Sarah Held gibt Einblicke in die Verflechtungen von genuin feministischen Forderungen und einer Regierungspolitik, die mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen fremdenfeindliche Politik betreibt.
Österreichische Zustände – Femicides im Spiegel von Heimat und rassistischer Ressentiments
Mit der Schlagzeile „Die Taten werden brutaler“ zitiert Silvana Steinbachers Artikel in der letzten Ausgabe der Referentin aus dem aktuellen (Zeitungs-)Diskursuniversum zum Thema Frauenmorde in Österreich. Frauenmorde bzw. Femicides sind hierzulande demnach seit Beginn des Jahres eklatant gestiegen. Dieses Gespräch über einen wichtigen gesellschaftlichen Missstand wird auch stark von Boulevard-Formaten und rechten Parteien/ Gruppierungen beeinflusst. An die Gedanken der Kollegin anschließend gibt dieser Artikel weitere Einblicke in die Verflechtungen von eigentlich genuin feministischen Forderungen und einer Regierungspolitik, die mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen fremdenfeindliche Politik betreibt.
Zur Erinnerung bzw. Einführung an dieser Stelle zunächst einmal die Definition: Femicides, ein Neologismus aus den englischen Begriffen Female und Homicide, sind Verbrechen gegenüber Frauen (in der Regel handelt sich um Frauen, aber auch als Frauen gelesene Personen sind davon betroffen), die meistens von Männern ausgeübt werden, die durch Hass, Dominanzverhalten und Machtasymmetrien motiviert sind. Patriarchal geprägte Gesellschaftsordnungen, in denen Sexismus allgegenwärtig ist, perpetuieren diese misogynen Mechanismen. Im kulturellen Gedächtnis sind Femicides fest mit südamerikanischen Ländern verzahnt, so wurde das im Norden Mexikos liegende Ciudad Juárez zum Sinnbild des Grauens. Dort wurden seit den 1990er Jahren mehrere tausend Frauen ermordet oder sind verschwunden. Daher ist auch das spanische Kofferwort Feminicidio sehr geläufig. Es handelt sich also scheinbar um Verbrechen, die assoziieren, dass sie in der Ferne und nicht in der Heimat stattfinden. Das wirft die Frage auf, wer ist wo von wem und generell davon am meisten betroffen? Zudem scheint diese Verbrechenskategorie nicht nur auf sprachlicher Ebene einen exotischen Anstrich zu haben. Exotisch, wird hier im Sinne von weit weg verstanden, also Verbrechen, die von den Anderen an Anderen im Anderen ausgeübt werden. Soweit der eurozentrische Blick und seine kulturelle Wirkmächtigkeit auf gesellschaftliche Ausschluss- und Wahrnehmungsmechanismen innerhalb von westlichen Industriekulturen Mitteleuropas. Seitens der FPÖ/ÖVP-Regierung wird die steigende Rate an Frauenmorden mit einer gestiegenen Zuwanderungsrate aus Krisengebieten begründet. Zudem erscheint es einfach, dabei mit dem Finger in Richtung Südamerika zu zeigen und hegemoniale Verhältnisse als Begründung für barbarische Phänomene wie Femicides anzuführen.
Post-Colonialism und rassistisch gefärbte Instrumentalisierungen im Strafgesetz
Die Silvesternacht 15/16 in Köln markiert eine Zäsur in der öffentlichen Wahrnehmung von sexualisierten Übergriffen gegenüber Frauen. Wie keine andere Stadt ist Köln zur Chiffre für sexualisierte Gewalt geworden, die von migrantischen Männern an deutschen Frauen verübt wurde. Dazu beigetragen hat auch die rassistisch-pauschalisierende Sprache der örtlichen Polizei, die die Täter als „Nafris“ (Abkürzung für Nordafrikaner) bezeichnete. „‚Köln‘ steht also für die Behauptung, dass bestimmte Migranten nicht integrierbar sind, sich nicht integrieren wollen und dass es ‚irgendwie‘ doch fundamental unüberwindliche Differenzen zwischen Kulturen gibt.“1 Unter dieser Formel werden im deutschsprachigen Raum aktuell Themen, die zwischen Femicides, sexualisierter Gewalt und Sexualstraftaten oszillieren, von politisch rechten Lagern und Regierungsparteien verwendet, um rassistische Ressentiments zu schüren und fremdenfeindliche Politik zu machen. So verkünden die österreichischen Politikerinnen Edtstadler, Bogner-Strauss und Kneissl auf einer Pressekonferenz im Januar dieses Jahres, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen den gestiegenen Femicides und aktuellen Migrationsbewegungen gäbe. Vergleicht man damit die polizeistatistischen Zahlen, die auf der Homepage der österreichischen Frauenhäuser veröffentlicht sind, wird die Aussage als Panikmache und rassistisches Ressentiment dekonstruiert: „Insgesamt gab es 2018 55 Mordfälle sowie 76 Täter, davon waren 41 Inländer, 35 Täter kamen aus dem Ausland. Laut Medienberichten wurden in den ersten Monaten des Jahres 2019 schon 10 Frauen von ihren (Ex-) Partnern oder Familienmitgliedern ermordet.“2 Die verschärfenden Strafrechtsmaßnahmen, die gerade unter Türkis-Blau in Österreich stattfinden, dienen weniger dem Betroffenenschutz als der Katalysierung von rassistischen Mechanismen, denn ein strengeres Strafrecht in diesen Fällen beschleunigt Abschiebeverfahren. Mit dieser Politik treten vor allem traditionelle Muster von Dämonisierungsmechanismen in den Vordergrund. Die Trope des bösen, fremden (schwarzen) Mannes, der im öffentlichen Raum lauert, um Sexualdelikte zu begehen, wird damit verstärkt. Die Bestärkung dieses Diskurses ist höchst problematisch, da so nicht nur Rassismen perpetuiert, sondern auch Frauen* der Aufenthalt im öffentlichen Raum nicht nur diskursiv eingeschränkt wird.
Das ist immer noch besonders paradox, denn es ist nun kein Geheimnis, dass ein Großteil der verübten sexualisierten Gewalttaten und Sexualdelikte im persönlichen Nahraum betroffener Personen stattfindet und häufig von vertrauten Personen ausgeübt wird. Eine Verschärfung des Strafrechts, gerade im Kontext von Aussage gegen Aussage, ist somit für die Betroffenen eher Hindernis als Befreiungsschlag – zumal sich Betroffene ohnehin mehr Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen wünschen. Genau diese Supportmöglichkeiten, welche häufig von Vereinen, Frauenhäusern oder Nichtregierungsorganisationen übernommen werden, sind allerdings stark von Kürzungen betroffen. Im Narrativ der anti-feministischen und reaktionären konservativen Politik von Türkis-Blau lässt sich mit echtem Betroffenenschutz eben kein Wahlpublikum gewinnen. Schließlich gehören zu deren Zielen keine echten soziopolitischen Maßnahmen zur Unterstützung Betroffener bzw. zur Vermeidung von Sexualdelikten. Bei der aktuellen Fokussierung handelt es sich lediglich um eine rassistisch aufgeladene Instrumentalisierung von Übergriffsfällen.
Trotz aller dystopischer Realitäten, die aktuell vorherrschen, sollte trotzdem der Blick auch auf positive Entwicklungen gerichtet werden. Denn neben dem Demonstrieren auf der Straße werden auch weiterhin neue feministische Zusammenschlüsse und Allianzen gebildet. Als Beispiel sei hierbei ein junger Verein aus Wien erwähnt: Changes for Women (im Folgenden kurz Changes). Die engagierten Gründerinnen, zu denen auch ich gehöre, möchten mit ihrem Verein als Schnittstelle zwischen ungewollt Schwangeren und Abtreibungskliniken fungieren. Leider haben in Österreich nicht alle ungewollt Schwangeren Zugang zu Abtreibungskliniken. Das hat auch mit der demographischen Struktur der verschiedenen Bundesländer zu tun, aber häufig sind es finanzielle Gründe. Das österreichische Gesundheitssystem übernimmt keine Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch. Die einzige Personengruppe, die finanziell unterstützt wird, sind Menschen, die Mindestsicherung erhalten. Das bedeutet, dass alle, die nicht gezwungen sind, auf diesem prekären Level zu leben, sondern anderweitig nahe der Armutsgrenze sind (wie Studierende oder geringfügig Tätige), aus dem Raster herausfallen. Diese Lücke möchte Changes füllen und ungewollt Schwangere mit niederschwellig erreichbaren Finanzierungsunterstützungen auffangen. Gerade im Kontext der toxischen Abtreibungspolitik von christlich bis zuweilen fundamentalistisch gefärbten Politstrategien stellt der Verein einen Lichtblick am dunklen Polithorizont Österreichs dar. Der Verein möchte die feministische Parole „Your Body, Your Choice“ ein Stück weit verwirklichen und ungewollt Schwangeren die Möglichkeit schaffen, selbst über den Zeitpunkt der Familienplanung zu entscheiden. Changes steht hier exemplarisch für ein feministisches Aufbegehren in Stellvertretung für eine Vielzahl von Gruppen, die mit ihrer Arbeit versuchen, Österreich ein bisschen weniger sozialkalt zu machen.
Wenn eingangs auf die steigende Brutalität misogyner Verbrechen referenziert wurde, möchte ich abschließend anmerken, dass die strukturelle Brutalität, die von der aktuellen Regierung ausgeht, ebenfalls exponentiell steigt. Man denke an dieser Stelle an die vermeintlich behindertenfreundliche Abtreibungskampagne „#fairändern“, die von Regierungsmitgliedern öffentlich unterstützt wird. Diese fördere einen schrittweisen Abbau vom Recht auf körperliche Selbstbestimmung und die Folge könnte ein sukzessiv umgesetztes generelles Abtreibungsverbot sein.3
Changes im Web: changes-for-women.org
1 Hark, Sabine; Villa, Paula-Irene: Unterscheiden und Herrschen. Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart. 2017. S. 10.
2 Zahlen und Fakten zu geschlechterbedingten Gewaltverbrechen: www.aoef.at/index.php/zahlen-und-daten (aufgerufen am 08. 05. 2019)
3 Horaczek, Nina: „Das Ziel ist es den legalen Schwangerschaftsabbruch zu Fall zu bringen“, März, 2019. www.falter.at/archiv/wp/das-ziel-ist-den-legalen-schwangerschaftsabbruch-zu-fall-zu-bringen (aufgerufen am 08. 05. 2019)