Integration: Eine Aufgabe für alle
Die Referentin #42
Wir leben in einer Zeit, in der Trennungs- und Abgrenzungsdiskurse dominieren. Es scheint, als wollten wir uns immer stärker voneinander unterscheiden, statt uns zu verbinden. Inmitten dieser Entwicklung lohnt es sich, einen Moment innezuhalten und über etwas nachzudenken, das so wichtig wie komplex ist: Integration.
In der akademischen Welt wird häufig über die Notwendigkeit gesprochen, die eurozentrische Weltsicht zu verändern. Doch dabei stellt sich eine unausweichliche Frage: Wie schaffen wir es, dass dieser Wandel im Denken über die Grenzen des theoretischen Diskurses hinaus die Gesellschaft erreicht? Über Integration im Unterricht zu sprechen ist etwas anderes, als sie tatsächlich umzusetzen. Unser Alltag ist so voll von Verpflichtungen, dass wir selten Raum finden, über solche Themen, die jeden Tag immer wieder schnell zu komplexen Aufgabenstellungen werden können, nachzudenken – auch wenn die Welt sich ständig weiterentwickelt und verändert. Das gesellschaftliche Denken hingegen scheint mehr Zeit zu brauchen … manchmal ganze Generationen.
Es werden viele Ressourcen in Integrationsprogramme und -politiken investiert, doch häufig wird ihr eigentlicher Sinn vergessen. Integration kann keine einseitige Aufgabe sein. Es genügt nicht, von den Menschen, die in ein neues Land kommen, zu verlangen, dass sie sich anpassen, verändern oder „ihren Teil beitragen“, um dazuzugehören. Integration bedeutet auch, dass die aufnehmenden Gemeinschaften lernen, sich zu öffnen. Diese müssen anerkennen, dass die Welt nicht mehr dieselbe ist. In gerechteren und gleichberechtigteren Gesellschaften zusammenzuleben heißt zu verstehen, dass Integration nicht bedeutet, die eigene Essenz oder die Spuren anderer Kulturen auszulöschen, sondern zu lernen, sie zu schätzen.
Denn letztlich sind wir alle Teil derselben Spezies – unabhängig vom Geburtsort, vom Pass, von der Religion oder vom Nachnamen.
Ich bin nicht gegen Bemühungen, Migrant*innen dabei zu unterstützen, die Sprache zu lernen, das soziale System zu verstehen oder Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen. Doch ich halte es für einen Fehler, die einheimische Bevölkerung nicht ebenfalls in interkulturellen Themen zu schulen. Zu glauben, dass wir von denjenigen, die „von außen“ kommen, nichts zu lernen hätten, ist eine Form von Arroganz und von Unwissenheit.
Sich zu integrieren bedeutet nicht, sich zu tarnen. Es geht nicht darum, Unterschiede zu verwischen, sondern zu lernen, mit ihnen zu leben. Integration, die ich meine, erkennt den Reichtum jeder einzelnen Geschichte und Identität an. Das Schöne an der Welt ist gerade ihre Vielfalt, ihre Farbenpracht, ihre Fähigkeit, uns zu zeigen, dass es viele Arten gibt, zu leben und das Leben zu verstehen.
Mit Menschen zusammenzuleben, die nicht so aussehen wie wir, nicht so sprechen wie wir oder nicht unsere Nachnamen tragen, und diese Vielfalt auch grundsätzlich als bereichernd anzuerkennen, ist vielleicht der erste Schritt zu einer echten Integration – einer, die die Unterschiede nicht auslöscht, sondern sie umarmt.
Redaktionell geführte Veranstaltungstipps der Referentin
(5. Dezember 2025)