Die „Jazzpolizei“ würde sich hier schwertun. Aber Klaus Hollinetz entwickelt anlässlich von UND JA, AND YES einige lose Gedanken zu Improvisierter Musik und zur neuen CD von den Duos Puntigam/ Wilbertz und Puntigam/Keller. Und orchestriert mit weiterschweifenden Fragen: Ist das nun „Neue Musik“, „Avantgarde“, „experimentell“ – oder was? (Und spielt das noch eine Rolle?)
1.
(Es dunkelt, [tinct, tint] all das unsere spaßanimalische Welt –
James Joyce, Finnegans Wake)
Es atmet, zirpt, kratzt und klingt. Es schabt an Dingen, bringt sie in Bewegung und zum Leuchten, flößt ihnen Luft und Leben ein. Ein paar Töne, die zu flüstern scheinen, oder etwas in einer unbekannten Schrift und Sprache notieren, mit schnellem, sicherem Strich, mit Materialien, die flüchtig und fest zugleich sind, mit Schwingungen, die Zentrum und Ränder zugleich sind. Klare kleine Melodien und dann wieder Klangfolgen mit überraschenden Brüchen, Löchern, Fransen, mit unerhörten Wendungen, die doch gleichzeitig vollständig überzeugen.
Beim ersten Anhören der neuen CD Und Ja, And Yes tauche ich ein in ein unerwartetes Kaleidoskop von Klängen, Ideen und Formen, in ein vergnüglich-nachdenkliches Sammelsurium von Einfällen, die weder völlig zufällig sind noch minutiös genau geplant scheinen. Es sind vierundzwanzig Dialoge, Duos, die sich in freier Folge abwechseln, und die manchmal nicht einmal eine Minute lang sind. Dialoge, die – wie es sein sollte – mehr Fragen aufwerfen, als Antworten zu geben, Antworten, die sich in Stilen und Wendungen ausdrücken könnten, in zu erfüllenden Erwartungshaltungen, in Zuordnungen und Querverweisen.
Werner Puntigams Posaunen- und Muschelhornklänge verbinden alle diese Dialoge mit einerseits Schlagzeug und Perkussion und andererseits einer Feedbacker-Gitarre auf eine nicht dominierende Weise. Was wird hier mit Schlagzeug verstanden? Eine Fülle von Schlagwerk, Selbstklingern, idiophonen Materialien, vom Vertrauten bis ins Unbekannte. Und was nun ist eine Feedbacker-Gitarre? Klänge, die den Bogen spannen von bekannten Saitenklängen bis zu elektroakustischen Feinheiten.
Und welche Musik ist das überhaupt? Die manchmal recht fundamentalistisch auftretende „Jazzpolizei“ tut sich schwer mit freieren Formen der Musik, Formen, die sich in keinen unmittelbaren Kontext fügen, in keine vorgefertigte Kategorie passen, sich keiner Zeit und ästhetisch basierter Tradition verpflichtet fühlen. – Ist das denn noch oder schon wieder Jazz? Ist das nun „Neue Musik“, „Avantgarde“, „experimentell“ oder was? (Und spielt das noch eine Rolle?)
Kann man über Musik schreiben? (Kann man Bilder singen?) – Worüber man nicht schreiben kann, darüber soll man … ja, vielleicht. Ich denke, dass aufmerksames und konzentriertes Zuhören immer noch reichen sollte.
2.
(Erfahrung enthüllt in jedem Objekt, in jedem Ereignis die Erfahrung von etwas anderem –
Jean-Paul Sartre, Saint Genet)
Elliott Sharp, einer der Großmeister der Improvisierten Musik und des Jazz, und ein „Urgestein“ der New Yorker Improvisationsszene, auf dessen Label Zoar auch diese CD erschienen ist, schreibt in seinen eindrücklichen Liner Notes:
„With UND JA, AND YES, Messrs. Puntigam, Keller, and Wilbertz present a virtuosic music that operates across varied moods while traversing barriers of genre and style. This is accomplished not with a flaming sword but with sly humor and pointed technique. These pieces are miniatures and in their own way pay tribute to the master of the miniature, Anton Webern, who distilled primal energy into compact arcs of crystalline sonic purity. In this album, the balance between improvised spontaneity and structural integrity is achieved with the manifestation of pithy statements that never wear out their welcome but instead leave a lasting impression in the ear in much the same way that a powerful flash will imprint upon your visual cortex.“
Das bedarf eigentlich keiner weiteren Interpretation. Aber was ist eine Miniatur nun? Etwas Kleines, Kurzes vielleicht, eine Form, die sich aus den einfachsten Bestandteilen aufbaut, niemals geschwätzig, niemals angestopft und aufgefüllt, beginnt und endet auch schon wieder, und formt dennoch einen vollen und nicht fragmentarischen Bogen. „Minimal“ und „reduziert“ könnte man hier sagen – und diese Worte sind vielleicht zu Keywords in unserer durch Lärm und Hetze verdorbenen Welt mutiert – so als ob Kunst nur durch Subtraktion entstehen würde, durch ein Heraus-arbeiten aus einem amorph gewordenen Ursprung. Hier geht es allerdings um einen präzisen und nicht-reduntanten Einsatz der Mittel.
Außer den launigen und manchmal mysteriösen Titeln, die diese kurzen Stücke haben (nur eines ist länger als drei Minuten), wissen wir nichts von den Intentionen der Musiker, nichts weiteres Schriftliches geben sie zu ihrer Musik preis. Dennoch ist die Musik nicht „abstrakt“, denn sie scheint persönliche und höchst absichtsvolle Subjekte zu umkreisen, ohne sie zu verschleiern. Das unterscheidet sie von den formal abstrakten Konzepten einer Neuen Musik, die sich aus genauen kompositorischen Vorgaben herleitet.
Woran liegt diese Kunst dann, worin besteht sie? Immer schon hat mich interessiert wie eine authentische Improvisierte Musik zustande kommt. Es ist ja ein Rätsel, wie und warum gerade dieser Ton oder Klang auf einen anderen folgt, wenn es keine offensichtlichen Regeln dafür gibt. In einer eher traditionellen Musikauffassung bedeutet Improvisation meist das Variieren oder Fortspinnen von Gegebenem, und nur wenig unterscheidet sich die barocke Orgelimprovisation (über ein Thema zB.) von den doch so streng reglementierten Ritualen im Jazz, wo über eine Skala „improvisiert“ wird, ohne den vorgegebenen Kontext von Melos und Rhythmus zu verlassen.
In einer freien Musik ist das anders. In Ermangelung von anderen Bezeichnungen spricht man gerne von „Instant Composing“ um die Brücke zu einer „ernsteren“ Musikauffassung zu schlagen. Improvisation hat ja einen schlechten Ruf, sie bedeutet nicht nur im alltäglichen Sprachzusammenhang oft etwas Unfertiges, Spontanes, Halbherziges oder Billiges, und wird oft als Gegensatz zu einer komponierten Musik gesehen, die darob eine viel größere Wertigkeit hat. Schon Karl-Heinz Stockhausen hat sich zwischen seiner Phase, in der er sich mit einer seriellen Musik beschäftigt hat, und seinen späteren Formel-Kompositionen und Opern mit improvisierter Musik beschäftigt, die er aber – sich abgrenzend – als intuitive Musik bezeichnet. In Aus den sieben Tagen besteht jede „Partitur“ für eine „Komposition“ aus einem kurzen Gedicht, einem Text, der die MusikerInnen gewissermaßen einstimmen soll auf den Geist einer Musik. Es scheint einen Zwang zur Partitur zu geben, zu einer Abstraktion des später zu Hörenden, ohne die auch heute noch z. B. die Musikförderung nicht auskommen möchte. Keine gute Musik ohne Schrift, möchte man sagen. Einige Gedanken aus Stockhausens Texten waren aber schon längst integraler Bestandteil einer frei improvisierten Musik: Glücklicherweise sind die KünstlerInnen mit Präzision und Sicherheit des Spiels, jenseits aller Virtuosität oder Spielfreude, ihrer theoretischen Aufarbeitung immer einen entscheidenden, selbstbestimmten Schritt voraus.
Dort, wo doch die Vorgaben fehlen, die uns eine „seriöse“ Musiktheorie vorzuschreiben vermeint, scheint die vielbeschworene Freiheit eine Ausdrucksmöglichkeit zu finden. Und Regeln werden nicht von außen hereingetragen, sondern entstehen oder ergeben sich aus dem „Spiel“ selbst. In ihrer Autonomie, die oft ja über die scheinbaren Grenzen der instrumentalen Möglichkeiten hinausgeht, ist eine improvisierte Musik hochpolitisch, ein Feindbild für eine reglementierte Kulturpolitik. Sie lässt sich nicht einfangen, instrumentalisieren und frisst niemanden dankbar aus der Hand.
Doch ist das alles nur ein „anything goes“ einer langsam verblassenden Postmoderne? In ein neo-liberales Weltbild von Nützlichkeit und Warenwert lässt sie sich schwerlich einordnen. (Vielleicht findet man diese Musik als Tonträger deswegen so selten im Netz, meist in den Audiotheken einer interessierten und versierten ZuhörerInnenschaft.)
3.
(Ein Gedicht ist eine Maschine, mit der eine Wahl getroffen wird. –
John Ciardi, How Does a Poem Mean)
Ich selbst brauche für meine Musik viel mehr Zeit und Raum. Manchmal muss es eine Minute nur Rauschen geben, oder nur ein langes und fast unmerkliches Crescendo, bevor sich die Klänge ins Hörfeld vortasten. Es braucht manchmal einen langen Atem, um all die Nuancen aufzuspüren und zu Gehör zu bringen.
Doch in dieser hier besprochenen Musik scheint jeder Ton, jeder Klang, unmittelbar da zu sein, stellt sich vor (oder aus), verschwindet und kehrt vielleicht wieder, ohne sich allzu sehr in rhythmische oder melodische Muster zu verstricken. Diese Miniaturen haben eine Kraft wie Gedichte, eine poetische Form, in die Verdichtung, Konzentration und Metaphorik eingeschrieben ist. Ein „Buch“ mit kleinen Geschichten vielleicht, die sich zu nichts, außer sich selbst verpflichtet fühlen, die wie in einem Aufblitzen gewissermaßen Hör-Blicke in Territorien eröffnen, die irgendetwas zwischen seltsam vertraut, neuartig, unbekannt, anrührend, oder mit einer spröden Zärtlichkeit einfühlsam sind. Ein kleines, feines Meisterwerk, das nicht nur im Ohr bleibt, sondern das – wie es ein Kunstwerk doch immer tun sollte – uns in Bereiche führt, die wir vielleicht sonst nie erfahren hätten. Das machen diese Stücke mit leichter Hand und sicherem Gefühl. Eine einladende Geste, die nicht fremden, sondern den eigenen Gedanken folgt. Quirlige Goldfische in einem klaren Teich.
Ist es eine Zumutung eine entspannte aber konzentrierte Hörhaltung einzufordern? Kann sein, aber es ist eine höchst befriedigende. Hören wir als zu, gehen wir mit den Klängen ein Stück des Weges gemeinsam, bis sich alle Spuren wieder auflösen, am Rand des Wahrnehmungsfeldes. Und findet man aus diesem Labyrinth wieder hinaus? Dieses trägt wohl jede/r in sich: Es ist ja das eigene Labyrinth, aber die Klänge können Reiseführer sein oder Landkarten in diesen Entdeckungsspaziergängen.
Werner Puntigam. Beat Keller. Georg Wilbertz – UND JA, AND YES –
(z0aR ZCD066)