Müde Zeiten. Zeiten der Verwirrung. Zeiten des Aufbruchs und Übergangs. Zeiten, in denen die Wunderbaren in meiner Umgebung aus Überzeugung (und der Müdigkeit zum eleganten Trotz) betont aufrecht gehen. Müde aber sind wir doch und alle wissen: es ist zu heiß, zu verrückt, zu unlogisch hier und wir können im Grunde gar nichts (mehr) tun. Die Radikalen haben die Welt seit Jahrzehnten fest im Griff und täuschen Normalität vor. Genug Idioten, die seit Jahrzehnten darauf hereinfallen und sich die Welt schönkaufen. Natürlich alles bio, re-usable, Fair Trade oder wenigstens geschickt greenwashed. Ich mein – würde dieser Schauspieler, der in Filmen wie Syriana spielt, sonst für ein Produkt Werbung machen, das ökologisch und politisch völlig unverträglich ist? Na, sehen Sie.
Normalität ist die wahre Brutalität ist die wahre Radikalität und daran leidet die Welt. Noch bevor manche wissen, wie man Postkolonialismus buchstabiert, setzt schon der Neokolonialismus ein – in Form von Müllbergen aus Plastik und Aluminiumkaffeekapseln, der First-World-Dreck, der sich an den Stränden ehemaliger, doch so preiswerter Urlaubsparadiese breitmacht. Die Meere aber vergessen nichts. Was ins Meer geht, kommt zurück und durchdringt unsere Körper – ob als Nahrung, als Regen, als Erinnerung oder als Geister, die uns jagen. Hoffentlich. Denn was wären wir noch, was würde uns Europäer*innen künftig ausmachen, würden selbst die Seelen jener Menschen auf uns vergessen, die wir im Stich gelassen haben – in den Meeren vor unseren Lieblingsstränden. Sie definieren uns ab nun und werden von jenem Europa berichten, das nicht eingegriffen hat, das keine Kriege verhindert hat, das aus Menschenrechten eine Survival-of-the-Fittest-Show gemacht hat. Eine Erzählung, die nicht mehr schöngekauft werden kann. Ein Europa, das die Chuzpe hat, sich gleichzeitig über die Gefahren des Islamismus zu echauffieren und nichts unternimmt, um zu verhindern, dass kurdische Soldatinnen in Syrien oder gegen den compulsory Hidjab demonstrierende Frauen im Iran ermordet, vergewaltigt oder zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt werden; ein Europa, das sich verängstigt zeigt gegenüber jungen geflüchteten Männern; das gleichzeitig aber nichts unternimmt, um Frauen und Kinder aus Flüchtlingslagern zu retten. Ein solches Europa sollte ohnehin das Recht verlieren, von Humanismus und Aufklärung als identitätsbildend zu sprechen. Von Normalität ganz zu schweigen. Hieran ist nichts normal. Normal wäre das Gegenteil, aber das wird als radikal beschrieben. Und so – wie man dem Schauspieler abnimmt, dass an Nespresso-Kapseln alles völlig normal sei – ich mein, der Mann ist schließlich mit der Menschenrechtsjuristin Amal Clooney verheiratet – hat sich das Narrativ der guten Normalität vs. die böse Radikalität in all unsere Geschichten eingeschlichen. Und bleibt unwidersprochen.
Eine Erzählung, in der schon lange nichts mehr gut ausgeht, sondern alles nur noch mit Happy End versehen wird. Ein Happy End, das nichts macht, außer Sehnsucht auszulösen nach dem, was man nicht ist und nicht hat. Das sich darin ergeht, die Unnormalen, Nicht-Dazugehörigen, Zornigen, Empfindsamen, Mehrdeutigen … in Zustände der Sehnsucht zu versetzen nach dem Angepassten, Eindeutigen, Konsumierbaren, Herzeigbaren. Die braven Asylwerber, die fleißigen, gut ausgebildeten Migrant*innen, die zufriedenen, dankbaren Frauen, die unsichtbaren Behinderten, die weit weg verräumten Alten. Alle sollen sich einpassen und anpassen können und wollen, und wer das nicht schafft, aber zumindest viele ist, dessen Andersartigkeit wird kurzerhand zum Hype, ihre Träger*innen zur kaufkräftigen Zielgruppe oder zur Gruppe der willigen Billiglohnarbeiter & Lehrlinge. Ein jeder, eine jede hier ist in dieser Erzählung von Nutzen, kann entweder kaufen oder gekauft werden oder sich wenigstens danach sehnen, eines von beiden zu sein und zu wollen. Treten Sie unbesorgt näher, im Kapitalismus ist für alle Platz! Wo sind die Märchen und die Erzählungen, die kein Happy End hatten, aber voller Figuren waren, die anders, unbrauchbar, stark und selbstbewusst waren? An deren Ende niemand happy war, weil es nie darum ging. Und niemals war da jemand eindeutig Heldin/Held oder Schurkin/Schurke. Deren Ende uns verwirrt zurück ließ und nachdenklich – aber eben: nachdenklich. Kleine Hoffnungsschimmer ausgenommen, haben wir uns alle ziemlich einlullen lassen. Selbst dieses bewusste Aufrechtgehen bei gleichzeitig unpackbarer Müdigkeit ist Teil dieser normierenden Erzählung der toughen Frau, die sich eh wehren kann, die eh so lange bis wirklich gar nichts mehr geht, durchhält.
Wir kommen alle ein bisschen lausig und als Feministinnen noch viel zu wenig radikal weg in dieser Geschichte, die mehr auslässt als sie erzählt. Was neugierig macht und möglicherweise Lücken ließe, um einzugreifen – aber ernsthaft – sollen wir dafür auch noch Kraft aufbringen müssen? Vielleicht sollten wir alle doch eher einmal unbrauchbar, unproduktiv, unbezifferbar werden, in einem Sinn, der sich nicht einmal mehr als Streik bezeichnen lässt. Wie das genau aussehen könnte – keine Ahnung, aber: lasst mal eine Weile alles liegen. You better stay in bed, bitch!