Als die Linzer Musikinitiative Musik im Raum (MIR) 2010/11 begann, Konzerte zu programmieren und zu realisieren, verstand sie sich vor allem als eine Plattform, die es MusikerInnen und KomponistInnen ermöglichen wollte, möglichst niederschwellig eigene Werke und Programme umzusetzen. Georg Wilbertz und Karen Schlimp geben einen Über- und Innenblick von MIR und das heurige Thema [körper_playful(l) bodies].
Neben den arrivierten Institutionen und Veranstaltern (Brucknerhaus, Bruckneruni etc.) existier(t)en im Linzer Raum nur wenige Möglichkeiten zeitgenössische Musik und Improvisation zur Aufführung zu bringen. MIR wollte unter größtmöglicher Freiheit aller Beteiligten (womit bis heute ausdrücklich auch das Publikum gemeint ist) diese Lücke zumindest ein wenig schließen.
MIR verstand sich in der Frühphase vor allem als eine Initiative zur Ermöglichung musikalisch-künstlerischer Aufführungen, wobei von Anfang an eine Einschränkung auf bestimmte Gattungen, Genres oder Kunstformen bewusst vermieden wurde. Bis heute ist die MIR-Arbeit durch eine weitgefasste, über ein bloßes Lippenbekenntnis hinausgehende Interdisziplinarität gekennzeichnet, die neben Musik, Klang und Geräusch das Zusammenspiel mit Literatur (Text, Sprache, Lyrik), bildender Kunst, Performance, Bewegung, Tanz, Körper etc. sucht und in idealen Momenten findet. Nimmt man die in vielen Konzerten einbezogenen außereuropäischen kulturellen Bezüge hinzu, ergibt sich ein komplexes Beziehungs- und Bedeutungsgeflecht, das trotz der bescheidenen Mittel, die MIR zur Verfügung stehen, zu jährlichen, anspruchsvollen Konzertprogrammen führt.
Die Idee der Ermöglichung wurde in den ersten Jahren durch „call for concerts“ umgesetzt. Musikschaffende konnten zu von MIR ausgearbeiteten Jahresthemen Konzepte und Werke einreichen, aus denen in der Folge das jeweilige Jahresprogramm von einer Jury zusammengestellt wurde. Diese Herangehensweise erwies sich schon bald als zu aufwändig, und brachte MIR zunehmend in die kaum mehr bewältigbare und dauerhaft unbefriedigende Rolle eines ehrenamtlich agierenden Konzertveranstalters. Eigene musikalisch-künstlerische Projekte rückten hinter die organisatorische Arbeit.
Seit einigen Jahren hat sich diesbezüglich das Selbstverständnis von MIR gewandelt. Das Kernteam der Gruppe entwickelt ein Jahresthema, das den Konzerten als Grundlage dient. Organisation und Durchführung der jeweiligen Konzerte werden einzelnen Mitgliedern übertragen, Gäste (Instrumentalisten, SängerInnen, SchauspielerInnen, TänzerInnen etc.) zur Mitwirkung eingeladen. Vereinzelt bestreiten Gastensembles Konzerttermine komplett. Auf diese Weise hat sich in den letzten Jahren der Pool der beteiligten KünstlerInnen und damit der musikalisch-klanglichen Möglichkeiten für MIR stetig erweitert.
In Themen denken, Konzepte realisieren
Nach wie vor ist es problematisch und durchaus diskurswürdig, künstlerische Arbeit in ein thematisches Korsett zu zwängen. Auch MIR hat hierüber lange und intensiv diskutiert und ist sich der damit verbundenen Einschränkung künstlerischer Freiheit und Gestaltung bewusst. Insgesamt hat sich das Denken (und Gestalten) in Themen allerdings bewährt. Es führt nicht nur zu einer – durchaus hilfreichen – inhaltlichen Konzentration, sondern wurde zum auch öffentlich wahrgenommenen Kennzeichen: der Realisierung von musikalisch-klanglichen Konzepten. Zwar spielen vereinzelt auskomponierte Werke oder als Gegenpol zu diesen die vollkommen freie Improvisation in Konzertprogrammen noch eine Rolle. Im Mittelpunkt steht allerdings seit längerem eine Aufführungspraxis, die sich wesentlich auf das Prinzip des Konzeptes stützt. Im Verständnis von MIR nimmt das musikalische Konzept eine Zwischenstellung zwischen auskomponierten Werken und reiner Improvisation ein. Das Denken und Arbeiten in Konzepten ermöglicht beides: das Festlegen von Ideen, Abläufen und Strukturen wie auch das freie, assoziative Improvisieren. Beide Ebenen treffen in den Konzerten aufeinander, ergänzen, verdrängen oder überlagern sich, entwickeln sich im Extremfall zur akustischen Konfrontation. In welcher Dosierung, mit welchen Anteilen und Elementen dieser nur in Teilen vorhersehbare Spielprozess abläuft, bleibt – zumeist – weitestgehend offen, wodurch nicht nur lebendig-dynamische Momente und Stücke entstehen. Wesentlich ist eine konzentrierte, das gegenseitige Hören und Reagieren fordernde Haltung der Ausführenden. Musikalisch-spielerische Interaktion, die sich im Ideal des unumkehrbaren Moments realisiert (was durchaus auch Augenblicke des Scheiterns einbezieht), wird zum grundlegenden Prinzip. Vom Publikum fordert diese Herangehensweise eine vergleichsweise hohe Konzentration, die allerdings durch besondere Hör- und Seherlebnisse belohnt wird.
Räume entdecken
Der elementare Konnex von Raum und Klang (Musik) ist eine allseits bekannte Tatsache. Für MIR stellen die für Konzerte genutzten Räume einen grundlegenden Rahmen und eine wesentliche Inspiration für die jeweiligen Programme, ihre inhaltliche Ausrichtung und die Besetzungen dar. Jeder Raum wird sorgsam ausgewählt, auf seine Wirkung und seinen Zusammenhang (funktional, semantisch, klanglich etc.) zum jeweiligen Konzept hin überprüft. Dabei spielen auch kaum „messbare“, intuitive Aspekte wie Atmosphäre oder Aura eine wesentliche Rolle. Ziel ist dabei nicht das ausschließlich harmonische, affirmativ klangliche Schönheit evozierende Zusammenspiel zwischen Raum und Aufführung. Gleichbedeutend können auch Gesichtspunkte wie Konfrontation, Aggression, Widerspruch etc. bei der Raumwahl ausschlaggebend sein. So wurde beispielsweise 2018 ein Konzert in der Linzer Hinsenkamp-Passage zur klanglich-atmosphärischen Herausforderung für Musiker, Sprecher und ZuhörerInnen. MIR möchte letztendlich auf diese Weise neue Räume für das Publikum „entdecken“, klanglich-künstlerisch erforschen und den Orten – zumindest für die Dauer des Konzerts – eine neue musikalisch-inszenatorische Identität einschreiben.
Aktuell: Körperfragen
Nachdem in den letzten Jahren u. a. Programme zum Zusammenhang von Wort, Ort und Klang oder zur Frage der Aktualität von klanglich-musikalischer Sakralität gestaltet wurden, widmet sich MIR 2019 mit dem Thema „playful(l)_Bodies“ verschiedenen Aspekten des Verhältnisses von Musik, Klang, Raum, Körper und Bewegung. Das Verhältnis des Individuums zu seinem Körper ist komplex, widersprüchlich, lust- und angstvoll. Körper werden gepflegt, geheilt, gequält, verbessert, inszeniert, zerstört, präpariert und vergessen. Der Körper ist mehr als die äußere Erscheinung unserer Existenz. Er vermittelt unser Sein in die Welt, resorbiert das Außen, generiert aus sinnlichen Reizen Emotionen, Befindlichkeiten, psychologische Pathologien. Und er handelt. Für all dies braucht der Körper den Raum, kann ihn „beherrschen“ oder von diesem beherrscht werden. Ebenso essentiell ist das Wechselverhältnis von Körper und Klang (Musik). Musik führt – manchmal unausweichlich – zur Bewegung des Körpers. Bewegende Musik kann missbraucht werden, Körper in Bewegung auch.
MIR möchte heuer mit „playful(l)_Bodies“ diese essentiellen Grundverhältnisse und Paradigmen exemplarisch erkunden, künstlerisch interpretieren und sowohl akustisch wie auch visuell expressiv zum Ausdruck bringen. Dabei greift MIR bewusst auf tradierte und „klassische“ Formen zurück und verortet die Konzerte im durch die Moderne widerspruchsvoll geprägten Spannungsfeld von Körper- und Bewegungskult, Tanztheater und Performance.
TREE_TALK:
14. 09. 2019, 17.00 Uhr
am Baum mit bekanntem Linzblick (hoch über der Donau beim Schlosspark-Kinderspielplatz) Mitwirkende: Barre Phillips (Kontrabass), Klaus Hollinetz (Field Recordings), Karen Schlimp (Klavier & Leitung, Konzeption „Klavier im Baum“)
FAKE_BODIES:
17. 11. 2019, 20.00 Uhr
afo Linz (Herbert-Byer-Platz 1, 4020 Linz)
Mitwirkende: Karin Küstner (Akkordeon), Georg Wilbertz (Schlagwerk), Joachim Rathke (Rezitation)
FLOW MOTION:
01. 12. 2019, 19.00 Uhr
Red Sapata (Tabakfabrik, Ludlgasse 19, 4020 Linz)
Mitwirkende: Klaus Hollinetz (Komposition), Werner Puntigam (Komposition), Tänzer*innen IDA / Anton Bruckner Privatuniversität