Die Herstellung von Öffentlichkeit
Die Referentin #42
Anfang November 2025 verwandelte der Kulturverein qujOchÖ den öffentlichen Raum von Linz in ein Plakatfestival – und damit in eine temporäre Bühne für künstlerische Ausdrucksformen und gesellschaftliche Sichtbarkeit. Das Projekt machte auf das ewige Thema der raren freien Plakatierflächen aufmerksam. Tanja Brandmayr spannt den Bogen von den frühen 1980ern bis jetzt.

Während der Plakatausstellung PLAKATropolis an mehreren Orten in Linz verteilt. Foto Die Referentin
Freies Plakatieren ist wohl eines der zeitlosen Themen, mit denen Kulturinitiativen und Aktivist:innen immer wieder beschäftigt sind, weil einerseits: ein Klassiker im Bestreben nach Sichtbarkeit der eigenen kulturellen Tätigkeit, andererseits: weil der öffentliche Raum größere gesellschaftspolitische Thematiken von Fragen von Öffentlichkeit, Sichtbarkeit, Zugängen etc. aufwirft. Manches Mal trifft das Aufbrechen von neuen Szenen und das sofortige Bedürfnis nach Regulierung auf bemerkenswerte Weise in Verordnungen und Zeitpunkten zusammen – wie etwa die Plakatierverordnung der Stadt Linz, die 1983 in Kraft getreten ist und als solche 2019 vom Verfassungsgerichtshof gekippt wurde.
Da die Thematik grundsätzlich diplomarbeitsfähig ist, ein paar Gedanken aus dem Blickwinkel der Stadtwerkstatt, um anhand einiger Punkte konkret werden zu können. Damit beginnen wir mit der Plakatierverordnung von 1983 und einem leicht spekulativen Ansatz: Die Stadtwerkstatt hat seit ihrer Gründung 1979 in der Stadt Linz zu plakatieren begonnen. Es geht die Saga, dass Peter Baum, der damalige Leiter der Neuen Galerie der Stadt Linz, die später zum Lentos wurde, schon früh diese Plakate gesammelt habe; angeblich sogar von den Plakatwänden herunter – und ich konnte mich selbst von mehreren Dutzend STWST-Plakaten im Lentos-Archiv überzeugen, darunter tatsächlich einige Abrisse. Der Wert des Plakates als künstlerisches Medium sei damit unterstrichen, und: Die Tätigkeit der aufbrechenden aktivistischen Szenen, jener Szenen, die vom konservativen und postnationalsozialistischen Mief der damaligen Stadt die Schnauze voll hatten, und andere Vorstellungen von Kultur, führte anscheinend direttissima dazu, dass die Behörde in den frühen 80ern reagiert hat: Natürlich waren es mehrere Initiativen, die zu der Zeit mit aktivistischen und neuen kulturellen Inhalten plakatiert haben. Aber dass etwa 1984 die STWST-Ausstellung „Das optische Megaphon“ stattfand, eine Ausstellung dieser frühen STWST-Plakate in der damaligen Galerie Maerz, interpretiere ich in dem Zusammenhang beinahe so, dass die STWST bereits damals ein Statement abgeben hatte, dass Plakatieren im öffentlichen Raum quasi schon nach der damals neu installierten Plakatierverordnung 1983 museal geworden sein soll. Das war es natürlich nicht. Aber bis 2019, als der VfGH die Verordnung aufhob, sollte einige Zeit vergehen. Und der Bedarf nach freien Plakatierflächen ist sicher seitdem größer geworden.

Die Referentin als erweiterte Plakatierfläche für PLAKATropolis: Hier die Arbeiten „Na“ von Valerie Kemper und „Togetherness Exchange“ von Robert Tilbury & Christiane Deibel.
Die Herstellung von Sichtbarkeit ist politisch. Dass das nicht nur ideeller Stehsatz ist, sondern konkret regulierte Praxis, sagt uns die Verordnung. Konkret hört sich das Gesetz, auf das die Verordnung bezogen wurde, so an: „Zum Anschlagen, Aushängen und Auflegen eines Druckwerkes an einem öffentlichen Ort bedarf es keiner behördlichen Bewilligung. Doch kann die Bezirksverwaltungsbehörde (…) zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch Verordnung anordnen, daß das Anschlagen nur an bestimmten Plätzen erfolgen darf.“ Und man nehme zur Kenntnis, dass im Jahr 1983, als die Verordnung erlassen wurde, es in Linz noch immerhin ca. 40 freie Plakatierflächen gab. Zum Zeitpunkt des Kippens der Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof, 2019, gab es nur noch vier Flächen in Randlagen von Linz, an denen freies Plakatieren gemäß der rechtswidrigen Verordnung möglich gewesen wäre (Quelle hinsichtlich der genannten Zahlen: Standard vom 23. 10. 2019). Dazu könnte man weitere Aspekte anführen, die Details der Beschwerde, die durch die Solidarwerkstatt eingebracht wurde, die Initiative Plakatierfreiheit, die sich im Zuge dessen gründete und bei der auch die STWST unter etwa 40 anderen Initiativen dabei war, verschiedene Litfaßsäulen-Aktionen, die damals gestartet wurden, die tausend Bearbeitungen in den Jahren zwischen 1983 und 2019, aber verkürzt gesagt: Seit dem Urteil 2019 und nach dem durch die Corona-Pandemie verursachten Stillstand versucht die Stadt Linz zusätzliche nichtkommerzielle Plakatflächen zur Verfügung zu stellen.
Das führte etwa zu dem an sich guten Ansatz, mehrere Flächen zu errichten – nur allerdings sind sie wieder zu klein und/oder wieder an Randlagen. Stichwort zwei Quadratmeter beim Volkshaus Bindermichl, am grünen Gitterzaun mitten im Wohngebiet. Direkt an der STWST-Donaulände steht auch eine dieser Winzi-Wände – wie gesagt, eigentlich gut gemeint, aber wesentlich kleiner als nur eine einzige von mehreren im STWST-Haus befindlichen Flächen – die wiederum aus kulturpolitischer Überzeugung in der STWST frei fürs allgemeine Plakatieren gehalten werden. Natürlich gibt’s auch in anderen Kulturhäusern freie Flächen – aber auch diese Orte werden immer weniger, und ausschaun darf es schon überhaupt nicht, wegen des Publikums, das anscheinend keine lose gewordenen Eckchen von ungeordnet übereinander hängenden Plakaten verkraftet. Und es ist besonders bitter zu sehen, dass es seit Jahren die Tendenz gibt, dass nicht nur hinsichtlich der politischen Thematisierung nichts weitergeht, der öffentliche Raum immer kommerzieller wird, und speziell die größeren Kulturhäuser immer cleaner werden – sprich entweder keine freien Flächen mehr anbieten, oder ausschließlich ihre eigenen Veranstaltungen hängen; während sie allerdings im Gegenzug dazu massenhaft Drucksorten aller Art etwa auch in der Stadt, und auch – davon kann ich mich täglich überzeugen – in der STWST abladen. Nicht falsch verstehen: Ich bin für diesen Traffic. Aber auch hier sieht man das eigentliche Problem sehr gut: die Unverhältnismäßigkeit der verteilten Mittel und leider oft auch das Unverständnis für das hohe Gut der Öffentlichkeit; im Sinne eines Selbstverständnisses, dass alle zusammen, von Politik bis Kulturhäuser, von großen bis kleinen Häusern, öffentliche Sphären herzustellen zu haben, die nicht nur auf Kommerz, Sauberkeit, Kulturlobbying und Klientelpolitik ausgerichtet sind.
Leider ist zu sagen, dass trotz aller neuer analogen und digitalen Möglichkeiten eher ein Verlust von Öffentlichkeit, Austausch und Kommunikation festzustellen ist – und dass das eine brandgefährliche Sache ist. Und auch dafür kann das Plakat im größeren Zusammenhang stehen: Für ein gestalterisches, informatives und kommunikatives Medium mitten in den öffentlichen Sphären, als Symbol und Ausdruck eines politischen Gutes, das in Zeiten wie diesen, digital oder analog, besonders unverzichtbares Antidot zu toxischen Monokulturen aller Art ist.
Somit zum Abschluss: Mehr Öffentlichkeit für alle, im Stadtstaat Plakatropolis und darüber hinaus.

Die Referentin als erweiterte Plakatierfläche des Ausstellungsprojektes PLAKATropolis: Hier die Arbeiten „Grün zikuliert“ von Suzaka Nakao, „Show me your Money“ von Lukas Ullsberger und „Sprechstunde“ von Gero.
PLAKATropolis
Anfang November 2025 verwandelte der Kulturverein qujOchÖ mit PLAKATropolis den öffentlichen Raum von Linz in ein Plakatfestival – eine temporäre Bühne für künstlerische Ausdrucksformen, kulturelle Initiativen und gesellschaftliche Sichtbarkeit. Plakatkunstwerke wurden an unerwarteten Orten im Stadtgebiet gezeigt – um auf die zunehmend streng regulierten Plakatiergesetze aufmerksam zu machen.
Denn während kommerzielle Außenwerbung omnipräsent ist, bleiben freie legale Flächen für Kunst und Kultur rar und umkämpft.
PLAKATropolis definierte dabei das Plakat als Medium urbaner Kreativität und freien Ausdrucks – und lenkte den Blick auf die Bedeutung des öffentlichen Raums als Ort des Dialogs und der kulturellen Vielfalt.
Der hier erschienene Text ist auch im Heft zu PLAKATropolis erschienen.
Im Heft zu PLAKATropolis sind noch zwei weitere Texte von Anamarija Batista und Klemens Pilsl erschienen.
Dort sind außerdem alle Plakatkunstwerke und Infos zu den Plakat-Artists nachzusehen, die in dieser Referentin auch abgedruckt sind.
Denn in dieser Referentin werden außerdem drei Plakate von PLAKATropolis präsentiert. Die Referentin wird somit zum erweiterten öffentlichen Raum des Projekts. Die Wichtigkeit von Öffentlichkeit und des Diskurses über öffentlichen Raum soll damit unterstrichen sein.
Alle Infos zu PLAKATropolis und das Heft als pdf-Download unter: www.qujochoe.org/de/event/plakatropolis
Redaktionell geführte Veranstaltungstipps der Referentin
(5. Dezember 2025)