gerade – sorgfältig und verantwortungsvoll kuratiert – im Lentos präsentiert werden, sind integraler, anregender Teil des (überlebens-) wichtigsten Diskurses der Gegenwart. Aber zu bedenken gilt, dass Ästhetisierungsprozesse und -methoden immer dialektische Effekte produzieren. Einerseits schaffen sie Nähe, Verständnis und fördern (oft als Impuls) das Bewusstsein für Phänomene und Zusammenhänge, die anders kaum erfahrbar wären. Andererseits stellt jede Form der Ästhetisierung durch ihre Eingebundenheit in Geschichte und Erfahrung angesichts dessen, was da draußen geschieht, eine Verharmlosung dar. Sie tröstet, kalmiert oder lässt uns – vergleichbar der Wirkungsästhetik eines Edmund Burke – herzlich schaudern. Wir wohnen aus der sicheren Distanz des ästhetisch sublimierten Blicks dem eigenen Untergang1 bei.
Postskriptum
Nach dem Rundgang durch Touch Nature sollte man sich einen kleinen Ausflug in den ersten Raum der Lentos-Dauerausstellung gönnen. Hier hängt rechts hinten das Bild Uttewalder Grund (ein bis heute wildromantischer, enger Felseinschnitt in der sächsischen Schweiz). Es wurde um 1825 vom deutschen Romantiker Caspar David Friedrich (1774–1840) gemalt. Ein kleiner Mann mit Hut steht in mondbeschienener Dunkelheit und schaut ruhig und besinnlich auf die Enge der felsigen Schlucht und in die Weite des Alls. Er ist auf den ersten Blick kaum zu sehen. Friedrich umzeichnete seine Kontur mit einer zartlichternen Aura, sonst wäre er eins mit der Landschaft und unsichtbar. Als unser Stellvertreter staunt das Männlein ergriffen ob der Unfassbarkeit der sich vor ihm ausbreitenden Natur. Begreifen kann er das alles nicht. 200 Jahre später sind wir – gefühlt – nicht wirklich viel weiter.
1 Die merkwürdige Berufsgruppe der Tech-Milliardäre baut sich gerade private Apokalypse-Bunker, auf deren Wänden KI-produzierte Naturimpressionen gezeigt werden können. Es gibt eindrucksvolle Websites, die diese Anlagen bewerben.
Touch Nature
Die multimediale Ausstellung Touch Nature präsentiert internationale Kunstschaffende, die sich in ihren Arbeiten mit den Auswirkungen des Anthropozäns beschäftigen. Dabei wird deutlich, dass die rund 120 Künstler:innen nicht nur Missstände dokumentieren und Widerstand formulieren, sondern auch Utopien entwerfen.
Lentos Kunstmuseum
Noch bis 18. Mai 2025
www.lentos.at
Redaktionell geführte Veranstaltungstipps der Referentin