Hin zu kollektiven Intelligenz
Die Referentin #40
Mensch, Natur, Technik – Architekturbiennale Venedig 2025: Anlässlich der Teilnahme von Sabine Pollak und Lorenzo Romito, die beide an der Kunstuniversität Linz tätig sind, hat sich Herta Gurtner auf den Weg gemacht und wirft einige Schlaglichter auf Beiträge der aktuellen Architekturentwicklung.
Auf einen Kaffee ins Canal Café von Diller Scofidio + Renfro. Foto Herta Gurtner
„Die gebaute Umwelt ist einer der größten Verursacher atmosphärischer Emissionen. Das macht die Architektur zu einem der Hauptverantwortlichen für die Verschlechterung der Umweltbedingungen auf unserem Planeten.“
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Die heurige Architekturbiennale in Venedig, kuratiert von Carlo Ratti, steht ganz im Zeichen des Klimawandels und der Frage, ob und wie Architektur Lösungen für globale Krisen bieten kann. Ein hochgestecktes Ziel, das Ratti mit über 750 Beiträgen und 66 teilnehmenden Nationen zur bislang größten Biennale macht. Da stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Dimension und ob weniger nicht mehr wäre. Insbesondere in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung, ebenso wie für die Venezianer:innen, die durch die Übernahme von Stadtraum durch die Biennale massiv in ihrem Alltag eingeschränkt werden.
Unter dem Titel Intelligens. Natural. Artificial. Collective – ein Wortspiel, das sowohl auf „Intelligenz“ als auch auf „gens“ (lat. für „Volk“) verweist, geht es heuer um ein intelligentes Zusammenwirken von Mensch, Natur, Technologie und Umwelt, das zum „Schwarmwissen“ werden soll.
Auch „Domizid“ – also die Auslöschung von Lebensraum durch Klimawandel (Feuer, Wasser...), Krieg oder wirtschaftliche Verdrängung, wird zum architektonischen wie gesellschaftlichen Thema.
Neue teilnehmende Staaten sind Togo, Aserbaidschan, Oman und Katar, und die Vielzahl der Beiträge v. a. aus dem globalen Süden zeigt: Es gibt weltweit ein wachsendes Interesse an Architektur als Mittel zur Gestaltung einer lebenswerten und widerstandsfähigen Zukunft.
Von der Eindämmung der Klimakrise zur Anpassung und darüber hinaus, durch Wissenschaft und Kollektivität
Im Zentrum stehen Themen wie Klimaanpassung, Kreislaufwirtschaft, Urban Mining (z. B. im Kontext der Ukraine), KI in der Bauwirtschaft, Megacities, Wasserknappheit oder Biodiversität. Dabei verstärken sich die Stimmen, die nicht mehr primär für die Erhaltung der Erde durch Reduktion von Treibhausfaktoren sind, sondern die Steigerung der Erderwärmung durch v.a. technische Anpassung ausgleichen wollen. Dieses Ziel soll durch das Zusammenführen von natürlicher, menschlicher und technischer Intelligenz gelingen. Wenn man diesen Ansatz weiterdenkt, kommt man unweigerlich auch zur Herstellung eines „Planet B“, also dazu, Lebensraum außerhalb der (ruinierten) Erde zu suchen.
Im Arsenale gibt es u. a. Experimente mit Bakterien, Projekte zur Wasseraufbereitung und einen humanoiden Forschungsbereich. Internationale Universitäten bringen sich verstärkt ein – auch über Bibliotheksprojekte. Ratti spricht von einer Architektur, die nicht länger „autoritär“ denkt, sondern transdisziplinär und gemeinschaftlich agiert.
Für die Corderie und Arsenale braucht es viel Zeit, es lohnt sich aber, da dort zahlreiche ausgezeichnete Projekte zu finden sind, wie das Video über die selbstorganisierten Märkte in Lagos/Nigeria von Tosin Oshinowo und die Elephant Chapel von Boonserm Premthada.
Die Arbeit Calculating Empires: A Geneology of Technology and Power Since 1500 von Kate Crawford und Vladan Joler, eine kritische diagrammatische Darstellung technologischer Entwicklungen, wurde auch schon während der ARS 2024 gezeigt. Sie erhielt den Silbernen Löwen.
Der Länderpavillon des Königreiches Bahrain, Preisträger des Goldenen Löwen, ist im Arsenale angesiedelt. Das Projekt Heatwave zeigt ein geothermisches System, mit dessen Hilfe gekühlte Räume geschaffen werden können. Ein Zusammenspiel von zeitgenössischer Technologie mit traditioneller Architektur. Der Raum wird im Sommer sicherlich vom Publikum stark genutzt werden.
Der Goldene Löwe für den besten Beitrag in der Hauptausstellung ging an das Canal Café im Freigelände im Arsenale. Durch mehrere Pflanzenfilter wird Lagunenwasser direkt aus dem Kanal geleitet, um daraus Kaffee zu machen. Kostengünstig um 1,20 € können sich die Besucher:innen von der Funktionalität überzeugen.
Der Pavillon von Großbritannien in den Giardini hat auch heuer wieder eine besondere Erwähnung bei der Preisvergabe erfahren. GBR: Geology of Britannic Repair geht auf eine Kollaboration mit Kenia zurück und befasst sich aus postkolonialer Perspektive mit dem Zusammenhang von Architektur und Geologie.
Den Goldenen Löwen für das Lebenswerk erhielt die US-amerikanische Philosophin und feministische Theoretikerin Donna Haraway. Ihr Statement „make kin, not babies“ fordert uns auf, unsere Vorstellungen von Familie und Verbundenheit über biologische Verwandtschaft hinaus zu erweitern. Sie setzt den Fokus nicht auf eigene Kinder, sondern auf die Verantwortung füreinander, auch für nicht-menschliche Lebewesen und die Umwelt. Sie ruft dazu auf, neue Formen von Gemeinschaft zu schaffen und steht für die Koexistenz aller Arten.
Ein zweiter Goldener Löwe für das Lebenswerk ging an Italo Rota, der 2024 verstarb. In vielen Projekten haben Italo Rota und Carlo Ratti zusammengearbeitet. Rota prägte maßgeblich das zirkuläre Denken der diesjährigen Ausstellung. Ihm zu Ehren wird das Projekt Material Bank gezeigt.
Der Überlebenskoffer vom Universe Pavillion. Foto Herta Gurtner
Casa subito – so ein Statement im österreichisch/römischen Pavillon, der auch heuer wieder ausgezeichnet kuratiert und ausgestattet ist. Die Kurator:innen Sabine Pollak und Lorenzo Romito (beide Linzer Kunstuniversität/Die Architektur) und Michael Obrist (TU Wien), nehmen eine kritische Bestandsaufnahme des sozialen Wohnbaus in Wien vor und stellen diesen der urbanen Realität Roms gegenüber. Wien ist aktuell eine der am schnellsten wachsenden Städte Europas. Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen gibt es zahlreiche und immer noch mit relativ verträglichem Mietzins, weil Wien seit 100 Jahren auf den geförderten Wohnbau zurückgreifen kann, während Rom improvisieren muss: Leerstände werden besetzt, neue solidarische Lebensformen entstehen. In manchen dieser autonomen Wohnprojekte leben Menschen aus über 27 Nationen zusammen, aus der Not wird die Tugend einer interkulturellen Koexistenz. Die Botschaft: Rom als Beispiel gelebter Resilienz kann auch Wien inspirieren.
Statements von Sabine Pollak zum Thema Wohnbau: „Schlechte Wohnbauten sind solche, die nur in Hinblick auf die Ökonomie realisiert werden, flexibel nutzbare Räume, räumlich differenzierte Architektur und Raum für Gemeinschaft müssen auch Thema im Genossenschaftswohnbau sein.“ Und in Hinblick auf Anpassung an Klimaveränderung: „Anpassung ist nicht die Lösung. Wichtig ist nach wie vor, dass wir alle in allen Bereichen weniger Ressourcen verbrauchen.“
Heuer gibt es mit dem Universe Pavilion einen zweiten Ausstellungsort mit starker österreichischer Beteiligung. Claudia Schnugg, aus Wels, ist international als Kuratorin im Bereich Kunst & Wissenschaft tätig. Sie richtet gemeinsam mit Janine Thüngen-Reichenbach und der Raumfahrtingenieurin und Astronautin Claudia Kessler den Blick in den Kosmos. Claudia Schnugg arbeitete schon 2018/2019 am Projekt Science Gallery Venice der Universität Ca’ Foscari in Venedig. Ihr Universe Pavilion ist dem ganzen Universum gewidmet. Der Weltraum ist ein „Common“, also für alle da, und seit dem Weltraumvertrag aus den 1960er Jahren ein Ort, der für alle Nationen zugänglich ist und nicht von einer Nation besetzt werden darf. Einerseits ist dieser grenzübergreifende Gedanke ein zentraler Eckpfeiler für den Universe Pavilion, andererseits soll die Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft, Weltraumforschung und Technologie den Dialog zwischen der doch sehr geschlossenen Weltraum-Community und anderen Disziplinen herstellen. Sowohl die ESA (Europäische Weltraumagentur) als auch die ASI (Italienische Weltraumagentur) haben die Schirmherrschaften für diesen Pavillon übernommen. Die gezeigten künstlerischen Positionen sind international und interdisziplinär besetzt. Im atmosphärischen Ausstellungsraum der Fabrica 33 finden neben der übersichtlichen und sowohl technisch perfekten als auch emotional berührenden Ausstellung bis 31. Juli 2025 zahlreiche Veranstaltungen statt.
Zitat Claudia Schnugg: Die eingeschränkten Möglichkeiten, die es im Weltall für ein Überleben gibt, sind eine Rahmenbedingung für Forschungs- und Technologieentwicklungsprojekte, die dann auch wieder relevante Innovationen für ein ressourcensparendes und nachhaltigeres Leben auf der Erde ermöglichen. Aber es ist nicht nur das. Die künstlerischen Positionen im Universe Pavilion, wie zum Beispiel von Marcus Neustetter und Annick Bureaud, zeigen uns, den Blick auch wieder zurück auf die Erde zu richten und uns dessen bewusst zu werden, dass selbst lokale Ressourcennutzung nachhaltig und wertschätzend oder auch extraktivistisch geschehen kann.
Bis zum 23. November 2025 wird Venedig wieder Ziel von Architektur-Aficionados aus der ganzen Welt. Von Venedig als Vorbild ist zwar wiederholt die Rede. Doch wer wirklich von Venedig lernen will, muss lernen zu reduzieren. Vielleicht gelingt es den zukünftigen Kurator:innen der Biennalen, sich nicht dem Motto „größer weiter schneller“, sondern „kleiner, weniger, langsamer“ zu widmen. Das wäre ein echter Gewinn, nicht zuletzt für die Bewohnerinnen und Bewohner der Lagunenstadt.
Architekturbiennale Venedig
12. Mai – 23. November 2025, Venedig
www.labiennale.org/it/architettura/2025
Hinweis: Universe Pavilion
www.universepavilion.com/exhibition-2025
Tipps der Autorin:
Serbischer Pavillon - fragiles textiles Konstrukt, ein poetischer Beitrag zur Kreislaufwirtschaft.
Pavillon der USA: Das Thema Veranda wird mit Schaukelstuhl, Fleckerlteppich und Countrymusik inszeniert. Für das Publikum ein willkommener Rastplatz.
Veranstaltungen am 04. – 06. 07., 30. 08 – 01. 09. und 21. – 23. 11. 2025.
Tickethäuschen von Carlo Scarpa am Eingang zu den Giradini: Endlich wieder in Verwendung, als Botschaft für den Planeten Erde. Audiobeiträge von menschlichen und nicht-menschlichen Stimmen aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden gesendet.
Ausstellungen außerhalb der Biennale – collateral events
Ocean Space: Kirche San Lorenzo, Ocean Space ist ein planetarisches Zentrum das kollaborative Forschung und ökologisches Engagement sowie kollektives Handeln durch die Kunst fördert. Gegründet und geleitet von der TBA21(Thyssen-Bornemisza Art Contemporary) www.ocean-space.org
CREA - Cantieri del Contemporaneo : Ausstellungsraum auf der Giudecca www.creavenice.com
Fondazione Bevilaqua la masa : direkt am Markusplatz. Zeitgenössische Galerie mit Atelier www.comune.venezia.it/it/content/fondazionebevilacqua-la-masa
ECC Italy : Ausstellungen während der Biennale im Palazzo Bembo und Palazzo Mora
ecc-italy.eu
Palazzo Diedo – Berggruen Institut: präsentiert Erkenntnisse aus dem Schnittpunkt von Philosophie und Astronomie berggruenarts.org/en
Peggy Guggenheim Collection – Ort zum Erholen – aktuelle Ausstellung: Maria Helena Vieira da Silva: Anatomy of Space
www.guggenheim-venice.it/en
Redaktionell geführte Veranstaltungstipps der Referentin