Im November 2017 wurde das VALIE EXPORT Center Linz eröffnet. Anfang nächsten Jahres verlässt die bisherige Direktorin Sabine Folie das Forschungszentrum für Medien- und Performancekunst und wird dann die Kunstsammlungen der Akademie der Bildenden Künste Wien leiten. Silvana Steinbacher hat mit Sabine Folie eine Bilanz über ihre Arbeit gezogen.
Silvana Steinbacher: Vor rund vier Jahren, als das VALIE EXPORT Center eröffnet wurde, antworteten Sie auf meine Frage nach Ihren Anliegen unter anderem „Neben der historischen Einordnung suchen wir, ganz im Sinne von VALIE EXPORT, den Anschluss an die Medien- und Performancekunst der Gegenwart.“ Ist Ihnen das gelungen beziehungsweise hat es ansatzweise funktioniert?
Sabine Folie: Wir waren in den vergangenen Jahren mit vier Ausstellungen beschäftigt, ebenso mit zwei umfangreichen Publikationen und damit einhergehenden Forschungsarbeiten neben der Archivierung. Wir hatten durch die Teilnahme an Konferenzen intensiven Kontakt zu zeitgenössischen Performer_innen, die Konferenz, an der mehrere Performer_innen teilnehmen sollten, musste aufgrund der Pandemie aber leider abgesagt werden. Ich habe über die Betreuung von PhDs Kontakt zu jungen Performer_innen, die mit alten Vorbildern neue Wege gehen. Leider mussten auch hier einige der geplanten Projekte storniert werden, weil wir die Priorität Digitalisierung in dieser Anfangszeit nicht aus den Augen verlieren durften. Aber diese Schiene der Verbindung zur aktuellen Kunst wird wieder stärker aufgenommen, wenn die Einschränkungen durch Corona etwas zurückgenommen werden können.
Das VALIE EXPORT Center war seit seiner Eröffnung knapp budgetiert, wie hat es sich in den darauffolgenden Jahren entwickelt?
SF: Es hat sich so entwickelt, dass wir gut damit arbeiten können. Die Zahl der Mitarbeiter_innen konnte erhöht werden, Drittmittel für die Digitalisierung und Archivierung darüber hinaus eingeworben werden, sodass wir Mitte nächsten Jahres einen Meilenstein in unserer Zielvorstellung zum Thema Archivierung erreichen werden.
Wie ist denn bisher das Publikumsinteresse, zumindest bis zum Jahr 2020?
SF: Das Publikumsinteresse ist für ein Archiv groß, wir hatten 2019 rund 900 Personen zu Besuch, 2020 waren es coronabedingt immerhin noch an die 200, aber das wird sich wieder einpendeln.
Die international erfolgreiche Medien- und Performancekünstlerin und Filmemacherin VALIE EXPORT fasziniert als Ikone und vielseitige Künstlerin auch junge Menschen. Gab’s dahingehend Projekte beziehungsweise hat sich dieses Interesse hinsichtlich Anfragen beispielsweise niedergeschlagen?
SF: Wir hatten bislang neben den erwähnten Besucher_innen ca. 130 konkrete und umfassendere internationale Forschungsanfragen und es laufen diverse Forschungsprojekte, Dissertationen zum Thema VALIE EXPORT, inklusive der Fellowships, die sich mit EXPORT beschäftigen. Gerade gab es eine weitere Ausschreibung für ein PhD und ein Postdoc Stipendium vonseiten des VALIE EXPORT Center. Damit sollen unsere Archivbestände, aber auch von diesen Beständen abgeleitete Forschungen zum Thema Performance und Medienkunst generell vorangetrieben werden. Einige der Interessent_innen sind Künstler_innen und beschäftigen sich mit verwandten Themen, so wie VALIE EXPORT in ihrer künstlerischen Praxis.
Sie werden ab Jänner 2022 Ihre Funktion als Direktorin des VALIE EXPORT Centers beenden und leiten ab dann die Kunstsammlungen der Akademie der Bildenden Künste Wien. Sind die Vorbereitungen zur Übergabe bereits im Gange?
SF: Wir sind noch inmitten des Geschehens und bereiten gerade die Buchpräsentation Archive Matters vor sowie unter anderem die Budgets fürs nächste Jahr. Die Übergabe erfolgt schrittweise, aber die Geschäftsführerin Dagmar Schink und die anderen Mitarbeiter_innen des Centers haben die anstehenden Agenden bestens im Griff.
Wann wird über die Nachfolge entschieden und von wem?
SF: Ich denke, die Nachfolge wird in den kommenden Monaten entschieden, aber ich bin in die Ausschreibung und das Auswahlprozedere nicht involviert.
Ihnen ist auch die Vernetzung ein Anliegen, konnte Sie so wie erhofft stattfinden?
SF: International hat viel Vernetzung stattgefunden, natürlich hat durch Corona einiges an direktem Austausch gefehlt, zum Beispiel musste eine für Mai 2020 bereits fix und fertig vorbereitete Konferenz mit Vorträgen und Performances abgesagt werden, aber die Fährten wurden gelegt, um mit unseren Partner_innen in Österreich, aber auch international Projekte anzugehen und auszubauen. Wir haben in unseren Tätigkeitsberichten eine lange Liste von Personen und Institutionen, mit denen wir uns ausgetauscht haben und wo Kooperationen in Vorbereitung waren und sind. Es liegt in der Hand der neuen Leitung und des Teams, wo sich die Schwerpunkte hinentwickeln werden.
Einer der ersten Schritte sollte die Digitalisierung des Vorlasses von VALIE EXPORT sein, wie sieht der Status quo dahingehend aus?
SF: Wir haben bislang, auch Dank der Bundesmittel, die wir erhalten haben, an die 60.000 Digitalisate fertig gestellt, parallel ist die Archivierung verlaufen und die langwierige Entwicklung der Datenbanken mit allen Kategorisierungen, Verschlagwortungen etc. sowie die Programmierung des Webinterface, um Teile des Archivs sukzessive einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das wird in den kommenden Monaten passieren.
Sie haben es bereits erwähnt, die Buchpräsentation zu VALIE EXPORT Archive Matters. Dokumente lesen und zeigen, dessen Herausgeberin Sie sind, steht bevor. Dabei thematisieren Sie auch Formen des experimentellen Umgangs mit dem Medium Ausstellung in Bezug auf das Format Archiv.
SF: Das Archiv ist grundsätzlich etwas, das sich hinter verschlossenen Türen in Boxen, Schachteln befindet und meine Vorstellung war es, in den Ausstellungen zum Archiv Formen auszuprobieren, die über das reine Ausstellen in Vitrinen hinausgehen, zum Beispiel gab es große Wanddiagramme über das Thema des Archivs, wo man sich das Archiv als Aufbewahrungsort, seinen Entstehungszusammenhang, die ganz spezielle Anlage von Künstler_innenarchiven quasi in der Ausstellung erarbeiten konnte. Objekte wie Bücher oder die Bibliothek als Wissensspeicher wurden nicht als solche gezeigt, sondern die Titel der Bücher, geordnet nach Themen und Alphabet, wurden als Schriftbänder an die Wand angebracht, Bücher digitalisiert und animiert, Vorträge auf iPad etc. Es geht darum, andere Mittel der Anschauung zu erkunden, die ein Archiv erschließen, interaktive und andere, damit das Archiv lebendig(er) erscheint.
Wie schätzen Sie die Zukunft des VALIE EXPORT Centers ein?
SF: Es war ja vorgesehen, dass das Center fünf Jahre vor der Öffnung für das Publikum die Exponate größtenteils digitalisiert, nun sind alle Projekte wie Ausstellungen, Publikationen, Konferenzen ja zeitgleich zur Gründung und Eröffnung passiert, das heißt wir hatten die Digitalisierung und Arbeit für die Öffentlichkeit parallel laufen. Ich denke und hoffe, es werden die geplanten und angedachten Forschungsprojekte zum Thema Performance/Dokumentation/Bewahrung/Aufführung ausgearbeitet und eingereicht werden, und parallel vermehrt. So hoffe ich, dass nach Corona der direkte Kontakt und die Auseinandersetzung mit aktuellen Formen der Performance passieren können. Es ist ja jetzt schon über meine Betreuung von PhDs im Rahmen meiner Professur zum Beispiel möglich zu sehen, wie heute Performer_innen arbeiten und wie sich der Begriff verändert hat.
Ideal wäre eine weitere internationale Vernetzung, die Fortsetzung der Schriftenreihe, Forschungsprojekte und Konferenzen sowie die aktive Arbeit mit Künstler_innen, also die Idee eines lebendigen Archivs umzusetzen.
VALIE EXPORT
Center Peter-Behrens-Platz 9, Bau 1, 1. Stock, 4020 Linz www.valieexportcenter.at