Die Literaturzeitschrift PS: Anmerkungen zum Literaturbetrieb / Politisch Schreiben ist gegenwärtig eines der engagiertesten Vorhaben in der deutschsprachigen Literaturlandschaft, meint Andreas Pavlic. Er hat mit dem Redaktionskollektiv ein Interview über ihre Zeitschrift, die Illusion der Chancengleichheit im Feld der Literatur, das einsam schreibende Genie und über diverse Hefttitel geführt.
Andreas Pavlic: Eure Zeitschrift wurde ja vor 5 Jahren gegründet. Wie kam’s zur PS?
Redaktionskollektiv Politisch Schreiben: Die PS entstand, weil wir arg unzufrieden waren und die Kapazitäten hatten, was daran zu ändern. Erstmal im Kleinen für uns, später bald als Möglichkeit auch für andere.
2014 studierten zwei von uns schon länger am Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL) und empfanden zum einen eine Lücke im Sprechen über den politischen Kontext von Texten und zum anderen ein starkes Befremden demgegenüber, wie sich uns der Literaturbetrieb vorstellte – das war eine Zukunft, in der wir so nicht leben und arbeiten wollten. Deswegen haben wir eine Gruppe gegründet und andere kamen dazu.
Die erste Zeitschrift, sie erschien im Herbst 2015, war ein Wunder, und es war selbstgemacht. Wir waren sehr euphorisch, weil wir tatsächlich von vielen Menschen innerhalb und außerhalb des Betriebs die Rückmeldung bekamen, dass ein ‚Werkzeug‘ wie die PS bisher gefehlt hätte: Eine Zeitschrift, die explizit die Dynamiken des eigenen Umfelds einer kritischen Analyse unterzieht und gleichzeitig versucht, auf verschiedenen Ebenen (Textauswahl, Lektorat, Veröffentlichungsprozess, Netzwerkgedanke) andere, solidarische Räume der Zusammenarbeit aufzubauen.
Seither haben wir jedes Jahr im Oktober eine neue Ausgabe veröffentlicht, zwischendrin viele Lesungen und Workshops organisiert und versucht, mit dem stetig wachsenden Netzwerk ein Gefühl von Gemeinsamkeit gegen die Vereinzelung von Schriftsteller_innen zu setzen.
AP: In der ersten Ausgabe schreibt ihr, dass ihr ein feministisches bzw. queeres Kollektiv seid. Hat sich in der Selbstbeschreibung in den letzten Jahren etwas geändert?
PS: Nein. Das ist so geblieben. Wir verstehen uns weiterhin als feministisch und queer. Natürlich haben wir aber unser Selbstverständnis an sich erweitert. Unsere Rolle als Autor_innen wurde uns wichtiger hervorzuheben, ebenso wie das Lektorat. Als wir 2015 mit PS angefangen haben, war das mit feministisch und queer gerade gar nicht en vogue. Jetzt ist das ja anders und auch andere Zeitschriften, wie die Bella Triste, bewegen sich entlang dieser Selbstbeschreibung. Das finden wir gut, sofern es auch in der Umsetzung dann dem entspricht. Allzu oft verkommen ja Adjektive zu bloßen Behauptungen.
AP: Bei der letzten Heftpräsentation im Literaturhaus Wien habt ihr betont, dass PS ein Netzwerk ist. Warum benötigt man im Literaturbetrieb ein Netzwerk?
PS: Im Literaturbetrieb, so, wie er momentan gestaltet wird, ist es sehr schwierig, solidarisch zu handeln. Das liegt einerseits an den durch und durch kapitalistischen Produktions- und Distributionsverhältnissen, die oft durch das berühmte Qualitätsargument, aber auch durch die Illusion prinzipieller Chancengleichheit verschleiert werden: Es gibt soziale Zugangsbeschränkungen, die unsichtbar bleiben. Es fällt dann jeweils auf eine_n selbst zurück, wenn er_sie es nicht ‚schafft‘, also nicht wahrgenommen wird und auf der Strecke bleibt. Dass dabei Faktoren wie Erstsprache, Hautfarbe, habituelle Dispositionen, Geschlechtermarkierungen und auch der finanzielle Background eine objektiv messbare Rolle spielen, wird ausgeblendet. Einerseits. Andererseits basieren die Förderstrukturen, also Stipendien- und Preisvergaben, auf einem knallharten Konkurrenzprinzip: Jede_r tritt bei den Ausschreibungen gegen jede_n an und muss permanent die Eigenmarke pflegen, um symbolische und auch ökonomische Anerkennung zu erfahren.
Um diesen Mechanismen die Möglichkeit von solidarischen Beziehungen entgegen zu setzen, versteht sich PS auch als Netzwerk: Dabei geht es sowohl darum, sich gegenseitig zu unterstützen, Erfahrungen auszutauschen, offen über die jeweilige persönliche Situation zu sprechen, auf Ausschreibungen hinzuweisen etc., als auch darum, die Zugangsbeschränkungen und die Verschleierungsstrategien zu benennen und sichtbar zu machen.
AP: Es gibt ja landläufig eine recht dominante Erzählung. Literatur, das ist der einsame Autor, der in einem kontemplativen Zustand Wahrheiten über die Welt in prosaischer Weise hervorbringt. Mit dieser Vorstellung gehen sogar Literaturnobelpreisträger hausieren. Eure Vorstellung ist da eine andere. In der PS#2, die den Titel Genie wider Kollektiv trägt, seid ihr dieser Frage nachgegangen. Was wäre eure Gegenerzählung?
PS: Wir sehen da schlicht andere Realitäten. Dass Literatur nur einem Lebensmodell entspringen kann, ist doch Unsinn. Schreiben braucht Konzentration, klar. Heißt das, nur die, die über die meiste Zeit verfügen, können schreiben? Aus feministischer Sicht denken wir hier natürlich daran, dass sich Autoren historisch diese Zeit unter anderem damit geschaffen haben, dass Frauen für sie sämtliche Reproduktionsaufgaben übernommen haben. Im Wesentlichen besteht diese gesellschaftliche Arbeitsteilung weiter, daher muss es einerseits unser Ziel sein, literarische Texte von Menschen mit weniger Zeitvermögen – das sich vermutlich auch in der literarischen Form niederschlägt und Miniaturen, Erzählungen, Montageformen, fragmentarische Essays etc. hervorbringt –, vom Makel und der vermeintlichen Minderwertigkeit gegenüber dem Roman als markttauglichster Form zu befreien. Und andererseits müssen wir gesellschaftlich Zeitvermögen gleicher verteilen.
Zum Kollektiv: Einsame Genies werden nie wirklich etwas verändern. Ihr Ruhm als Solitäre gründet auf dem Status quo. Wenn im Betrieb etwa alle vereinzelt sind, spricht niemand über Geld, und so können sich Ungleichheit und Ausbeutung bestens reproduzieren. Wir von PS schreiben nicht ständig in Kollektiven, wir sitzen auch oft allein am Schreibtisch. Aber wir sind in permanentem Austausch mit anderen über das, was wir Schreiben – und darüber, unter welchen Bedingungen wir das tun.
AP: Was, denkt ihr, kann literarisches Schreiben, sei es Lyrik, Prosa, Drama oder auch Essays, was andere Formen nicht können? Warum sollte ich Literatur lesen? Eine Leserin könnte sich denken: Ich lese schon die Referentin, eine Onlinezeitungen und hin und wieder ein Sachbuch. Warum auch noch eine mir nicht geläufige Schriftstellerin, die vielleicht in einem wenig bekannten Kleinverlag publiziert?
PS: Literarischem Schreiben haftet etwas Elitäres an. Die Debatten um Literatur sind es auch oft. Das kann abstoßend wirken. Oder man denkt: Es ist unnötig. Wozu soll ich das lesen? Ich persönlich lerne als Leserin ungeheuer viel über Menschen, wenn ich literarische Texte lese. Darin, wie sie schreiben, wie sie Sprache verwenden, über was sie schreiben, und was sie in ihren Texten auslassen. Es ist so subjektiv und sagt darin oft so viel über die Welt aus. Bei Kleinverlagen fallen auch zahlreiche elitäre Schranken weg (nicht alle, natürlich, und nicht immer) – es gibt viel zu entdecken, was jenseits des genormten Mainstreams liegt. Und Sprache und Imagination, welchen Ersatz gibt es dafür?
AP: Jede Ausgabe der PS hat einen inhaltlichen Schwerpunkt. In der ersten seid ihr der Frage nach Konkurrenz & Kanon nachgegangen, in der dritten ging es um das Thema alter. Die letzte Nummer hatte den Titel Total Eclipse of our Hearts. Ich denk da natürlich sofort an Bonny Tylers Hit. Was hat es mit der totalen Finsternis der Herzen auf sich?
PS: Ohja, es war finster in uns. Die Ausgabe zuvor, ‚alter‘, wog gefühlt einen Zentner und es war ein Jahr mit vielen internen Auseinandersetzungen gewesen. Wir hatten uns also arg übernommen, waren ausgelaugt und wussten, das soll sich nicht wiederholen. Gleichzeitig wollten wir natürlich unbedingt die nächste Ausgabe angehen und die beginnt bei uns immer direkt am Tag nach der letzten Release-Feier. In dieser heiter-zerknüllten Stimmung entschieden wir, dass die kommende Ausgabe das Lustvolle, das Gelingende zum Thema haben sollte – damit auch wir daraus wieder neue Energie ziehen können. Um aber gleichzeitig für notwendige Kritik und die anstehenden Veränderungen nicht blind zu werden, entschieden wir uns im Laufe der Monate für diesen ambivalenten Titel und somit auch, augenzwinkernd, für diese Ballade von Bonnie Tyler – oh, es gab so manchen Abend, wo wir auf dem Boden knieten und aus voller Kehle krächzten every now and then I fall ap-aaa-art! Aber immer folgte auch: Together we can take it to the end of the line.
AP: Was erwartet uns in der nächsten PS?
PS: Die Zeitschrift gliedert sich in einen Themen-Teil mit Essays und Gesprächen und einen vom Heftthema unabhängigen literarischen Teil, in dem alle Genres vertreten sind. Im Themen-Teil der nächsten Ausgabe, die im Oktober 2020 erscheinen wird, geht es um das Prosadebüt: Wir haben uns mit jenen Mechanismen beschäftigt, die in den letzten Jahren dazu geführt haben, dass das Prosadebüt im deutschsprachigen Raum zusehends an symbolischer, aber auch an finanzieller Bedeutung gewonnen hat – was nicht unbedingt immer ein Vorteil für Autor_innen oder für kleinere und mittlere Verlage sein muss. Wir haben dazu eine Umfrage mit Autor_innen und Verlagen konzipiert und ausgewertet, ein langes Gespräch mit einer Verlagsleiterin und Lektorin, einer Autorin und einem Kritiker geführt. Wir bringen außerdem Essays, die sich mit ganz unterschiedlichen Facetten des Debüts befassen.
AP: Für alle, deren Interesse nun geweckt wurde. Wann kann man euch das nächste Mal live sehen und wie (und wo) kommt man zu einer PS?
PS: Am 19. September im Kulturraum Spitzer, am 24. September im FLUC , beide in Wien und am 24. Oktober in Leipzig am Deutschen Literaturinstitut. Auch bei den Kritischen Literaturtagen, von 5.–8. November in Wien wird PS vertreten sein. Die Zeitschrift kann über unsere Homepage bestellt oder in ausgewählten Buchhandlungen, die auf der Homepage angeführt sind, bezogen werden.