In den Galerieräumen des Forum Wels war im Frühjahr die Ausstellung Vor und Zurück zu sehen. Mit der zugrundeliegenden Thematik der Erinnerung wurden Objekte, Bilder und Installationen von Bibiana Weber, Edith Stauber und Alenka Maly gezeigt. Über Erinnerung, die Verbindung des Privaten mit dem Politischen, über persönliche Kunstbeziehungen sowie „das Gefühl einer geringeren Einsamkeit“ haben die drei Künstlerinnen mit Tanja Brandmayr gesprochen.
Die Einladung zur Ausstellung in die Welser Galerie Forum kam über Bibiana Weber. Edith Stauber hatte bereits Bilder mit dem Titel Vor und Zurück. Und während des langen, fallweise gemeinsam zurückgelegten Lebensweges sind bereits einige andere Arbeiten entstanden, die „in Räumen vor und zurückgehen“, wie Alenka Maly ergänzt (etwa 2009 mit Malys Ausstellung zur Arbeitersiedlung Hammerweg). Die drei Künstlerinnen teilen die gegenseitige Wertschätzung für ihre Arbeiten, sie haben zudem, was das Kunstverständnis betrifft, „gemeinsamen Vergangenheitsduft eingeatmet“. Sprich: Die künstlerischen Arbeiten und Wahrnehmungsebenen werden gegenseitig verstanden, auch wenn sie sich – wie wir später sehen werden – doch auch wesentlich im Zugang voneinander unterscheiden. Und wie zu erwarten war, ging es bei der Ausstellung, also mit dem Vor- und Zurückgehen in der Zeit weniger um Nostalgie. Wenngleich es auf Nachfragen scheint, dass der Begriff der Wehmut nicht ganz von der Hand zu weisen ist, allerdings stärker im politischen Kontext des Verlustes einer Zeit, in der Solidarität, Häuser besetzen oder ein radikaler Feminismus möglich war und trotz des Kampfes doch irgendwie zum guten Grundton einer Gesellschaft gehörte. Alenka Maly: „Ich habe keine Antwort, was Wehmut betrifft. Die 70er waren dahingehend eine goldene Zeit, vorher war Armut, dann war Protest und Solidarität möglich, jetzt ändert sich alles rasend“. Also weniger persönliches Sentiment als ein Blick über verlustig gegangene gesellschaftliche Errungenschaften. Und damit gehen wir wieder zurück in den „Duft“ der frühen Jahre: Alenka Maly und Bibiana Weber, beide mit ähnlicher sozialer Herkunft, ausgebrochen aus der Arbeiterschicht, haben etwa in einem Schritt der emanzipatorischen Selbstermächtigung Kunst studiert. Und auf die generelle Frage, wie sich denn die Erinnerung, das Private und das Politische in den Arbeiten treffen, merkt Maly an, dass sie in einer Familie aufgewachsen sei, wo immer politisch gedacht wurde, demnach sei auch das Private politisch gewesen. In die folgende kurze Diskussion über die Durchdringung des Privaten und Politischen, über Bibiana Webers künstlerische Transformation des Persönlichen in eine allgemeinere Gültigkeit, über einige Details in den Arbeiten der drei Künstlerinnen, kommen wir zu Edith Staubers für mich zumindest im Moment überraschenden Aussage, dass sie ihre Arbeiten als „rein privat“ verstehe. Dass es ihr um einen „Weg ins Private“ gehe, präzisiert sie mit den Worten: „Jeder hat etwas Privates“. Und dass mit der somit ableitbaren Definition „Alles ist privat“ ein Prozess von Mein-Privates-findet-sofort-einen-Zugang-in-dein-Privates möglich ist, verdeutlicht für mich, auch in Kombination mit den beiden anderen Künstlerinnen, den persönlichen, eigenständigen, wie auch äußerst bemerkenswerten egalitären Zugang, der in der Ausstellung insgesamt zu spüren ist. Beginnen wir also mit Edith Stauber.
Edith Stauber hat ihr Werk zwischen Malerei, Zeichnung und Film angesiedelt. In bester Erinnerung ist ihr animierter Film Parkbad (bzw, eigentlich: Eintritt zum Paradies um 3€20), der die Szenen eines Freibades in detailreicher Genauigkeit darstellt. Hier porträtiert nicht nur ihre „Lust am Gesamtbild“ den Ort, sondern Staubers „Frage der Beobachtung“ erweckt im Zuseher, in der Zuseherin die eigenen erinnerten Eindrücke: Quasi wie das letzte im Glas schwimmende Essiggurkerl, das mit der Gabel herausgefischt werden will (wie im angesprochenen Film) scheinen Erinnerungen kurz und deutlich zugänglich, entwischen letztlich aber doch immer wieder. In Wels wurden auch neuere Filme gezeigt. Außerdem, auch gar nicht nostalgisch, ein von Edith Stauber so bezeichneter „Bilderdurchfall“. Dieser zeigte fast tagebuchartig skizzierte und gezeichnete Eindrücke, halbwegs unverdauter Alltag also, in seiner speziellen Zusammensetzung aus verträglichen und unverträglichen Elementen, in ebenso verschiedenen Formaten und Techniken in den Welser Galerieräumen präsentiert. Diese Zeichnungen sind entsprungen aus einem Impuls der fast zeichnerischen Befreiung, so Edith Stauber, wohl auch gegenüber einer recht eindrücklichen Gegenwart. Wie im Gegensatz dazu widmete sie sich mit der Serie „Am Balkon“ der Vergangenheit. So hat sie alte Fotografien des Vaters aufgenommen, der die Familie immer wieder am Balkon abfotografiert hatte, schmucklos und im Motiv wiederkehrend, wie es wohl zu dieser Zeit nicht untypisch war. Stauber hat das aus künstlerischer Sicht „formal Strenge“ in Folge einer malerischen Bearbeitung unterzogen. Hat über eine lange Zeit des „nicht bewussten Nachdenkens“ während des Malens bemerkt, dass nach und nach Eindrücke aus der Vergangenheit hochkamen. Jedenfalls künden diese Momente auf dem Balkon von einer fast verlassen wirkenden Monochromie, sie haben aber auch etwas ungemein Lebendiges, dieses Baby Edith zum Beispiel, das frech, skeptisch oder schreiend, jedenfalls mit der einzigen Aufgabe eines Babys, nämlich zu wachsen und zu gedeihen, in die Welt blickt … oder die Jugendliche Edith, die mit zusammengezwickten Augenlidern in der strahlenden Sonne steht.
Während Edith Stauber ihren Blick auf Situationen und die damit einhergehende persönliche Erfahrung richtet, widmet sich Bibiana Weber den Dingen bzw. der Kommunikation mit den Dingen. In einem Zugang des Lost-and-Founds zeigte die Objektkünstlerin zwei Herangehensweisen – wobei sich die eine als eine Spur emotionaler erwies als die andere, die dem Sentiment die Ordnung beifügte. Kleine Wunderkammern aus gefundenen Objekten haben sich so angesammelt, etwa beim Spazierengehen; und ihre so entstandene Sammlung sei selbst „ein Kommen und Gehen“, sagt Weber. Sie weist in ihren Arbeiten auf Qualität(en) hin, gibt den Dingen Aufmerksamkeit, denn die Dinge „haben Spuren, haben Spuren hinterlassen, erzählen selbst Geschichten.“ Dass so Geschichten neu erzählt oder anders weitererzählt werden, ist selbstredend für den künstlerischen Prozess. Bibiana Weber sei dabei, so die Kolleginnen, „die Übersetzerin der Dinge“. Als vordergründig etwas weniger spielerisch (Weber arbeitet übrigens auch mit Stahl), erweist sich der zweite Ansatz Webers, der zum Beispiel in den Arbeiten Linz oder Telefonauskunft 11 88 77 zu sehen war. Dafür rollte sie aus dem Papier alter Stadtkarten, Zeitschriften, aus blauen Wahlkarten oder im Falle von „11 88 77“ aus dem Telefonbuch von ihr so bezeichnete Papierperlen. Dass diese Papierperlen, eine neben der anderen in Schaukästen aufgereiht, dabei nicht nur „je nach Lichtsituation Schatten werfen und Bewegung ins Spiel bringen“, sondern gewitzt wie grotesk Erinnerung zu verarbeiten und beinahe wissenschaftlich geordnet zu systematisieren scheinen, scheint dabei ganz klar Bezug auf die von ihr formulierte Absicht zu nehmen, „das Persönliche zu etwas allgemein Gültigerem zu transformieren“. Das Persönliche also fein säuberlich ausgeschnitten, quasi zu Erinnerungsperlen aufgewickelt und im Schaukasten platziert? Sozusagen eine gerollte Geschichte des Einzelnen und des Allgemeinen? Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass die hier beispielhaft genannte Nummer der Telefonauskunft nicht nur über alte Zeiten und die neueren Zeiten der Digitalisierung spricht. Sondern ich entwickle so etwas wie einen kleineren Horror, dass die persönlichen Erinnerungen, jede für sich einzeln so schön durchlebt und deshalb für einen selbst so besonders wertvoll, irgendwann selbst wie tote Kleinstlebewesen in einem Schmetterlingskasten gleich, von einem selbst also aufwändig als Erinnerung präpariert, aufgerollt und platziert, zu einem System werden, das Bibiana Weber in ihrem Ausstellungstext so beschrieben hat: „Still ruhen diese Kleinstobjekte auf weißen, gerasterten Flächen in Objektkästen“. Bibiana Weber scheint in ihren Arbeiten jedenfalls eine beinahe wissenschaftliche, erkenntnistheoretisch anmutende Fragestellung platziert zu haben: Was ist den Dingen und was ist der Erinnerung immanent? Was kann man über den Kern der Dinge oder die Vergangenheit sicher wissen?
Im hinteren, letzten Raum hat Alenka Maly eine Rauminstallation aufgebaut, die aus mehreren Komponenten bestanden hat – und die als Gesamtsituation Anklänge von Reisen, Durchreisen, des insgesamt Unbeständigen evozierte; oder der großen Ungeheuerlichkeit des unkalkulierbar Improvisiertens eines jeden Lebens, das sich zuletzt und am Ende sozusagen immer als flüchtig erweist; und eines Raumes, in dem „großes Glück und großes Leid“ quasi miteinander leben, wie Alenka Maly angemerkt hat. So spürt man die in die Gegenwart strahlende Erinnerung an die Familie Malys – durch zwei im Raum einander gegenüberliegende installative Settings, die den letzten Campingurlaub mit dem Vater wieder auferstehen haben lassen. Die Erinnerungen erweisen sich als schön wie schmerzhaft. Ein Video zeigt den Vater und Musiker Gust Maly, im Süden auf einem Campingplatz Gitarre spielend. Er und die Familie wussten zu diesem Zeitpunkt bereits von seinem nahenden Tod. Die zum Loop geschnittene Melodie begleitet ein an die Wand gehängtes Tischtuch des Campingtisches, aufgehängt als Beleg des Gemeinsamen, als Ort, wo die Familie selbstverständlich zusammengekommen ist, um zu reden, zu essen, zu trinken und zu streiten – nicht zuletzt um die privaten sowie größeren Angelegenheiten einer an sich politischen Familie zu debattieren. Dieses Stück Tuch, das wie als Beweis des Gemeinsamen und gleichzeitig als Anklage des Verlustes gelesen werden kann, schlägt zudem eine andere Verbindung zu einem weiteren „Größeren“ im Ausstellungsraum auf: Gleichsam im persönlichen Leid verankert, scheint Maly das Wissen um den Schmerz zu multiplizieren, transformiert persönlichen Schmerz und Mitgefühl mit den vielen Familien und Menschen auf der Flucht. In Wäsche bearbeitete sie Pressefotos aus den Flüchtlingscamps, indem sie etwa diese Bilder verblassen ließ, um Wäschestücken auf Wäscheleinen wieder Farbe einzuhauchen, inklusive kleiner Maschen und Schleifen auf kleinen Mädchenpullovern: Wäsche als bereits des Öfteren von Maly gewähltes Mittel, als Symbol für das der Haut am nähesten Liegende; als Symbol für Nähe, die sich mitfühlend mit dem Leid anderer zu verbinden weiß, in einer zutiefst humanistischen Positionierung. Nach dem Verlassen der Räume klingt die Melodie des Vaters noch lange nach.
Gemeinsames vor und zurück in der Zeit also, verschiedenes hin und her in den Beziehungen. Wunderbare Beiträge in den einzelnen Räumen. Und trotz aller anskizzierten Unterschiede in der künstlerischen Herangehensweise: Gemeinsam scheint die Übersetzungsarbeit in einen „größeren Zusammenhang“ mit Menschen, Dingen, Situationen und nicht zuletzt in eine Kommunikation gemeinsamer Erfahrungen hinein. Mit diesem Sichtbarmachen, Spürbarmachen ginge es schlichtweg auch um das „Gefühl einer geringeren Einsamkeit“, so Edith Stauber. Rückbezogen auf die Ausstellung: nicht nur eingebettet, sondern durch vielfache mögliche Bezüge weit und frei.
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