Maja Osojnik legt nach 14 Bandalben ihre erste Soloplatte vor. Die Wahlwienerin wird ihr herausragendes Album „Let Them Grow“ auch in Linz präsentieren. Stephan Roiss führte ein Interview mit ihr.
Formal betrachtet bringt das Album das Format „Song“ ins Gespräch mit zeitgenössischen Kompositionsverfahren, Soundart und Musique Concrete. Osojniks Stimme schwebt und stampft durch dunkle, warme Klangszenerien, in denen ein verstimmtes Klavier und elektronische Sequenzen genauso Platz finden wie dekonstruierte Drumsounds, field recordings und ein Glockenspiel. Die gebürtige Slowenin (*1976) beherrscht ihr Handwerk souverän. Die vorwiegend düstere Atmosphäre berührt und befeuert gleichermaßen. Die Stücke sind offenherzig und fragil, zugleich aber aufrecht, elegant und stark. Selten zeugt ein Album von einem derart würdevollen Umgang mit menschlichen Abgründen und Gebrochenheiten. Große Worte gebieten große Vorsicht. Aber scheiß der Hund eine Kafka drauf: Eine Platte muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.
Nach all diesen Jahren Arbeit im Verbund mit anderen (z. B. bei Rdeča Raketa, Maja Osojnik Band oder Broken.Heart. Collector): Wieso nun eine Soloplatte?
Ich hatte das Bedürfnis nach Rückzug. Ich wollte schauen, was passiert, wenn ich auf mich allein gestellt bin. Wenn Du gemeinsam gestaltest, musst du oft viel erklären. Du musst begründen, wieso du etwas so oder so machen willst. Wenn Du allein bist, ist das erstmal eine Befreiung. Du bist nur mit dir selbst im Dialog. Aber genau das kann auch schwierig werden. Es gibt keinen Spiegel, nur deine eigenen Reflexionen. Ich hatte immer wieder Phasen, in denen ich mir Austausch und Feedback gewünscht habe. Zugleich wollte ich aber diesen neuen intimen Raum nicht zu rasch wieder verlassen.
Ein paar Leute hast du aber zur Mitarbeit an deiner Platte eingeladen – „sampled artists“, wie du sie nennst.
Manu Mayr, Matija Schellander, Tamara Wilhelm und Patrick Wurzwallner sind keine Gastmusiker*innen im herkömmlichen Sinn. Sie haben mir ihre Sounds zur Verfügung gestellt. Sie haben Spuren eingespielt, die ich zerschnitten, editiert, verfremdet habe. Sie agieren auf der Platte quasi als „field recording people“.
Wie setzt du das Album live um?
Ich will nicht einfach wiedergeben, was auf der Platte konserviert ist. Das Set soll lebendig bleiben. Ich verwende die Songs des Albums als Ausgangsmaterial und improvisiere damit, reagiere auf die jeweiligen Gegebenheiten und lasse sie in die Musik einfließen. Es gibt dabei Konzepte, aber eben auch viel Freiraum. Das Ergebnis nähert sich manchmal mehr, manchmal weniger den aufgenommenen Stücken an. Es gibt allerdings nicht nur ein Soloprogramm. Ich spiele und interpretiere das Material auch im Duo mit dem Drummer Patrick Wurzwallner und in einer großen Besetzung („All.The.Terms.We.Are“), zu der ich Manu Mayr, Raumschiff Englmayr, Lukas König, Matija Schellander und Audrey Chen eingeladen habe.
Deine Texte werfen viele Fragen nach Machtverhältnissen und Identität auf.
Sie spiegeln Erfahrungen. Das Album ist ausgesprochen persönlich, zugleich – oder gerade deswegen – steckt viel Politisches in den Texten. Die alltägliche Umgebung, die gegenwärtige Politik, Medien, eine zunehmende Virtualisierung des Lebens, der Konsumwahn und die neoliberale Scheiße, der wir täglich ausgeliefert sind: all das provoziert Emotionen und Fragezeichen. Ich bin involviert, keine bloße Beobachterin. Nicht nur, aber z. B. auch aus queerfeministischer und migrantischer Perspektive. Die Texte sind komprimierte Gedanken, sie bilden eine Art „dystopic diary“ der letzten beiden Jahre. Ich sehe die Platte allerdings nicht nur als Anklage. Bei aller Düsternis steckt z. B. auch viel Sarkasmus und Humor in ihr. Bei „I was dying“ zum Beispiel, stelle ich mir mein eigenes Begräbnis vor. Ich liege in einem Sarg, stecke dabei aber in einem Hot-Dog-Kostüm.
Wie schätzt du – vor allem in den musikalischen Gefilden, in denen du dich bewegst – die Lage von Frauen bzw. Nicht-Heteronorm-Männern ein? Wie viel direkte oder strukturelle Diskriminierung nimmst du wahr?
In meinem ganz nahen Umfeld sind wir, denke ich, ziemlich aufgeklärt. Wir begegnen einander als Menschen, oder auch Nicht-Menschen, als Außerirdische von mir aus, jedenfalls gleichgestellt.
In anderen Kontexten passieren manchmal immer noch haarsträubende oder irrwitzige Dinge: Da beugen sich schon mal drei Tontechniker über mein Equipment und fragen sich eine Viertelstunde lang, ob das Mädchen alles richtig verkabelt hat, bis sie draufkommen, dass der Mainmix auf „Mute“ gestellt war. Gesellschaftlich ist Diskriminierung nach wie vor stark vorhanden. Wenn ich das aktuelle politische Geschehen betrachte, bekomme ich leider den Eindruck, dass wir gerade erst einen Schritt auf etwas Schöneres hin gemacht haben und jetzt wieder zwei zurückgehen. Nicht nur, was Chauvinismus und Homophobie betrifft. Erkämpfte Rechte können erschreckend schnell wieder abgesprochen und entzogen werden.
Du hast immer wieder auch in Linz zu tun. Abgesehen von den Konzerten, die du hier spielst, warst du z. B. in der Jury des imPULS-Innovationstopfes oder hast vor kurzem eine Klanginstallation im Lentos gezeigt. Was ist dein Eindruck der hiesigen Sub-/Kulturszene?
Für mich ist Linz eigentlich eine super Stadt. Es passiert viel. Es gibt spannende Locations wie die Kapu, die Stadtwerkstatt oder auch das Lentos. Und tolle Festivals wie das Crossing Europe. Auch in der Umgebung gibt es großartige Initiativen. Beispielsweise in Ottensheim, Wels oder Ulrichsberg. Das ist ein richtiger creative pot mit extrem viel Potential. Es kommen viele fantastische Musiker*innen aus der Gegend. Aber ich habe den Eindruck, dass die Stadt bzw. das Land, das nicht wirklich checken. Das trägt wohl oft dazu bei, dass ein Exodus passiert, der unter anderen Bedingungen nicht stattfinden würde.
Maja Osojnik – Let Them Grow
Doppel Vinyl (rock is hell) & CD (unrecords)
mo.klingt.org
maja.klingt.org
www.rockishell.com
www.unrecords.me
Präsentationen in Linz:
27. 04. Stadtwerkstatt (mit Patrick Wurzwallner)
04. 06. Kapu (Solo)