Skurril ist das. Ich finde mich in den vergangenen Tagen in der Position der Verteidigerin österreichischer Politikerinnen wieder, die teils Lichtjahre entfernt von meinen politischen Einstellungen agieren, teils mir mit ihren politischen Entscheidungen schlicht auf die Nerven gehen. Und dennoch – eines halte ich wirklich noch weniger aus: Wenn in erster Linie ihres Geschlechts wegen und in seltener Harmonie von links wie rechts, oben wie unten auf Politikerinnen hingehackt wird. „Aber das stimmt doch nicht, wir würden doch einen Mann genauso kritisieren!“, höre ich. Klar, ich erinnere mich auch so gern an die vielen Bildvergleiche männlicher Politiker mit Hunden, Sexarbeitern oder wild dreinschauenden Rockstars – und an die vielen Situationen, in denen ein männlicher Politiker keinen Ausweg mehr als jenen sieht, die eigene Person öffentlich in Frage und zur Debatte zu stellen, in der irrigen Annahme, das könnte in irgendeiner Form Rückendeckung oder Absicherung bedeuten. #not: Männer werden nicht verglichen, Männer müssen ihre Person in den seltensten Fällen zur Debatte stellen, Männer holen Frauen nur dann nach vorne, wenn es für sie nichts mehr zu holen gibt. Also hört auf mit diesem heuchlerischen „wär sie ein Mann, wir würden genauso …“ – ach, einen Dreck würdet ihr, einfach weil ein Mann kaum in ähnliche Situationen käme. Struktureller Sexismus bleibt struktureller Sexismus, egal in welchem Stadium.
Wer’s nicht glauben will, soll sich „Die Dohnal“ im Kino ansehen, Bücher von feministischen Autor*innen lesen oder generell einfach mal einer Frau* zuhören und glauben. Aber, ach, die vermeintlichen Allies schmücken und berufen sich ja so gern auf feministische Frauen, können aber nicht verstehen, wenn eben diese Frauen bei der Firmen/Weihnachts/Geburtstags/Whateverfeier eherliebernicht in ihrer Nähe sitzen oder zu lange bleiben wollen. Weil jede* weiß, dass sie genderpolitisch halt doch entwickelt sind wie eine auf halbem Weg aus ihrem Kokon verreckte Raupe. (Ein Biologe und echter Ally bitteschön hat mir mal so eine Halb-Raupe-halb-Schmetterlings-Tragödie geschenkt, es gibt keine bessere Metapher dafür.) Es hat sich strukturell und in der Denke vieler Männer nichts Wesentliches geändert, das zeigt uns die realpolitische, vor allem aber die berufliche, vermögens- und gehaltstechnische Situation von Frauen* jeden Tag. Aberaberaber, höre ich: so schlimm kann das ja dann doch nicht sein, immerhin haben wir Politiker*innen, das Matriarchat steht ja quasi vor der Tür und überhaupt zeigt sich eine starke Frau doch darin, dass sie sexistische Witze würdevoll erduldet. Klar, stimmt, irgendeine erbarmt sich auch in meinem Bekanntenkreis immer und meint, es sei ok und cool, frau könne das aushalten, und überhaupt müssten doch die Männer endlich mal MITEINBEZOGEN werden. #malmitdenmännernreden. Weil das doch jahrhundertlang NIEMAND gemacht hat. Weil Männer bislang einfach niemand GEBETEN hat, doch einen Teil ihrer Macht zugunsten derer von Frauen abzugeben. #ironyoff
Dieses Konzept des Mitfühlens mit jenen, die ohnehin ständig nach vorne drängen, erinnert mich an jene Schauspielerinnen und Wissenschaftlerinnen, die 2018 das „Manifest der 100“ in Frankreich unterschrieben und Belästigung als Teil männlicher „Verführungskunst“ quasi in den Status eines immateriellen Weltkulturerbes erhoben haben. Dies ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass ein patriarchales Narrativ unreflektiert fortgeschrieben wird, das „verführt“ zu denken, Ermächtigung sei in Anpassung und Unterordnung zu finden. Es ist das ewig gleiche Bild strukturell Benachteiligter, die meinen, wenn sie sich den Habitus der Mächtigen aneigneten, ließe sich die strukturelle Ungerechtigkeit für einen Moment ausschalten oder würde sich gar zu ihren Gunsten drehen. Klar, kann man machen. Abgesehen davon aber, dass die Geschichte voller Beispiele dafür ist, dass dies schlicht nicht funktioniert: Wer so handelt, bestätigt nicht nur Ungleichheit, sondern erschwert allen anderen den Kampf dagegen.
„Machtverhältnisse sind weder geschichtslos noch geschlechtsneutral.“ Eines der vielen bis heute gültigen Zitate Johanna Dohnals, der ersten Frauenministerin Österreichs. Strukturelle Ungleichheit hat Geschichte, eigentlich immer mindestens zwei Geschichten: eine derer, die sie mit allen Mitteln aufrechterhalten und andere von guten Arbeitsplätzen, Löhnen und gesellschaftspolitischer Macht fernhalten wollen, und eine Geschichte derer, die dagegen kämpfen. Letztere wird aber viel seltener kanonisiert. Und: diese strukturelle Ungleichheit ist patriarchal geformt und gewachsen. Und da erscheint es als eher verwegene Idee, strukturelle, förder- und arbeitsmarktpolitische Ungerechtigkeiten auszublenden, um stattdessen anlässlich des Internationalen Frauentages über Feminismus für alle zu diskutieren oder zu Schminkworkshops einzuladen. Der Internationale Frauentag war und bleibt ein Kampf- und kein Wohlfühltag. Er hat mit Feminismus und vor allem mit feministischer Theorie nur bedingt zu tun. Er gehört keineswegs allen, die sich damit schmücken wollen. Und nein, am Internationalen Frauentag wird nicht gegen Männer gekämpft, sondern für die Rechte jener, die aufgrund einer geschlechterbezogenen Zuschreibung strukturell diskriminiert werden. Und solange Fakten von Bedeutung sind, können auch noch so wohlgemeinte, inkludierende Formate nicht aus der Welt reden, dass dies immer noch in erster Linie auf Menschen zutrifft, die sich selbst dem Geschlechterkonzept „weiblich“ zuordnen oder ihm zugeordnet werden. Über alles andere, vor allem darüber, ob und warum manche Männer sich am Internationalen Frauentag ausgeschlossen fühlen könnten, können wir ja reden, sobald diese Ungleichheit aus der Welt geschafft ist. (Wir sammeln derweil ihre Tränen.)
Um zum Anfang zurückzukehren: Ich werde dennoch lieber jede Frau* gegen Sexismus verteidigen, als ein einziges Mal mich verbrüdern mit den lustigen, linken Witzemachern. So links sind die erstens gar nicht, wenn es um Gleichberechtigung geht und – machen wir uns nichts vor – wenn sie nicht grad über rechtskonservative Politikerinnen und ihren Lippenstift herziehen, dann sind die ersten, die gleich danach heruntergemacht werden: linke Kulturarbeiterinnen. „Lächle doch!“ – wir kennen sie alle, die Ansagen, die Gerüchte, die Schubladen. Und wir verdrehen die Augen und haben sie einfach nur satt. Drum: Ich würde die Resting Bitch Faces von Frauen*, egal welcher Couleur, hundertmal vehementer verteidigen als einen dieser Anhänger ewiger patriarchaler Freunderlwirtschaft. Was nicht heißt, dass ich nicht gleichzeitig eine Politik, die Frauen betreiben, ebenso vehement kritisieren und verurteilen kann. Aber im Gegensatz zu Sexisten kann ich das tun, ohne sie dabei in ihrem Geschlecht abwerten zu müssen.