Soziales Design als illustrierter Aktivismus: Silke Müllers ausdrucksstarke Plakate verschönern die graue Fadesse von Linz – speziell die alljährlichen zu Feminismus & Krawall. Rollenklischees haben ausgedient, ebenso Beschränkungen im Stil. Christian Wellmann versucht dem Namen Silke Müller ein Bild in Worten zu geben.
Auf keinen einheitlichen Stil festgelegt, illustriert Silke Müller am liebsten zu gesellschaftspolitischen Themen, Frauenrechten und Ökologie. Sozial engagiert und mit Charme. Bevorzugt werden äußerst lebendige Menschen (starke Frauen!), Pflanzen und Tiere entworfen – für Poster, Zeitungen und Magazine (Augustin, Das Magazin/Berlin, Datum etc.). Vieles mit Ausziehtusche und Pinsel, in dicken, schwarzen Konturen, manchmal auch digital – die Arbeitsweise ist einem stetigen Wandel unterzogen. Zudem Arbeiten u. a. für die Stadt Linz, Time’s Up, Nordico, Kulturquartier OÖ, pro mente – sowie Ausstellungen, wie zur Frankfurter Buchmesse (100 Frauen, 2018, das Buch erschien bei Jacoby & Stuart) oder Artist-in-Residence-Aufenthalte (Klaipeda/Litauen). Wer in Linz (und anderswo) auf Plakate achtet, auch diesen Menschenschlag soll es noch geben, sollte die Augen bereits des Öfteren auf ihren wirkungsvollen Sujets ausgerastet haben.
Homebase ist das Atelier im HolzHaus, in der namensspendenden Holzstraße in Linz. Diese Ateliergemeinschaft, mit sechs geteilten Ateliers und derzeit 11 KünstlerInnen, nimmt dort ein ganzes Stockwerk ein. Im Hof werden Mülltonnen des gegenüberliegenden Schlachthofs ausgespült, aber wo Elend, da auch Jauchzen im HolzHaus: Zwetschgen können direkt vom Küchenfenster gepflückt werden. Der Offspace ist zugleich Kulturverein, mit einem Projektraum, offen für externe Ausstellungen oder Konzerte. Neben Epileptic Media waren dort in letzter Zeit Ausstellungen von Franziska Wiener oder eine Präsentation von sechs Skizzenbüchern (An einem Sommer im August), an der die HolzHaus-Obfrau Müller beteiligt war, zu sehen. Aktuell gibt’s die Dezember-Ausstellung – Hey, schau vorbei! – Infos siehe unten. Sie genießt es, in so einem Haus ihren Zeichentisch zu beackern, wo ein Einverständnis von Menschen vorhanden ist, die sagen: „Ich will von dem leben, was ich mir ausdenken kann.“ Das Atelier teilt sie sich mit der Kostüm- und Bühnenbildnerin Leonie Reese. Mit ihr pflegt sie das Trash-„Fetisch“-Hobby „Elsa im Holzhaus“: Bei geschenkten Möbeln war u. a. ein Holzschaukelpferd dabei, die Elsa – daraus begann ein Sammeln von Pferdedeko, eher Kitschpferdesachen vom Flohmarkt (check Tumblr-Seite, s. u.).
Von der Ostsee in die Donau
Müller kommt von Rügen, der Ostseeinsel, einem Dorf mit 29 EinwohnerInnen, und beschreibt ihre ersten Schritte dort wie folgt: „Ich habe großes Glück gehabt, unsere Nachbarin war Grafikerin, die hat viel Tiefdruck und Radierungen gemacht. Bei ihr durfte ich zwei Tage die Woche sein, statt im Kindergarten. Ich hab ganz viel von ihr gelernt, da hab ich quasi angefangen zu zeichnen. Die hat vorgelebt, dass man vom Zeichnen leben kann.“ Sie hat dann Mediengestalterin in einer kleinen Agentur auf Rügen gelernt, die Tourismuswerbung gemacht hat und sie auch illustrieren ließ, danach folgte ein Kommunikationsdesign-Studium in Wismar. „Ende des Sommers 2009 bin ich nach Linz, alles war toll, wie das Gelbe Haus, die vielen Ausstellungen. Irgendwie alles so charmant und schön, ich bin dann relativ schnell beim Strom gelandet, und dann dachte ich, hier kann ich auch wohnen.“ Über ein EU-Projekt, Leonardo, kam sie zu Radio FRO. Auch jetzt macht sie noch Sendungen, selten und meistens mit Petra Moser, wie 2019 für das Ottensheim-Festival. „Anfangs hab ich für den Kultur- und Bildungskanal Beiträge gemacht, viele Porträts, dann auch Grafik, Plakate. So bin ich auch in der Stadtwerkstatt bekannt geworden: ‚Ah, die kann ja auch ein Plakat machen‘ …“
Illustrierter Aktivismus
Etwas, mit dem ihre Arbeit gut beschrieben werden kann, ist Social Design, das Gestalten für NGOs oder politische Anliegen, nun ein neuer Studienlehrgang an der Angewandten Wien. „Ich habe bei FRO gemerkt, es liegt mir selber am Herzen, dass Illustrationen einen sozialpolitischen Antrieb haben können und es nutzt, ein Anliegen zu vertreten. Bei mir ist das ein großer Motivator, wie ich mitbeeinflussen kann, wie Menschen auf etwas blicken. Wie sind Frauen abgebildet, wie werden Familien dargestellt. Es ist wichtig, Sachen anders abzubilden, jenseits von Rollenklischees. Körperformen in der Bandbreite, wie es uns gibt, darzustellen. Ich find es ganz schlimm, wenn Illustrationen Frauenbilder immer reproduzieren, wie im Großteil der Frauenzeitschriften. Wie Erwartungen an Frauen aussehen, ob Frauen kurze oder lange Haare haben, Beinhaare oder nicht. Das ist ein Klassiker, dass die KundInnen sagen: „Schöne Illu, aber die Beinhaare müssen weg!“ Das kann auch von Menschen kommen, von denen man das nicht erwartet … dieses in konservativen Bildvorstellungen festhängen.“ Als Illustratorin kann sie das mitbestimmen. Dies zu nutzen, ist ihr ausgesprochen wichtig. Sie arbeitet für niemanden, wo sie nicht mitträgt, was diejenigen machen.
Der Kampf geht weiter!
Den Frauentag hat Müller in Linz als großes Lerngeschenk erfahren: „Ich bin in der DDR sozialisiert, da war Frauentag, dass Frauen eine Blume bekommen. Es hieß: wir feiern die Frauen, weil sie genauso starke und ‚nützliche‘ ArbeiterInnen sind, wie alle anderen Personen auch. Beim Mauerfall war ich noch Jungpionierin, bevor ich das rote Halstuch bekommen hätte, fiel die Mauer. Ich bin dankbar, dass es keine Mauer mehr gibt, und ich nicht in diesem System aufwachsen und in diesem Gehorsam mein Leben verbringen musste. In Linz habe ich auch kennengelernt: das ist auch ein Frauenkampftag, wo man sichtbar macht, dass ein Kampf für Frauenrechte stattgefunden hat und immer noch stattfindet. Ich habe Feminismus & Krawall jetzt seit sieben Jahren begleitet, und die Plakate dafür gemacht. Ich will Plakate gestalten, wo es nicht um einen lieben Feiertag geht, sondern darum, sich für etwas stark zu machen. Und es darum geht, starke Frauen abzubilden oder ein politisches Plakat zu machen … Wo klar wird: das ist ein gesellschaftspolitisches Anliegen, wir machen jetzt nicht nur ein Konzert und eine Party. Für mich war es ein totales Geschenk, die machen zu dürfen.“
Nein zum Ein-Stil
Ihre Vorlieben sind zwei-, dreifarbige Arbeiten – bunt sind sie nie. Eine dunkle Kontur ist fast immer da, ganz selten nicht. Es gibt drei, vier unterschiedliche Arbeitsweisen, die sich immer wiederholen, aber auch zum Nachteil für Kommerzialität geraten können. „Bei Illustrationen sagt man oft: wegen ihrem Stil gebucht, deswegen versuchen die meisten Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, dass die Illustrationen immer gleich aussehen. Mich langweilt das.“ Zurzeit macht es ihr auch unheimlich viel Spaß mit dem Grafiktablett zu zeichnen. „Sowas wie die Zufälligkeit von Wasserfarben lässt sich aber digital nicht generieren – oder der Dreck auf den Zeichnungen, wie vom Kohlepapier. Ich möchte mich nicht beschränken, daher habe ich so viele unterschiedliche Arbeitsweisen, die sich im Laufe der Zeit verändern.“
Mit dem Autor (und Vokalisten) Stephan Roiss reichte sie bei der Akademie Graz eine Arbeit für einen Graphic-Novel-Wettbewerb ein, die prämiert wurde. Es entstanden die zwei Zines Bergen und Hafen (Anm.: als Trilogie geplant. Lieber Stephan, falls du das hier zufällig lesen solltest: Vollende doch bitte!). Verpackt in szenische Lesungen, die von Manuel Stadler musikalisch begleitet wurden – dazu ließ sie die Webkamera hubschraubergleich über die gezeichneten Berge fliegen. Zu einer solchen Lesung kam Tim Boykett von Time’s Up, der sie danach einlud, auch mal für sie zu zeichnen. Daraus wuchs eine langjährige Zusammenarbeit, das erste Mal für Mind the Map, wo Müller ein Tagebuch zum Thema Migration illustrierte, das sich mit Praktiken der europäischen Asylpolitik, insbesondere mit den Flüchtlingsbewegungen im Mittelmeer, auseinandersetzte.
Danach gestaltete sie bei der Turnton-Ausstellung im Lentos die Medusa Bar sowie kraftvolle einseitige Illus für das 20-Jahre-Jubiläumsbuch von Time’s Up (Lückenhaft & Kryptisch, 2018). Drei davon sind auch als Risoprints erhältlich – ein erster Test mit der (sehr individuellen und haptischen) Risotechnik.
Mit der deutschen Kinderbuchillustratorin Tine Schulz verbindet sie eine langjährige Freundschaft. Der Austausch hält an, sei es durch Projekte (wie die oben erwähnten Skizzenbücher), oder durch die unterschiedlichen Bereiche, in denen die beiden illustrieren. „Ihre Sachen sind lustig. Die meisten Sachen, die ich mache, sind überhaupt nicht lustig, vielleicht ganz selten. Ich arbeite für ganz viele Menschen, wo die Themen eigentlich nicht lustig sind“, so Müller. Auch Comics macht sie sehr gerne – oft nebenbei, von Beobachtungen.
Aktuell ist Silke Müller bei einer Ausstellung in Graz (Arm in Österreich) beteiligt, mit Zeichnungen für Katalog und Reader, sowie mit Figuren in der Ausstellung. Zum 20-Jahre-Stadtmuseum-Leonding-Jubiläum machte sie aus einer 2D-Zeichnung ein 3D-Objekt: den Turm gibt es ganz frisch als goldenen Pin – erhältlich im Stadtmuseum.
Jedes Jahr erscheint ein Wandkalender zu einem bestimmten Thema, wie 2018 über zivilcouragiertes Handeln. Nun gibt es ihn in einer Neuauflage, da er ihr so wichtig ist, dass sie ihn noch einmal machte. „Gerade bei sexuellen Belästigungen oder rassistischen Übergriffen, wenn man so etwas beobachtet oder wenn das einem selber passiert … Da weiß man oft überhaupt nicht, was man machen soll und ist so hilflos, und im Nachhinein fällt einem dann ein, was man hätte machen können. Der Kalender ist als Leitfaden zu sehen, wie man reagieren oder einschreiten kann. Oder der Kontakt zur Person, die angegriffen wird … dass man nicht mit dem Angreifenden spricht, sondern sich mit der Person solidarisiert, die belästigt wird. Auf die Monate verteilt, gibt es immer eine Illu, und dann ist beschrieben, wie man jetzt sprechen oder unterstützen kann.“ Zu bestellen ist der Kalender in ihrem Webshop oder direkt im HolzHaus abzuholen.
www.silkemueller.net
www.instagram.com/silke.mueller.illustration
elsa-im-holzhaus.tumblr.com
www.dasholzhaus.at
www.museum-joanneum.at/museum-fuer-geschichte/ausstellungen/ausstellungen/events/event/8774/arm-in-oesterreich-1
HolzHaus-Dezember-Ausstellung:
noch bis 11. Dezember 2019
Eine Ausstellung mit allen, die aktuell im Holzhaus arbeiten: Ahoo Maher, Julia Hinterberger, Yara Lettenbichler, Silke Müller, Leonie Reese, Franziska Wiener, Katharina Grafinger, Melanie Moser, Maxi Kumpf