Die Referentin #22 - Beiträge der Ausgabe

Mermaid On Your Side

Wiltrud Hackl | Kolumnen, 3. Dezember 2020
Die Referentin #22

„Schöne getreue Bertha! Ich bin nicht zu Deines Mannes Verderben erschienen. Ich vergebe ihm. Er ist ein Mensch, ängstlich, wie ihr alle seyd. Ich stellte ihn auf die Probe. Er hat sie nicht bestanden. Nun gebe ich alle Verbindungen mit Menschen auf.“1

Hulda wirft das Handtuch. Ein bissl entnervt und enttäuscht von Albrecht, der sich doch eher als Dolm erwiesen hat. Dabei hat Hulda, die Saal-Nixe in Christian Vulpius‘ Erzählung wie andere Wasserfrauen vor ihr, gar nicht so viel gefordert: 1. eine Affäre reicht völlig 2. Schweigen 3. Schweigen 4. Schweigen 5. gegebenenfalls das gemeinsame Kind bitte selbst und mit der Gattin aufziehen; sofern es ein Sohn ist, Töchter bleiben bei der Nixe.
(Möglicherweise hätte sich Hulda einfach gleich mit Bertha auf ein Packl hauen sollen, aber das wird eine andere Kolumne).

Erzählungen von europäischen Wasserfrauen sind voll von Entwürfen von Geschlechterkonstruktionen, die sich auf den ersten Blick einer patriarchal imaginierten Weiblichkeit widersetzen. So einfach ist die Sache bei näherer Betrachtung natürlich nicht, die Ausführung würde aber einerseits den Rahmen sprengen, andererseits darf ich hier ausnahmsweise ungschaut Aspekten von Wehrhaftigkeit und Widerständigkeit im Nixennarrativ nachgehen.

Seit Jahrhunderten ist Andersheit aus patriarchaler Sicht – auch – mit einer Imagination von Weiblichkeit verbunden, die sich nicht beherrschen, nicht kontrollieren lässt. Und aktuell wird sichtbar – ob in Belarus oder in Polen – nichts macht das Patriarchat wütender als eine Weiblichkeit, die sich ihrer körperlichen Autonomie und Macht bewusst ist, oder gar eine sich dem reproduktionsfähig und -willig imaginierten Konstrukt widersetzende Weiblichkeit. Selbstbestimmung mit einem patriarchalen Narrativ überschreiben – eine Strategie, die sich auch entlang der Entwicklung von Wasserfrauen festmachen lässt: Einer machtvollen, weiblichen Erzählung entnommen wurden sie in ein christianisiertes Korsett gepresst. Weibliche Identitätsfindung anhand von Nixen oder Undinen wurde ab dem späten Mittelalter so zum Irrlauf zwischen nicht verhandelbaren Archetypen: unberührbare Göttin vs. seelenlose Verführerin vs. bedürfnisbefreite Femme Fatale vs. rach­süchtiges Monstrum. Eine Suche, an deren Ende einzig die Position der unterwürfigen Gattin Ausweg versprach. Ein Bild von Weiblichkeit, in der sich Weiblichkeit spalten, doppeln oder auflösen sollte, um patriarchale Machtphantasie vom Dilemma des Geborenseins, der Herkunft aus einem weiblichen Körper zu befreien.2 Doch die Nixe schlägt in diesem Sommer zurück und schlägt sich auf die Seite der Protestierenden. Ausgehend von der Aneignung im Zuge der LGBTQ-Proteste im Sommer wurde in Warschau eine Replik der Bronzefigur von Ludwika Nitschowa, sie stellt die Warszawska Syrenka dar, auch zur Komplizin der Gegner*innen des verschärften Abtreibungsverbotes. Diese Figur ist eine stets mit Attributen der Verteidigung, des Kampfes ausgestattete Was­serfrau3, ihre Darstellung verweist auf die Gründungsmythen der Stadt, worauf sich auch das Manifest des Kollektivs Stop Bzdurom bezieht, das sich im Zuge der Proteste bildete:
„Die Warschauer Nixe hat ein Schwert und einen Schild in der Hand. Sie hat einen Regenbogen und ein Halstuch. Dies ist unser Aufruf zum Kampf. Solange wir mit dem Gedanken einschlafen, dass sich sowieso nichts ändern wird. So lange müssen wir daran erinnert werden, dass wir existieren. Dass wir nicht allein sind. Diese Stadt gehört auch uns. Kämpft!“4
Ein Blick auf die Gründungsmythen verdeutlicht und schärft den Bezug zur Nixe: In einigen wird die Warszawska Syrenka als Schwester der Kleinen Meerjungfrau5 beschrieben. Beiden wird die Stimme zum Kapital: Während Andersens Nixe die Stimme der Meerhexe gibt, um „Mensch“ zu werden, wird die Schwester gefangen genommen, um sie ihrer Stimme wegen zu verkaufen. Sie allerdings setzt die Stimme ein, um sich zu widersetzen, wird gerettet und dankt mit dem Versprechen, Warschau zu beschützen, hin und wieder aus der Weichsel an die Wasseroberfläche zu kommen, um die Veränderung der Stadt wahrzunehmen. Die Protestierenden erinnern nun die Nixe an dieses Versprechen eines wohlwollenden Blicks auf Veränderung. Die Wasserfrau wird so zu einer Erzählung von der Möglichkeit der Zugehörigkeit, bei gleichzeitiger Abgrenzung. Sie repräsentiert nicht länger ein Geschlecht, sie steht für ein Bezugssystem. Außerhalb der Regeln eines heteronormativen, patriarchalischen Gesellschaftskonstrukts zu stehen ist mit der Nixe an der Seite nicht länger gleichbedeutend mit dem Ausschluss aus dieser Gesellschaft. Die Nixe entscheidet, ob und wann sie sich entzieht. Und ohne die Nixe und ihren Blick auf die Stadt, in Warschau immerhin Gründungsnarrativ, hört die Stadt auf zu werden. So wird die Syrenka Komplizin im Sinne notwendiger, demokratischer Forderungen, gleichzeitig wird sie Erinnerung an und Echo von Weltentwürfen und Geschlechterkonstruktionen, die keiner patriarchal formulierten Norm entsprechen.
Mermaid on Your Side also – ach hätten Bertha, Berthalda in Undine oder die Prinzessin ohne Namen in der Kleinen Meerjungfrau – all die als „Rivalinnen“ der jeweiligen Wasserfrau also beschriebenen Nichtwasserfrauen – nur früher davon gewusst! Hulda und die Nixen-Meute würden sich sofort mit ihnen zusammentun – und das Patriarchat würde sich nie mehr davon erholen.

 

1 Vulpius, Christian August: Die Saal-Nixe. Eine Sage der Vorzeit. Leipzig: Rein, 1795
2 Vgl. Luce Irigaray, Devine Women, 1989
3 Die Bronzefigur Nitschowas – eine von zwei Darstellungen der Warszawska Syrenka im öffentlichen Raum – wurde vermutlich nicht ohne Grund gewählt: Modell für die Bronzestatue stand 1939 die Dichterin Krystyna Krahelska, die 1944 als Sanitäterin in einem der Warschauer Aufstände gegen die Okkupation der Nationalsozialisten starb.
4 www.facebook.com/stopbzdurom
5 archiwum.auslandsdienst.pl/3/22/Artykul/403052, Aus-dem-Archiv-Warschauer-Seejungfer

Wiltrud Hackl zum Thema Wasserfrauen
Kepler Salon, 14. Dez 2020, 19.30 h
„VON DEREN KUSS IHR ZU STERBEN FÜRCHTET, ZU STERBEN WÜNSCHT (…)“
Konstruktionen von Weiblichkeit und Wasser am Beispiel der Wasserfrau

Wiltrud Hackl
wiltrud katherina hackl forscht zu und schreibt über konstruktionen von weiblichkeit und wasser und ist aktuell als universitätsassistentin an der kunstuni linz tätig, wo sie u.a. zu flüssen als orte der erinnerung lehrt. für ihr projekt „die flüssin“ sammelt sie geschichten von und mit flüssen. wiltrudhackl.com
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