Christoph Wiesmayr, seines Zeichens Rurbanist, Planer und autobefreiter Initiator von Gemeinschaftsgartenprojekten bzw. „Schwemmland“-Mitbegründer, legt ein Raum beanspruchendes Buch auf den Tisch, einen wahren Ziegel. Anlässlich seines Insect-City-Vorhabens hat sich Lisa Spalt mit ihm getroffen, um übers Bauen zu sprechen, und zwar aus der insektoiden Perspektive.
Wir kreisen um den Honigtopf des eingangs erwähnten Bandes. Das Buch stammt von Paul Westrich, es geht darin um die Wildbienen Deutschlands. Wir rufen uns, davon abhebend, ins Gedächtnis, dass die Diskussion um die süße Honigbiene eine ist, die dem Problem des Insektensterbens zwar ein marketingträchtiges Sumsi-Gesicht gibt (kennen wir vom Weltspartag!), als fahrlässig apis-mellifera-zentrischer wird der Diskurs jedoch den meisten Insekten nicht zum nötigen Anteil an Pollen-Kuchen und Lebensraum verhelfen. Die Honigbiene wiederum leistet, was die Bestäubung der Pflanzen und viele andere Aktivitäten angeht, nicht den Hauptteil der Arbeit. In einer Zeit des Hochhaltens von Leistungsträgern sollte daher wohl darüber diskutiert werden, wie den Tierchen geholfen werden kann, damit uns geholfen werde. Ein Blick nach China reicht, um zu sehen, wie gravierend die Folgen der Ausrottung von Insekten sind, nämlich dort, wo bereits Menschen von Blüte zu Blüte gehen und – da sie die insektoiden ArbeiterInnen ausgerottet haben – den Bestäubungsvorgang selbst in Szene setzen.
So weit soll es in Österreich, wo Tempo 140 auf der Autobahn und Flugtaxis absolute Priorität haben, nicht kommen. Mikroaufnahmen von Nestern und Entwicklungsformen, Aufnahmen der von den Insekten zum Leben benötigten Strukturen werden daher von Wiesmayr erkundet. Er will Landschaft aus der Sicht der so wichtigen Krabbler und Flieger verstehen. Wo nisten sie in einer Zeit, in der die Wiesenstreifen zwischen Äckern und Straßen verschwinden, weil das künstliche Rieseninsekt der Drohne dem Bauern die Felder so exakt vermisst, dass er diese Käfige gezähmter Natur bis auf den letzten Zentimeter mit Nutzpflanzen möblieren kann? Auch Architekt*innen im klassischen Sinne verbauen Landschaft, so Wiesmayr. Es gehe ihm nun aber nicht unbedingt darum, die Bebauung zu verhindern, sondern darum, darüber nachzudenken, wie diese aussehen könnte, damit sie Lebensraum für Menschen und Insekten bietet. Mit Studierenden gleich des ersten Semesters führt er dieses Jahr einen Workshop zum Thema durch. Die Grundlagen für diesen liefert ein Vortrag von Dr. Martin Schwarz, der Biologe am Biologiezentrum Linz ist. Anschließend wird versucht werden, Gebäudetypen neu zu denken. Wanderungen zu speziellen Orten in Linz, die sich als günstig für die Ansiedlung von Insekten erwiesen haben, sollen das Verständnis vertiefen.
Gebäudehüllen seien in der gegenwärtigen, technisch orientierten Ausprägung insektenfeindlich, so Wiesmayr. Man stelle sich die geschlossene, nischenlose Fassade des typischen Repräsentationsgebäudes vor, Wiesmayr ergänzt das Bild, spricht von hinterlüfteten Fassaden mit Insektenschutzgittern. Das Insekt als Gottseibeiuns der heiligen Hallen Eindruck schindender Gebäude wird hier um jeden Preis an der Entweihung der sterilen Naturlosigkeit gehindert. Dabei besitzen die meisten Wildbienen nicht einmal einen Stachel, mit dem sie wider die Herrschaft des Menschen löcken könnten. Wenn sie unsere Behausungen aufsuchen, so nur auf der Suche nach einer Herberge, in der ein paar geflügelte Kindlein geboren werden könnten. Im Workshop Wiesmayrs wird es daher einen Schwerpunkt Theorie geben, und zwar zur Frage, wie Gebäudehüllen aussehen könnten, um Insekten Unterschlupf zu bieten. Der sich selbst als „Rurbanist“ bezeichnende Planer sieht hier einen neuen Zugang heraufdämmern. Wo bisher die Technik Vorrang hatte, wird Stadt langsam doch eher grün gedacht.
– Hm, wahrscheinlich geschieht das nur dort, denke ich, wo den Leuten nicht das rechte Braune vom mittlerweile ewig strahlenden, alles verdörrenden Himmel heruntergefaselt wird. Aber den Gedanken verdränge ich zugunsten der erfreulicheren Vision von Menschen, die sich um die Welt und ihre Mitkreaturen bemühen. Solche haben schon einmal damit begonnen, Fassaden zu begrünen. Hier können sich Bienen zum Ernten einfinden. Wiesmayr will weitergehen. Dafür muss geforscht werden. Insekten siedeln sich nämlich beileibe nicht immer dort an, wo man es vermuten könnte, sie lassen nicht selten das schicke Insektenhotel links liegen und kampieren wild in den Bohrlöchern von Ikea-Regalen. Oder man schleppt sich mit der Bio-Erde die Trauermücke ins Habitat der zum Zimmerpflanzendasein verdonnerten Kräuter und überlegt sich, welchen vom Aussterben bedrohten Vogel in seinem Hirnkästchen man hier eigentlich füttert. Wo ist die Grenze der Insektenliebe? Wie kann ein Miteinander funktionieren?
Neue Erscheinungen wie das Passivhaus machen das Öffnen von Fenstern mehr oder weniger unnötig. So verirrt sich auch kein Tier in die Gebäude und der Mensch kreist in seiner totalen, weil ihn gleichzeitig repräsentierenden und enthaltenden Umwelt. Wiesmayr weist darauf hin, dass es auch bei Büro- und Wohngebäuden mit kontrollierter Wohnraumlüftung nicht mehr nötig bzw. nicht mehr möglich ist, ein Fenster zu öffnen. Die im Bauch solcher Gebäude arbeitenden Menschen klagen daher mitunter sogar über den fehlenden Bezug zum umgebenden Asphaltbiotop, in dem die Auto- und Bustiere sich munter vergnügen. Wiesmayr sieht diese bautechnischen Abhängigkeiten kritisch. Aber warum, da diese Fassadenformen schon einmal da sind, nicht zumindest die Fassade begrünen, sodass die Natur durch die Fensterscheiben ins Gebäude hineinsieht? Warum der Biene als einer Abgeordneten der Natur nicht die Möglichkeit geben, das Gebäude zumindest von außen zu bewohnen?
Wir sprechen noch einmal über die Sehnsucht nach dem romantischen Wald der Maler, die durch die Angst vor der waffentragenden Wespe und der bissigen Gelse zur löchrigen und juckenden Wollstrumpfhose wird. Und besonders insektoide Kulturfolger geraten oft ins Visier des nach Grün und Frischluft lechzenden Menschen. Bitte, was ist mit Borkenkäfern und Asseln? Beide Populationen sind deswegen so angeschwollen, weil sie mit uns Menschen mitleben. Die Tiere fänden eben, so Wiesmayr, in unserem Umfeld die richtigen Refugien, um sich zu vermehren. Es gehe aber eigentlich um die anderen, die, die unsere Kulturlandschaft vernichte. Wiesmayr erwähnt „Permakultur Holzer“-Junior, der mit ihm ein Projekt in Ottensheim entwickelt hat. Bei diesem ging es darum, der Streuobstwiese gemeinsam mit der Bevölkerung zu ihrem Recht zu verhelfen. Es wurden 600 Bäume hochgezogen, die nun, nach drei bis vier Jahren ausgesetzt werden können. Dabei wurde deutlich, dass manche Mähmaschinen perfekt dafür geeignet sind, Insekten-Smoothies herzustellen. Die Tiere werden darin, da das Gehäuse geschlossen ist, richtiggehend püriert. (Grüßgott, das hier ist mein Aufruf, das Produzieren von Rasen bleiben zu lassen! Ich hoffe, dass die Dame, auf deren Schrebergarten mein Büro raussieht, den Text hier lesen wird. Warum kommt niemand auf die Idee, alle die teppichartigen Rasenflächen in der Stadt zu Wiesen oder Gärten umzufunktionieren?)
Karg und aufgeräumt wirken österreichische Landschaften im Frühjahr, so Wiesmayr. Es gebe keine verfallenen Gebäude mehr, keine Scheunen, die Refugien bilden könnten. Ich erinnere mich, dass solche Einrichtungen nicht nur in Niederösterreich Gstettn genannt werden und in den dortigen Regionalzeitungen der Entrüstung der Bevölkerung zum Fraß vorgeworfen werden. Hier kommt die Frage nach der Stadtentwicklung ins Spiel. Wiesmayr will sich mit seinen Studierenden die problematische Lage aller Insekten ansehen, experimentieren mit Lehm, Stroh und Holz. Aus diesen Materialien sollen Modell-Elemente, zum Beispiel in Form von Kacheln aus perforiertem und anschließend glasiertem Ton, hergestellt werden. Das Insektenhotel als Unterkunft für eine verschwindend kleine Elite von Tieren, die sich einen Platz darin sichern kann, wird bewusst nicht als Modell verstanden. Das Ganze soll weitaus umfassender gedacht werden im Sinne einer Umwandlung der Stadt in eine „Insect City“. Gerade bei Sanierungsmaßnahmen wäre hier einiges möglich. Man würde die bestehende Struktur dämmen und anschließend mit einer Schutzhülle versehen. Niemand müsste sich fürchten, dass es den Insekten einfallen könnte, direkt in den Wänden leben. Und welche Möglichkeiten der Gestaltung hält das Thema Landschaft bereit? Wie verhält sich die Größe des Menschen zu seinem Lebensraum, wie die der Termite zu ihrem Bau? Was braucht das Insekt, um ein sorgenfreies Leben führen zu können und gerne in unsere Dienste zu treten? Oft überraschen die Tiere hier den Menschen. Mancherorts entdeckt man oft sonnenseitig gelegene Brüche im Gelände, Hangkanten, an denen Erde freiliegt, die wir vielleicht als Zerstörung der Natur wahrnehmen würden, doch gerade diese Wunden in der Landschaft bieten Insekten die idealen Bedingungen zum Nisten. Auch alte Häuser gönnen in Mörtelfugen vielen Insektenarten Unterschlupf. Können solche Strukturen gefördert werden? Wiesmayr erwähnt Louis G. Roy und sein Buch „Natur ausschalten. Natur einschalten“, das Ihnen hiermit empfohlen sei. Der Öko-Pionier hat aus alten Baumaterialien sogenannte Öko-Kathedralen errichtet, in denen sich Insekten eingenistet haben: vielleicht ein Modell? Die Frage, die sich Bauende laut Wiesmayr jedenfalls heute stellen müssen, lautet: Wie könnte Architektur aussehen, würden Insekten sie denken?
Mein Kopf ist voller Science Fiction, voller Utopien und optimistischer Gedanken, als ich nach Hause komme. Ich sehe auf dem Balkon nach den Pflanzen. Insekten? Ich entdecke, dass die Bambusstecken, die ich benutze, um das gezähmte Grün zu stützen, gerade heute von irgendwelchen nistenden Insekten mit gut gekauter Erde verschlossen worden sind. Ein günstiges Zeichen, hoffe ich.
INSECT-CITY
Bei der Insect-City geht es um Entwurf, Erforschung und Entwicklung neuartiger Gebäudehüllen für Wildbienen im Kontext Architektur und Landschaft. Der Research findet mit Christoph Wiesmayr und ArchitekturstudentInnen des ersten Jahrganges der Kunstuniversität Linz / BASEhabitat statt, im Rahmen von „Entwurfsaspekte C“. Start war bereits im Mai mit Vorträgen, Wanderung und Erkundungen naturnaher Nistplätze. Von 24. bis 28. Juni folgt eine Intensivwoche mit Umsetzung von Prototypen.
Spezialveranstaltung zu Störstrategen am 29. Juni
www.gfk-ooe.at/event/god- garden-of-disturbia