Das Projekt „Gehsteigschriften“ ist ein von Elisabeth Lacher initiiertes Performanceprojekt im öffentlichen Raum. Die Akteurin wählt hierfür Orte aus, die entweder temporär oder permanent Schauplatz des öffentlichen Interesses sind. Sie nutzt dort stattfindende politische Veranstaltungen und Ereignisse, um am Gehsteig einen persönlichen Gedanken niederzuschreiben. Die Referentin stellt vor.
Die Gehsteigschrift #1 fand am 13. November 2014 in Traiskirchen, Niederösterreich statt. Anlass war die öffentliche Debatte rund um das dortige Erstaufnahmezentrum für Asylsuchende. Am Abend des 13. Novembers fand am Traiskirchner Hauptplatz eine Kundgebung der FPÖ mit deren Obmann Heinz Christian Strache statt. Gegenüber demonstrierten SJ und Netzwerke gegen Rechts. Am Rand des Platzes ließ sich Elisabeth Lacher auf einen Gehsteig nieder und schrieb zwei Stunden lang mit Schulkreide die Frage „Wenn die ganze Welt lügt, wohin flüchte ich? If the whole world is a liar, where do I seek asylum?“ in Endlosschleife in Richtung Asylzentrum. Inmitten von PassantInnen, Neugierigen, MigrantInnen, Asylsuchenden, FPÖ-Fans und GegendemonstrantInnen stellte sie schriftlich eine leise Frage neben die lauten Reden des Abends.
Kunst hat die Möglichkeit, bei Menschen eine andere Resonanz zu erzeugen, als sie das alltägliche Leben normalerweise bietet. Das ist für die Akteurin ein wesentlicher Bestandteil der Performance. Sie will vorbeikommenden Personen eine alternative Sichtweise zur Verfügung stellen, als Angebot der persönlichen Reflexion. Durch die Gehsteigschriften soll auch sichtbar werden, dass es neben der üblich geführten öffentlichen Diskussionen und medialen Berichterstattungen noch viele andere, der eigenen Persönlichkeit angepasste Möglichkeiten gibt, öffentlich Stellung zu nehmen. Die Schreibperformances dienen auch als Sensor. Durch die Geschehnisse während der Performance lässt sich unmittelbar erkennen, inwiefern es an einem öffentlichen Ort möglich ist, temporär die eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen.
Die Aktionen sind ein persönliches Statement, eine introspektive Auseinandersetzung sowie ein Aufbegehren, ein Sichtbarmachen und Handeln. Transformiert in Performances, in denen ein kleiner Denk- und Möglichkeitsraum in der Öffentlichkeit entsteht.
Die Gehsteigschrift #2 wird im Zuge der Landtagswahl im öffentlichen Raum in Linz stattfinden. Am Tag der Landtagswahlen wird die Schreibende auf einem Gehsteig in der Nähe des Linzer Landhauses die PassantInnen mit einer Frage zur Unterscheidung von Wahl und Entscheidung zum Nachdenken einladen. Gehen Sie an diesem Tag oder den Tagen danach – bis zum ersten Regen, der den Schriftzug fortschwemmen wird – doch einfach im Zentrum spazieren auf der Suche nach einer Frage, die mit Schulkreide auf einen Gehsteig geschrieben ist.
Elisabeth Lacher, geboren 1981 in Vöcklabruck/OÖ, lebt in Linz und bewegt sich in ihren Projekten im transdisziplinären Feld zeitgenössischen Kulturschaffens. Ihre Vision „Kunst gestaltet Gesellschaft“ ist die Grundlage ihres künstlerischen und kulturellen Tuns, sei es in der Rolle der Kunstvermittlerin, als Kuratorin oder als Akteurin im öffentlichen Raum. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind verschiedene Aspekte von Öffentlichkeit, gesellschaftspolitischer Aktivismus und menschlicher Alltag. Sie hat unter anderem die Leonart 2013 zusammen mit toikoi zum Thema Gehsteig kuratiert.