1993 wurde das StifterHaus von der Forschungs- zur Veranstaltungsstätte erweitert. Aus diesem Anlass wird heuer das Jubiläum 30 Jahre StifterHaus neu gefeiert. Dabei stehen die Positionen und Welthaltungen des sogenannten Dichterheroen im Mittelpunkt. Silvana Steinbacher zur Ausstellung Stifter: Illustriert und anderen Punkten, die Stifter durchaus als aktuelle Figur zeigen.
Einen wild reitenden Mann zeigt die Illustration zu Stifters Werk Die Pechbrenner 1949. Rund fünfundzwanzig Jahre später stellt ein anderer Künstler einen Mann dar, der sich in seiner Kutsche zu einem Mädchen umdreht. So unterschiedlich sind manche Illustrationen zu ein und demselben Werk in der Ausstellung Stifter: Illustriert.
Georg Hofer hat die Archiv- und Bibliotheksbestände des Adalbert-Stifter-Instituts durchforstet und gesichtet, ebenso Ivan Slavik die Sammlungen des Regionalmuseums Český Krumlov (Krumau), und gemeinsam haben beide diese Ausstellung kuratiert. Das Ergebnis sind Illustrationen aus mehr als siebzig Verlagen von etwa einhundert Künstler:innen. Interessanterweise hat Stifters Erzählung Bergkristall auffallend viele Illustrator:innen inspiriert, was wohl an der sehr emotionalen Handlung liegen dürfte: Zwei Kinder verirren sich am Heiligen Abend in einer Höhle und werden am nächsten Tag in einer Rettungsaktion von den Bewohnern zweier verfeindeter Dörfer gefunden, was zur Versöhnung dieser Menschen führt.
Illustrationen zu literarischen Werken waren zu Stifters Lebenszeit (1805–1868), und das sogar in Familienzeitschriften, noch wesentlich verbreiteter, als sie es heute sind. Die teils divergierenden illustrativen Ansätze mehrerer Künstler:innen zum gleichen Text – wie zu Beginn erwähnt – beeinflussen natürlich auch die Interpretation durch die Lesenden, denn jede Illustration begleitet nicht nur den Text, sondern lenkt auch in eine bestimmte Richtung, sagt Georg Hofer.
Nur vereinzelt, aber dafür umso heftiger äußerte Adalbert Stifter, der in jungen Jahren eine Malerlaufbahn einschlagen wollte, Kritik an den Darstellungen.
„Das Angesicht ist das Schlechteste und Stümperhafteste, es ist geradezu elend, wie es häufig Anfänger machen. Sind das Haare? Sind das Augen? Sind das Wangen?“ (Stifter an seinen Verleger Gustav Heckenast, 30. 11. 1852)
In seiner Ablehnung einer bestimmten Illustration gegenüber zeigte sich Stifter unnachgiebig. Die von ihm bemängelten Darstellungen entfernte er sogar aus seinen Büchern, auch jenen, die er verschenkte.
Diese Ausstellung ist nur ein Aspekt eines großangelegten Jubiläumsjahres, das heuer das Literaturhaus im StifterHaus dominieren wird.
Innerhalb des Jubiläums „30 Jahre StifterHaus neu“ werden noch bis Ende November 2023 Stifters „Positionen und Welthaltungen“ – so der Untertitel – behandelt. Und diese Positionen beinhalten auch Fragen nach Stifters aktuellem Bezug zum Heute, Analysen und Überlegungen, ob Stifters Literatur, sein Denken und seine philosophische Welthaltung noch in unsere Zeit reichen (was keineswegs ein Gradmesser seiner Bedeutung sein muss).
Ich glaube es war in der siebten Klasse, als wir die Erzählung Kalkstein gelesen haben. Ich muss betonen, dass Deutsch mein Lieblingsfach war, in dem ich, im Gegensatz zu den naturwissenschaftlichen Fächern, geglänzt habe, aber diese Erzählung Stifters hat mich gelangweilt und ich konnte, so wie viele meiner Mitschüler:innen, wenig damit anfangen.
Jubiläen welcher Art auch immer können jene, die sie ausrufen, natürlich auf vielfältigen Ansätzen aufbauen. Das StifterHaus hat also sich entschieden, Stifter als aktuellen Autor zu feiern, ein guter Ausgangspunkt, denn diese Sichtweise auf Stifter ist viel zu wenig bekannt.
In diesem Jubiläumsjahr sprechen und lesen unter anderem vier Schriftsteller:innen zu Wahrnehmung, Diversität und Gleichheit, Resilienz und Widerstand und belebte Natur: Themen, die heute virulent sind und vielfach diskutiert werden. Was haben sie aber mit Stifter, dem teils als verstaubt verschrienen Dichter, oder Stifters Werk zu tun? Regina Pintar, Leiterin des Literaturhauses im StifterHaus überrascht zumindest mich mit heutigen Bezügen. Die Themen Diversität und Gleichheit behandelte Stifter im Nachsommer und vor allem in seiner Vorrede zu den Bunten Steinen. 1849 verfasste er einen Text, in dem er sich mit dem Unterrichtswesen sowie seinen Ansichten über den Staat beschäftigte, ebenso schrieb er über die Erfahrungen der Revolution 1848 und hob in diesem Kontext die Bedeutung der Erziehung hervor. Resilienz färbt Adalbert Stifters Erzählungen Zwei Schwestern und Der Waldsteig, denn in beiden steht die Frage, wie der Mensch mit Schicksalsschlägen fertig werden kann, im Mittelpunkt, sagt Regina Pintar, die Leiterin des Literaturhauses im StifterHaus.
Wieso eigentlich StifterHaus „neu“, was war davor, werden Sie sich vielleicht wundern, und daher jetzt zu den Anfängen dieses schönen Bauwerks, das nur einige hundert Meter vom Linzer Hauptplatz entfernt steht: In diesem Gebäude lebte Adalbert Stifter zwanzig Jahre bis zu seinem Tod 1868. Seit 1950 dient das Haus als Forschungsstätte, dessen Aufgaben hauptsächlich die (Stifter-)Forschung und die Betreuung von Archivmaterialien zur oberösterreichischen Literatur sind. Gerade noch vor dem Abbruch bewahrt, erwarb das Haus vor fünfzig Jahren das Land Oberösterreich und restaurierte es. 1993 wurden die schweren, knorrigen Türen geöffnet und mit mittlerweile rund achtzig Veranstaltungen pro Jahr – hauptsächlich Lesungen von oberösterreichischen Autor:innen – bekommt der Geist Stifters regelmäßigen Besuch. Rund zweihunderttausend Menschen kamen seither ins Literaturhaus, also eigentlich die ganze Stadt Linz, was so natürlich nicht stimmt.
Sympathisch an diesem Jubiläumsjahr ist auch, dass nicht nur Lesungen und Diskussionen geplant sind, sondern, – wie es sich für einen feierlichen Anlass „gehört“ – auch gefeiert wird. Austrofred, den viele vielleicht nicht bei einem Jubiläum mit Schwerpunkt Stifter erwarten würden, wird die Festlesung halten.
Nach Kalkstein habe ich rund zehn Jahre später Stifters Erzählung Brigitta gelesen. Damals hatte ich nicht mehr den Anspruch, Literatur müsse die Zeit, in der ich lebe oder mein Leben berühren. Brigitta empfand ich in ihrer Konsequenz als emanzipierte Frau. Diese Erzählung habe ich mit Interesse gelesen und in den folgenden Jahren hat mich auch Adalbert Stifter als Mensch und seine Biografie als tragische Figur immer wieder einmal beschäftigt.
Ich berichte diese, meine Eindrücke deshalb, weil sie viele meiner damaligen Altersgenoss:innen mit mir teilten.
Die Besucher:innen der Veranstaltungen des Literaturhauses im StifterHaus sind meist schon in fortgeschrittenem Alter, was aber auch in anderen literarischen Veranstaltungsstätten zu bemerken ist. Wo sind die Jüngeren, von der Generation Z gar nicht zu sprechen? Interessierte zwischen zwanzig und fünfunddreißig Jahren als Publikum für Literaturhäuser zu gewinnen, entwickelt sich generell zu einer Herausforderung. Resilienz, Widerstand und Diversität sind aber durchaus Themen, die auch jüngere und mittlere Altersgruppen interessieren. Möglicherweise passiert eine Annäherung zum als unnahbar verrufenen Stifter auf diese Weise oder finden die jungen BesucherInnen so den Zugang zum StifterHaus. Petra-Maria Dallinger, die Direktorin des Stifter-Instituts, setzt auf ein Publikum zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahren, denn dies sei eine Altersphase, in der viele oder einige Menschen Lesungen besser in ihren Alltag integrieren könnten als in sehr jungen Jahren. Die Literatur – so meint sie – ist da und wartet auf ihre Stunde.
Stifter: Illustriert
Bis 30. März 2023
Öffnungszeiten: täglich, außer Montag 10:00–15:00 Uhr
30 Jahre StifterHaus neu
Mit Stifter/Bei Stifter. Positionen und Welthaltungen
Bis 16. November 2023