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Frauen am Hackbrett des Barocks

By   /  30. August 2019  /  No Comments

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Nonnenklöster in Süditalien und die Wieder-Erweckung eines Instruments des 18. Jahrhunderts: Das Salterio gilt als „Hackbrett des Barocks“. Der Recherchehintergrund der Spielgeschichte des Instrumentes, den die Musikerin Franziska Fleischanderl ausbreitet, ist faszinierend – in unerwarteter Weise geht es gleichermaßen um eingesperrte Aristokratinnen und emanzipierte Künstlerinnen.

Franziska Fleischanderl er­zählt im Gespräch, dass die Musik der süditalienischen Nonnen, die sie über mehrere Monate in den Archiven vor Ort beforscht hat, nach wie vor Hauptgebiet ihrer Arbeit ist, weil diese Musik zum qualitativ Besten der ganzen Salterio-Literatur zählt. Zudem ist die Geschichte der aus der Aristokratie stammenden Nonnen, die im Klosterleben gefangen waren, dort aber andererseits künstlerische Frei­räume hatten, die sie „draußen“ nicht ge­habt hätten, berührend und unfassbar – aber dazu weiter unten. Im Grunde ge­nommen versuche sie ein erstes umfas­sendes Grundlagenwerk zur Geschichte, Verwendung, zum Instrumentenbau, Re­pertoire, zu Virtuosen und Virtuosinnen und der Spieltechnik des italienischen Salterios im 18. Jahrhundert zu schreiben, so Franziska Fleischanderl.
Hintergrund der musikalisch-wissen­schaft­lichen Recherche: Franziska Fleischanderl wurde in Linz geboren und war schon als kleines Mädchen vom Klang des Hackbretts fasziniert, das sie später auch studiert hat. Es folgten Masterstudien in Linz und Basel in Hackbrett und Salterio, das man gemeinhin als „Hackbrett des Barocks“ bezeichnet. Ihr Interesse gilt der Erforschung und Aufführung historischer Salterio-Spielpraxis des 18. Jahrhunderts sowie der Ausdehnung des zeitgenössischen Repertoires für modernes Hackbrett. Von 2008 bis 2015 widmete sie sich ausschließlich der Ausdehnung des zeitgenössischen Repertoires für modernes Hackbrett sowie der damit verbundenen Ent­wicklung moderner Spieltechniken und de­ren Notation. 30 Kompositionen in unterschiedlichsten Besetzungen wurden für sie geschrieben. Ein Höhepunkt war die Kollaboration mit György Kurtág, der sich für ihre Transkriptionen seiner Musik begeisterte und diese für sie autorisierte. Danach hat Franziska Fleischanderl zum Salterio gewechselt. Heute verfolgt sie ein Doktoratsstudium zur „Spieltechnik des italienischen Salterio im 18. Jahrhundert“ an der Universität Leiden. Franziska spielt ein originales Salterio aus dem Jahr 1725. Für die Referentin hat sie den folgenden Text zur Verfügung gestellt, der den künstlerischen und soziologischen Recherche­hintergrund des Instruments und seines in weiten Teilen in den Frauenklöstern Süditaliens entstandenen Repertoires in beeindruckender Weise umreißt.
Das Salterio, das man gemeinhin als das Hackbrett der Barockzeit bezeichnen kann, avancierte im 18. Jahrhundert zum gern gespielten Instrument der Aristo­kra­tie in ganz Europa. Den Höhepunkt seiner Reputation feierte es aber in Italien, wo es gerne von den Grafen, Gräfinnen oder Kardinälen selbst gespielt wurde. Existierte das Instrument zwar schon im Mit­telalter und der Renaissance, so wurde es im Barock durch eine Neuanordnung der Töne vom diatonischen zum chromatischen Instrument, und damit fähig, das Repertoire der Zeit ohne Einschränkungen zu spielen.
Das originale Repertoire für Salterio umfasst alle Genres der Zeit. Es erklang nicht nur in der Kirche, sondern auch am Hof und im Theater. Es wurden Sonaten, Ari­en, Konzerte, Kantaten, Messen, und kam­mermusikalische Quartette für Salterio intoniert. Gefeierte Komponisten wie Antonio Vivaldi, Niccola Piccini, Nicola Porpora, Giovanni Paisiello, Niccolo Jomelli oder Antonio Sacchini haben für dieses Instrument geschrieben. Die Ma­nus­kripte mit originaler Salteriomusik fin­den sich in Bibliotheken und Privatsammlungen in ganz Europa und Amerika. Die vielen kunstvoll verzierten Instrumente in den Museen erzählen vom hohen sozialen Status des Salterios und seiner weiten Verbreitung im 18. Jahrhundert. Das Salterio wurde entweder battuto mit zwei Schlä­gelchen gespielt oder pizzicato mit den Fingern oder Plektren gezupft. Ähnlich wie das Cembalo verschwindet das Salterio am Ende des 18. Jahrhunderts aufgrund neuer Klangideale und dem Wandel der Gesellschaftsstruktur, und wartet seit daher auf seine Wiederentdeckung.

Zu den verborgenen musikalischen Schät­zen der Frauenklöster Neapels und zur Musizierpraxis in den Frauenklöstern: Das künstlerische Erbe der italienischen Frauenklöster des 18. Jahrhunderts ist auf­­grund unzureichender Forschung bis heute eine unbekannte Größe, deren vollständige Wiederentdeckung wertvolle Kunst­­schätze erhoffen lässt. Insbesondere was die Musik betrifft, beherbergen zahl­reiche Kloster-Archive umfangreiche Samm­­lungen an Originalmanuskripten, die Wesentliches über die Musizierpraxis der Zeit offenbaren. Die Manuskripte wur­den bisher weder durch Digitali­sie­rung noch systematische Katalogisierung der breiteren Öffentlichkeit zugänglich ge­macht.
Wie aber kommt es, dass sich in den Ar­chiven der Nonnen eine so breite Kollektion an geistlichen und weltlichen1 Wer­ken der renommiertesten Komponisten der Zeit befindet?
Viele der Nonnen in italienischen Frauenklöstern des 18. Jahrhunderts waren aristokratischen Ursprungs und haben deshalb vor ihrem Klostereintritt eine aristokratische Ausbildungsschiene durchlaufen, in der man den damals in adeligen Kreisen üblichen Verhaltenscodex, das comportamento ordinario2, erlernte. Zum comportamento ordinario zählte nicht nur Lesen, Schreiben, Philosophie, Theologie, Mathematik und Juristik, sondern auch Zeichnen, Fremdsprachen, sowie Singen und ein Instrument spielen3. Viele der Nonnen waren somit bereits als Novizinnen hoch gebildet und nicht selten hervorragende Sängerinnen und Instrumentalistinnen, die als Exccellentissimae Donne das kulturelle Leben im Kloster bereicherten.

Zudem kommt, dass die meisten dieser jungen, aristokratischen Damen nicht freiwillig, sondern auf Wunsch ihrer Herkunftsfamilien ins Kloster eintraten. Die allerwenigsten fühlten sich zum Leben im Kloster berufen. Somit war die damals strenge Klausur wie ein Gefängnis für vie­le der jungen Aristokratinnen, die es bislang gewohnt waren, am bunten, kulturell reichen, urbanen Gesellschaftsleben teil­zu­nehmen.
Was sich durch diesen Umstand in den Klöstern in ganz Italien auszubilden begann, war eine äußerst regelmäßige und offenbar großmütig geduldete Praxis von „geheimen Rekreationen“ der Nonnen, die Ricreazioni segreti. In diesen Ricreazioni segreti trafen sich die Nonnen, um miteinander zu musizieren oder Poesie zu rezitieren. Oftmals wurden gemeinsam die neuesten Opernarien studiert und aufgeführt4. Diese Praxis ging in den größeren Klöstern sogar so weit, dass sich die Nonnen einen eignen Musiksalon, einen Kon­zertraum, oder sogar ein kleines Theater im Kloster einrichteten.

Die künstlerischen Treffen der Nonnen hatten Grund und Ursprung nicht nur darin, dass die Eccelentissimae Donne Freu­de daran hatten, ihre künstlerischen Fähigkeiten auszuleben. Sie konnten durch die Beschäftigung mit Musik ihren aristokratischen Selbstwert und die damit verbundenen Privilegien weiterhin auf­recht­erhalten. Deshalb war die regel­mä­ßige Ausübung ihrer Kunst ein wichtiges psychologisches Fenster zurück in ihre Vergangenheit, das ihnen ermöglichte, trotz strenger Klosterklausur, ein Stück Freiheit zu leben. Bedenkt man, dass nicht wenige der Nonnen auch selber Musik komponierten (die dann auch aufgeführt wurde), zeigt sich, dass ihnen zumindest in künstlerischer Hinsicht größere Frei­räume im Kloster zustanden, als sie im weltlichen Leben jemals gehabt hätten.
Es waren auch die Nonnen und deren Fa­milien im Hintergrund, welche die not­wen­digen finanziellen Mittel mit in die Gemeinschaft brachten, die es brauchte, um neue Kompositionen bei den besten Komponisten der Zeit in Auftrag zu ge­ben, und Kopien der beliebtesten und aktuellsten Opernarien der Zeit zu bestellen. Sie legten damit den Grundstein für den Aufbau der umfangreichen Archive, die wir heute vorfinden. Viele der Auftragskompositionen waren dezidiert einzelnen Nonnen gewidmet, die besondere gesangliche oder spieltechnische Fähigkeiten aufwiesen. Nicht selten treffen wir bei diesen Werken das Salterio als Obligato-Instrument an, was auf eine ausgeprägte Praxis dieses Instruments in den Frauenklöstern Italiens im 18. Jahr­hundert schließen lässt.

Zum Abschluss: Angestoßen durch den sensationellen Kauf eines originalen Salterios von 1725, erbaut von Michele Barbi in Rom, gilt Franziska Fleischanderls Interesse nicht nur der Erforschung und Aufführung historischer Salteriomusik des 18. Jahrhunderts. Um ihre Forschungs­er­gebnisse auf die Bühne zu bringen, gründete sie 2016 ihr eigenes Ensemble namens „Il Dolce Conforto“, mit welchem sie nun auf internationalen Bühnen gas­tiert. Im Herbst ist sie auch hierzulande zu hören.

 

1 In vielen Klöstern überwiegen in der Anzahl die weltlichen Werke (Opern, Arien, Kammermusik, etc.) bei weitem.

2 Oder: Ausbildung zum Gentiluomo

3 Im Falle der männlichen Jung-Aristokraten ergänzte sich die Ausbildung zum Gentiluomo um Reiten und Fechten.

4 Im Falle der männlichen Jung-Aristokraten ergänzte sich die Ausbildung zum Gentiluomo um Reiten und Fechten.

 

Der Text wurde von Franziska Fleischanderl zur Verfügung gestellt und von der Redaktion bearbeitet.

 

Termine im Herbst:

13. September 2019 – St. Georgen/Längssee (Kärnten) Konzert für Salterio und Violine beim Trigonale Festival. Mit Georg Kallweit

10. November 2019 – Linz Konzert im Rahmen von Musica Sacra. Mit dem Ensemble Colcanto

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Salterio player & researcher Leiden University & Orpheus Institute Gent www.salterio.at

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