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Überwachen und Strafen

By   /  30. August 2019  /  No Comments

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Shu Lea Cheang kooperiert im September bei der Showcase-Extravaganza STWST48 mit der Stadtwerkstatt. Parallel dazu läuft immer noch ihr Beitrag bei der Biennale in Venedig. Sarah Held hat Shu Lea Cheangs Biennale-Arbeit gesehen und schreibt zu 3X3X6 – und künstlerischem Responding auf Unter­drückungsmechanismen.

Der Überwachungs-Dummie am Eingang. Foto Sarah Held

Shu Lea Cheang vertritt mit ihrer Arbeit „3X3X6“ den taiwanesischen Pavillon auf der 58. Biennale in Venedig. Die in Europa lebende Künstlerin mit taiwanesischen Wurzeln arbeitet mit variationsreichen Medien wie Performance, Net Art, Videoinstallation, Kunst im öffentlichen Raum und ist neben ihrer künstlerischen Arbeit auch als Filmemacherin (z. B. „Fluid0“, 2017) tätig. Sie wird mit ihrer Arbeit „BRANDON“ (1998–1999) als Pionierin der Net Art benannt, diese Arbeit gehört zur Sammlung des Solomon R. Guggenheim Museums, New York City. Thematisch beschäftigt sich Cheang kritisch mit verschiedenen soziopolitischen Dimensionen von Gesellschaft in Korrelation mit wirtschaftlichen Faktoren, geographischem Raum und der (Neu)definierung von Geschlecht, Geschlechterrollen sowie den damit zusammenhängenden kulturellen Mechanismen, die Diskriminierungen und Ausschlüsse begünstigen. Ihre Arbeiten können als Interventionen in tradierte Denk- und Wahrnehmungsmuster gelesen werden. Gemeinsam mit Kurator Paul B. Preciado hat sich Shu Lea Cheang auf der diesjährigen Biennale der Schnittstelle von Überwachen und Strafen, (vermeintlich) devianter sexueller Orientierung und Identitätskonstruktionen außerhalb zäher und starrer Binarismen angenommen.
Die Biennale zeigt die Arbeit nicht im Arsenale, wo das Gros an Pavillons verschiedener Vertreter*innen unterschiedlichster Nationen zu sehen ist, sondern im Zentrum von Venedig. Nur einen Steinwurf vom touristischen Treiben am Markusplatz, neben dem Dogenpalast, liegt direkt am Pier der Palazzo delle Prigioni neben der bekannten Seufzerbrücke. Er gehört zum Gefängnistrakt, in den auch der Legende nach die seufzenden Inhaftierten gehen mussten. So spiegelt sich in der Historizität des Ausstellungsraums auch ein Teilkonzept der künstlerischen Intention Cheangs bezüglich gesellschaftlicher und staatlicher Repressions- und Sanktionierungsmechanismen. Die Referenz auf Foucaults gefängnistheoretische Auseinandersetzung wird in diesem Artikel durch Raum und Thema der Ausstellung gar obligatorisch. Das Thema von Überwachung und Abstrafung prägt „3X3X6“. Bereits beim Betreten des Gebäudes passiert man einen künstlichen Dummy-Portier in einem hölzernen (Über)Wach(ungs)häuschen, der als visueller Vorbote auf Kontrollstrukturen dient, denn wer die Arbeit besucht, wird gleichzeitig von zwei 3D-Kameras gescannt und aufgezeichnet. Eine Datenschutzerklärung weist daraufhin, dass die ermittelten visuellen Daten zwar gespeichert werden, aber die einzelnen Personen unkenntlich gemacht und die Daten nur im Rahmen der Installation auf der Biennale verwendet werden.
„3X3X6“ ist im Mezzanin des Palazzos in drei Raumeinheiten eingeteilt. Die Arbeit wird über „Room A“ betreten, dort finden die Besucher*innen panoptisch angelegte Projektionsstellwände, die implizieren, sich als Besucher*in in deren Mitte zu stellen. Es werden Menschen gezeigt, deren Bewegungsmuster sich immer wieder zwischen realer Abbildung und metrischer 3D-Morphierung transformieren. Kurator Paul B. Preciado beschreibt die Intention dieses Raums folgendermaßen: „Here, gender and racial morphing become queer digital strategies to disrupt the tradition of colonial and anthropometric identification techniques, extending from Alphones Bertilon’s criminological photography of the nineteenth century to today’s facial recognition technologies.“ Mit dieser Inszenierungspraxis kritisiert die Künstlerin rassistische und von Homophobie geprägte Rasterfahndungen. Auf Raum B/C wird im Folgenden detaillierter eingegangen, der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle Raum D aufgeführt, in dem die technische Kontrolleinheit, der Server, der das Ausstellungsprojekt steuert, inszeniert ist.
Die Räume B und C sind V-förmig angelegt, miteinander verbunden und laden die Besucher*innen ein, zwischen zehn auf dem Boden installierten Monitoren um­her­zugehen. Im dunklen Raum zeigt Shu Lea Cheang Kurzclips von zehn Personen, die aufgrund von sexueller Begierde, Krankheit oder Handeln inhaftiert wurden und/oder von weiteren Repressionsformen betroffen waren. Die Beschaffenheit des Raums mit seinem massiven Mauerwerk erzeugt eine Kerkeratmosphäre. Die Assoziation altertümlicher Gefängnisräumlichkeiten wird auch stark von den zudem popkulturell induzierten und internalisierten Vorstellungen von solchen Räumlichkeiten gefördert. Die Bildschirme zeigen poppig-schrille Clips von historischen Persönlichkeiten, wie „Casanova X“ und „Sade X“, über „Foucault X“, sowie Menschen, die durch kontroverse Delikte auffällig geworden sind. Beispielsweise „B X“, eine Frau, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, weil sie ihrem Mann nach wiederholter Vergewaltigung den Penis abtrennte und im Müllschredder im Waschbecken entsorgte. Weiters sieht man die Person („MW X“), die sich von Armin Meiwes essen lassen wollte, letzterer wurde in den Medien als Kannibale von Rothenburg bezeichnet. Die letzte Installation beschäftigt sich mit einer Gruppe Frauen („FSB X“) aus Südafrika, die für „harvesting sperm“1 von Männern verurteilt wurden.2
Die Körper-Raum-Beziehung, die die Installation erzeugt, ist – kaum verwunderlich – von Beklommenheit gefärbt. Dafür sorgt einerseits der Gefängnistouch des physischen sowie des metaphysischen Raums, der durch die Inhalte der Videoinstallationen erzeugt wird. Diese zeichnen sich durch mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten aus als nur den offensichtlich gemeinsamen Nenner „X“. Alle Akteur*innen in den Videoclips wurden wegen sexueller Begehren (staatlich) verurteilt. Klammert man die unterschiedlichen Verstöße gegen das Strafrecht der einzelnen Delikte aus, geht es bei allen um eine Verletzung der Entscheidungsfreiheit und staatliche Bevormundung.
Cheang bedient sich bei der Inszenierung ihrer, von der Gesellschaft als deviant gelabelten Subjekte, einer Verqueerungsstrategie, indem die Darsteller*innen häufig mit dem Original brechen. So wird „Sade X“ von einer dicken Frau verkörpert oder „B X“ ist eine Drag-Queen. Während die Arbeit nicht an explizitem Material geizt, wird auch an dieser Stelle immer wieder mit den Erwartungshaltungen der Rezipient*innen gebrochen, wenn beispielsweise die Armin-Meiwes-Figur das Innenleben eines Computers verspeist, anstatt einen abjektiv inszenierten Penis.
Der Künstlerin gelingt es durch die Arbeit, beispielsweise mit verspielt-schriller Video­ästhetik, die thematisch schwer konsumierbaren Inhalte auf ironisch bis witzige Weise darzustellen. Das kann durchaus als vereinfachte Zugänglichkeit zum Thema verstanden werden. Die Inszenierungspraxis der Ausstellung spiegelt ein aktuelles Zeitgeistphänomen. So zeichnet sich ein Spiel mit dem Austauschen von Kunst und Popkultur ab. Scheinbar erfüllt die Arbeit alle Diversitätsanforderungen, es werden nicht-normative Körper gezeigt, es findet Genderbending statt, Rollen werden getauscht, karikiert und überzeichnet. Beispielsweise „Foucault X“ ist als stereotyper „Lederschwuler“ mit Ketten im Dungeon zu sehen.
Allerdings finden die eigentlich queeren Momente woanders statt, worauf auch Preciados kuratorischer Kommentar verweist. Diese zeigen sich in der ästhetischen Referenz auf eigene Arbeiten (z. B. „Fluid0“), in unerwarteter Inszenierung, hyperbolischen Bildsprachen bestehend aus Animationen, die sich bewusst auf einem Lo-Fi-Level und die 90er Jahre anlehnen, z. B. beim zerhäckselten Penis oder der „BX“-Persiflage einer rollenkonformen Hausfrau aus Formaten wie der „Donna Reed Show“. Weiters in der slapstickhaften Darstellung von schwer verdaulichen Inhalten unter Verwendung von GIF-überladener Social-Media-Ästhetik von „FSB X“. Genau diese, den traditionellen Blick verqueerende Perspektive erzeugt in der Inszenierung der Ausstellung eine quietschbunte queer-feministische Transformation, die von einer gar bissig-morbiden bis dissoziativen Komik geprägt ist. Ähnliche Bildsprachen und Ästhetiken findet man beispielsweise auf der diesjährigen Transmediale, die stark vom Aufgreifen von Web-2.0-Ästhetiken aus Instragram, Snapchat und vor allem Retro Net Art und Cyberfeminismus geprägt war, in der Arbeit „Ghosts“ von Christa Joo Hyun D’Angelo, die gerade in der Berliner Galerie im Turm gezeigt wird oder Tabita Rezaires Arbeit „Ultra Wet – Recapitulation“ in der Ausstellung „Hysterical Mining“, Kunsthalle Wien.
„3X3X6“ öffnet viele Fragen und Denk­räume, wesentlich mehr als dieser Artikel aufzeigt. Abschließend kann mit einem zwinkernden Auge aufgeführt werden, dass einige Betrachter*innen vielleicht die Inszenierung von Foucault in Leder und Ketten im BDSM-Dungeon zu offensichtlich, vielleicht sogar etwas flach erscheint, wenn in „Foucault X“ die foucaultsche Machttheorie rezitiert wird, aber das in Korrelation mit Ausstellungsraum und der hyperbolischen und subversiv-affirmativen Arbeitsweise Shu Lea Cheangs auch schon wieder Sinn macht, vielleicht sogar fehlen würde.

 

1 Quelle: Videoinstallation zu „FSB X“.

2 Weitere Adaptionen von realen Fällen können der Begleitbroschüre zur Ausstellung entnommen werden.

Shu Lea Cheangs Biennale-Arbeit: 3x3x6.com
Shu Lea Cheang diesen September in Koop mit STWST: stwst48x5.stwst.at

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  • Published: 5 Jahren ago on 30. August 2019
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  • Last Modified: August 30, 2019 @ 12:22 pm
  • Filed Under: Kunst und Kultur

About the author

lebt in Wien und hat über textile Interventionskunst zum Sichtbarmachen von sexualisierter Gewalt und Femicides promoviert. Zur thematischen Entspannung unterrichtet sie an verschiedenen österreichischen Universitäten  queer-feministische Pornografie. In ihrer Freizeit ist sie gern in Sachen Girl Gangs against Street Harassment unterwegs.

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