Ob radikaler Aufruf zum Generalstreik, politische Mobilisierung und Organisation oder stilles, temporäres Abwarten: In „Geschichte(n) des Kunststreiks“ erzählt die Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin Sofia Bempeza, wie Streikpraktiken im Kunstbereich aussehen, an wen sie sich richten – und was sie erreichen können. Vanessa Graf hat die gerade erschienene Publikation gelesen.
Es wird gestreikt: gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Gegen fehlende oder unzureichende Entlohnung, gegen ausbeuterische Machtverhältnisse, gegen die Spielregeln in einem System, das nur allzu oft Profit aus den Schwächsten schlägt, gegen nicht vorhandene Wertschätzung und überfordernde Arbeitszeiten. Der Streik funktioniert für Angestellte und Arbeiter*innen als Druckmittel, als Mittel zum Zweck, manche würden sagen: auch als Waffe. Wie aber formt sich Streik in Kunst und Kultur, wo feste Arbeitsverhältnisse die Ausnahme zur prekären Regel sind, Arbeit sowohl work, eine Tätigkeit, aber auch labor, Lohnarbeit, ist? Was ist der Streik für eine Künstlerin, wie geht Widerstand für einen Künstler?
Genau diesen Fragen geht die Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin Sofia Bempeza in ihren „Geschichte(n) des Kunststreiks“ nach: anhand einer Vielzahl an Beispielen aus dem nordamerikanischen und europäischen Raum zeichnet sie nicht nur eine, sondern viele Geschichten des Streiks in Kunst und Kultur nach. Mit ihrer Arbeit schafft Bempeza damit nicht nur den geeigneten Rahmen, um über Kunst- und Kulturstreiks in der Vergangenheit und Gegenwart nachzudenken – sondern auch eine Aktualisierung des Streikbegriffs, der weit über die organisierte Arbeitsverweigerung im Kontext der Arbeiter*innenbewegung hinausgeht.
Kunststreik ist Kritik, Reform und Ablehnung auf einmal
Bempeza sieht dabei Kunststreiks als Angriffe auf die Produktionsregeln des Kunstsystems, „Ansätze, die die Produktion und Vermarktung von Kunst, ihren besonderen Status als eigenständige Arbeit innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise sowie das Künstlersubjekt als Arbeiter_in hinterfragen“. Damit zielen diese Proteststrategien immer auch auf jene, die das System erst ausmachen: Museen, Kulturinstitutionen und den Kunstmarkt. Kunststreiks leisten so außerdem Widerstand in einem Spannungsfeld, das von Kunst als Selbstverwirklichung über kreatives Denken als Dienstleistung bis hin zu überlebensnotwendiger Lohnarbeit reicht.
Mindestens genauso verzweigt und weitreichend wie dieses Feld der Kunst als Arbeit sind auch die Spielarten des Streiks, die Bempeza umreißt. Sie beginnt bei Beispielen aus den 1970ern, wie etwa jenes der amerikanischen Künstlerin Lee Lozano, die den Protest nicht anders als total denken wollte, sich zur Gänze aus der Kunst zurückzog – und sich darüber hinaus ab Beginn ihres allumfassenden Generalstreiks vehement weigerte, mit Frauen zu sprechen oder auch nur in Kontakt zu treten. Besonders letztere, niemals öffentlich begründete Entscheidung wird, wie Bempeza beschreibt, bis heute intensiv diskutiert, wenig akzeptiert und trifft auch bei der Autorin selbst auf Unverständnis.
Über weniger totale, aber regelmäßig wiederkehrende und einander ähnelnde Streikaufrufe wie jene von Gustav Metzger, der Ende der 1970er eine dreijährige Schaffenspause forderte, führt das Buch schließlich bis hin zu jüngeren Protestaktionen in der Kunst. Diese bedienen sich zum Teil immer noch derselben Methoden von Verweigerung oder politischer Organisation (ein Beispiel wäre die litauische Protestveranstaltung Art Strike Biennial, einem Festival, das sich mit Improvisationen, Protestaktionen und Streik gegen die Kulturpolitik in Vilnius richtet), manche haben allerdings auch neue Formen gefunden. So zum Beispiel die Onlineplattform Art Leaks: die ursprünglich in Osteuropa entstandene, nun aber international agierende Protestplattform bietet Kunstschaffenden seit 2011 die Möglichkeit, Missstände in der Kulturarbeit anonymisiert zu veröffentlichen – und damit sichtbar zu machen.
Der Streik in drei Dimensionen
Spannend dabei: Bempeza denkt den Kunststreik über alle Beispiele stets in drei Dimensionen, die sich vermischen, gegenseitig stärken oder einander sogar benötigen. Da wäre zum einen die Verweigerung, ein bewusstes Nein-Sagen zu Arbeitsbedingungen, zum Versprechen von Sichtbar- und Aufmerksamkeit statt Entlohnung oder zum Ausnutzen von Kunstschaffenden als Ideen-Generator*innen für Industrie und Privatwirtschaft. Die zweite Strategie bezeichnet Bempeza mit „temporärer Adraneia“, aus dem Griechischen: ein Nicht-Tun, eine Inaktivität oder ein stilles Abwarten. Diese Strategie hat etwas mit Trägheit zu tun – Adraneia ist das zeitlich begrenzte Schweigen, Fühlen und Nachdenken. Die dritte Streikpraktik schließlich ist die politische Organisation, das Mobilisieren und Intervenieren, um Veränderung zu erzwingen. Bempeza sieht in ihrem Vorschlag der drei Dimensionen eine dringend notwendige Aktualisierung des Streikbegriffs – eine Aktualisierung, die das Denken (und Ausüben) von Streik über Arbeiter*innenstreiks hinaus auch im Kunst- und Kulturbereich miteinbezieht.
Genauso, wie die drei Dimensionen des Kunststreiks für Bempeza nicht vollständig voneinander zu trennen sind, vermischen sie sich auch mit anderen Streik- und Protestbewegungen: der Widerstand, der hier beschrieben wird, ist intersektional. Er kann solidarisch mit der Arbeiter*innenbewegung sein, manchmal kämpft er gegen Rassismus und Imperialismus, oft vermengt er sich mit der feministischen Bewegung und ab und zu steht er für Institutionskritik; in den meisten Fällen auch alles auf einmal.
Die Geschichte(n): viele Inseln im weiten Meer
So eindringlich und überzeugt auch von genau diesen Überlappungen, parallelen Entwicklungen und Verschränkungen geschrieben wird: beim Lesen sind es leider genau oft diese, die zu fehlen scheinen. Die Berichte und Erzählungen der einzelnen Streikpraktiken wirken wie schwindend kleine Inseln in einem riesigen Ozean, wenig vernetzt und mitunter ganz ohne Zusammenhang. Bempeza hakt in den Beschreibungen einen Streik nach dem anderen ab, ohne sich dazwischen ausreichend Zeit für eine Kontextualisierung und Vernetzung zu nehmen: wo also verstecken sich die Wechselwirkungen, auf die hier theoretisch so stark verwiesen wird? Wie lesen sich die verzweigten Geschichten zwischen den Streiks und Verweigerungen?
Zugegeben: Die Autorin gibt nie vor, eine einzige, definitive Geschichte des Kunststreiks erzählen zu wollen. Bereits der Titel verweist auf eine gewisse Vielstimmigkeit; Bempeza schreibt „Geschichte(n)“, ein zaghafter Plural also, und verweist auf Bewegungen und Streikpaktiken, die sich selbst beständig im Fluss befinden, vielleicht (noch) nicht abgeschlossen sind oder es gar nie sein werden. Dennoch: auch eine unvollständige Geschichte, eine Vielzahl an Geschichte(n), kann über lokal verankerten Widerstand, Protest und Aufbegehren blicken und das größere Ganze beleuchten.
Vielleicht ist es genau das, was Bempeza mit den zwei Berichten über die Strike Debt Bewegung in den USA und den Transnationalen Migrant*innenstreik in Wien am Schluss ihres Buches zumindest ansatzweise versucht. Im ersten Fall werden seit 2012 Überschuldung bestreikt sowie gleichzeitig Schuldenerlass gefordert, das Beispiel aus Wien hingegen befasst sich mit der Bestreikung von Alltagsrassismus, einer Normalität, die viele ausschließt, und – besonders spannend – die Sprache als eine „hegemoniale Sprache des Nationalstaates“ an sich. Es wären, so die Autorin, zwei Protestbewegungen, die sehr offensichtlich mehr als nur Kunst bestreiken – gemeinsam haben sie, dass sie beide Protestbewegungen sind, die ihr eigenes Umfeld ins Gericht nehmen, es radikal in Frage stellen und, ähnlich wie auch die besprochenen Kunststreiks, eine gewisse Performativität an den Tag legen. Der Vergleich zum Streik in der Kunst funktioniert besonders dann gut, wenn etwas zutiefst Grundsätzliches bestreikt wird – sei das die Kunst, das Schaffen und ihr Kontext selbst, oder, wie etwa beim Migrant*innenstreik, die Sprache an sich.
Von den großen Fragen der Sprache zum Protest im Kleinen
Bempeza schließt „Geschichte(n) des Kunststreiks“ also mit Überlegungen zu Protest und Sprache und knüpft somit an etwas an, was fast zweihundert Seiten zuvor ihr Buch eröffnete: ein Hinweis zur Sprache nämlich, der nicht nur einen äußerst sympathischen Einblick auf die Schreibweise und das Leseerlebnis gibt, sondern auch selbst als kleiner Protest agiert. „Es entspricht nicht allen akademischen Standards, die der deutschsprachige wissenschaftliche Raum vorgibt oder anerkennt“, warnt Bempeza gleich zu Beginn, die sich als Griechin nämlich dazu entschlossen hat, in einer Fremdsprache zu schreiben. Nur, um im nächsten Satz ohne Entschuldigung zu ergänzen: „Dieses Buch erscheint trotzdem auf Deutsch.“
Das scheint mir abschließend sehr dringend noch eine dritte Sprache zu erfordern: Chapeau!
Geschichte(n) des Kunststreiks Sofia Bempeza
mit einem Vorwort von Athena Athanasiou
Die Monografie Geschichte(n) des Kunststreiks versammelt historische wie gegenwärtige Positionen der Verweigerung, der Sabotage, des Dissenses und der politischen Organisation in der Kunst. Dabei ist es das erklärte Ziel der Autorin, zur heutigen Diskussion über (scheinbar) selbständige, kreative Arbeit im Kunstfeld beizutragen. Die von Bempeza diskutierten Kunststreiks setzen sich mit Museen, Kunstinstitutionen und dem Kunstmarkt auseinander – in Form radikaler Institutionskritik, in Gestalt symbolischer Kunstverweigerung und des ästhetischen Widerstands oder als organisierte kulturpolitische Intervention. Das Buch markiert außerdem das Verhältnis von Kunst zu produktiver und unproduktiver Arbeit. (Auszug Verlagstext)
transversal texts, Dezember 2019
ISBN: 978-3-903046-22-1
194 Seiten, 12,– €
Download auf: transversal.at/books/kunststreik