Loading...
You are here:  Home  >  Kunst und Kultur  >  Current Article

Die Revolution erscheint in Frauengestalt

By   /  6. Juni 2019  /  No Comments

    Print       Email

Die frühen sozialen Bewegungen: Über Berta Pölz, eine Vertreterin der Rätebewegung und eine weitgehend unbekannt gebliebene Kämpferin gegen den Krieg und für ein besseres Leben, schreibt Peter Haumer. Außerdem geht es um die ewige Angst der Herrschenden vor einer sozialen Revolution und den neuen starken Frauen.

Berta Pölz ist eine von mehreren ProtagonistInnen in „Pannekoeks Katze“ – ein Stück des Papiertheaters Zunder. Papiertheater Zunder

Berta Pölz war 24 Jahre alt, als im Frühjahr 1919 der Stummfilm Der Kampf der Gewalten in Österreichs Kinos kam. Der Film griff ein damals tagespolitisch aktuelles Thema auf: Vor dem Hintergrund der Existenz von Räterepubliken in Russland, Ungarn und Bayern werden Arbeiter einer Fabrik von einem Bolschewiken namens ‚Borski‘ gegen ihre Direktoren aufgewiegelt. ‚Borski‘ entpuppt sich jedoch als Frau in Männerkleidern – die Revolution erscheint in Gestalt einer Frau. Sie agitiert und stellt Hierarchien und Eigentum infrage. Die Arbeiter treten, angetrieben von ihr, immer fordernder auf und gehen schließlich mit den Kapitalisten eine Abmachung ein: Sechs Monate werden sie die Fabrik übernehmen – wirtschaften sie besser als die alten Eigentümer, werden sie die neuen Besitzer sein. Die Selbstverwaltung scheitert jedoch kläglich und die Arbeiter begrüßen die Rückkehr der Direktoren. Die Praxis lehrte die Arbeiter, dass sie „eine Kraft, doch ein Rumpf ohne Kopf“ seien. Der Film ist ein christlich-soziales, eine berufsständische Ordnung propa­gie­rendes Machwerk. Und er zeigt offen die 1918/19 vorherrschende Angst der Herr­schenden vor einer sozialen Revolution und den neuen starken Frauen.
Berta Pölz war eine dieser neuen starken Frauen, die unermüdlich agitierte und Hierarchien und Eigentum infrage stellte. Bereits als Mädchen und Jugendliche organisierte sie sich in der sozialdemokratischen Mädchen- und Frauenbewegung und vertrat dort linksradikale Positionen. Als die österreichische Sozialdemokratie 1914 in das Lager der Kriegsbefürworter desertierte und den Krieg der Habsburger mittrug, schloss sich Berta der kleinen aber aktiven Strömung der Linksradikalen um Franz Koritschoner1 und Leo Roth­ziegel2 an. Sie war Arbeiterin in einem Rüs­tungsbetrieb in Wien und machte dort aus ihrer antimilitaristischen und revolutionären Haltung kein Geheimnis. Sie be­teiligte sich an Streiks, Hungerdemonstrationen und politischen Kundgebungen, wie zum Beispiel während des Prozesses gegen Friedrich Adler.
1917 war nicht nur das Jahr der russischen Revolution, sondern es begann sich unter den Arbeiterinnen und Arbeitern in Österreich-Ungarn auch eine Kampfbereitschaft gegen den Krieg, für den sofortigen Frieden und ein besseres Leben zu ent­wickeln. Höhepunkt dieser Entwicklung war der Jännerstreik 1918, an dem 750.000 Arbeiterinnen und Arbeiter teil­genommen hatten. Der Jännerstreik wur­de nicht von den sozialdemokratischen Arbeiterorganisationen SDAP und deren Gewerkschaften organisiert. Diese befanden sich im Burgfrieden mit dem Regime und taten alles um Streiks zu verhindern. Berta Pölz gehörte dem illegalen Arbeiter- und Soldatenrat an, der gemeinsam mit Vertrauensmännern aus vielen Rüstungsbetrieben den Jännerstreik organisiert hatte. In Flugblättern versuchten sie beizutragen, dass der Streik erfolgreich zu Ende geführt werden konnte – es bei den Frie­densverhandlungen mit den Bolsche­wiki in Brest-Litowsk zu einem gerechten Frie­densabschluss kommen würde. Doch der Ausstand der 750.000 Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich in vielen Orten und Fabriken autonom in Arbeiterräten organisiert hatten, musste ergebnislos abgebro­chen werden. Das Massensterben an den Fronten ging bis November 1918 weiter – insgesamt verloren mehr als 9 Millionen Soldaten und 10 Millionen Zivilisten im 1. Weltkrieg ihr Leben.
Der illegale Arbeiter- und Soldatenrat umfasste radikale SozialdemokratInnen, SyndikalistInnen, AnarchistInnen, Linksra­di­kale, linke ArbeiterzionistInnen und Bol­schewistInnen aus den verschiedensten Sprachgruppen der Donaumonarchie. Auf den Erfahrungen dieser Struktur wurde versucht, nach der Ausrufung der 1. Republik am 12. November 1918 aufzu­bau­en und so wurde Ende November 1918 die Föderation Revolutionärer Sozialisten „Internationale“ (F. R. S. I.) gegründet, mit der sozialistischen Wochenzeitung Der Freie Arbeiter. Berta Pölz war nicht nur Gründungsmitglied der F. R. S. I., sondern gemeinsam mit der Lehrerin Hilde Wertheim auch verantwortlich für die Herausgabe des Freien Arbeiter. Berta Pölz war darüber hinaus aktiv in der Arbeitslosenbewegung und wurde auch in den Arbeiterrat gewählt.
Für die F. R. S. I. war die soziale Revolution und die Errichtung einer Räteherrschaft aktuelles Ziel ihres Handelns. Als im März 1919 in Ungarn und im April 1919 in Bayern die Räteherrschaft ausgerufen worden war, schien die Zeit reif dies auch in Österreich zu tun. Mehrere Male sind zwischen April und Juli 1919 Versuche unternommen worden, die Herr­schaft der Arbeiter- und Soldatenräte zu errichten – jedoch ohne Erfolg! An allen diesen Versuchen war Berta Pölz maßgeblich beteiligt.
Einer dieser Versuche sollte am 15. Juni ausgehend von Wien und dem Wiener Becken zur Ausrufung der Räterepublik führen. Zwei Tage vorher wurde Berta Pölz gemeinsam mit Franz Koritschoner nach Ternitz und Neunkirchen geschickt, um dort die sofortige Ausrufung der Räteherrschaft in die Wege zu leiten.3 Koritschoner erklärte den Arbeiterräten von Ternitz und Neunkirchen, dass es not­wen­dig sei, „daß das Wiener Neustädter Industriegebiet die Ausrufung zuerst voll­zieht, alles andere werde dann folgen. Die ungarische Regierung habe die Versor­gung mit Lebensmittel übernommen.“4 Doch die sozialdemokratischen, aber auch die kommunistischen Arbeiterräte stellten sich gegen die Vorschläge von Franz Koritschoner und Berta Pölz. Der Auf­standsversuch vom 15. Juni 1919 wurde schließlich abgeblasen.
Mitte Juli 1919 gab es noch einen letzten Versuch, ausgehend von Vöslau, doch noch die Ausrufung einer Räterepublik in Österreich zu erreichen. Wieder war Berta Pölz wortführend mitten im Getümmel zu finden. Und wieder waren ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Als dann die ungarische Räterepublik Anfang August 1919 von der Konterrevolution niederge­schlagen worden war, war Berta Pölz und ihren Genossinnen und Genossen klar, dass sich damit der Kampf für die soziale Revolution in Österreich von einer aktuellen Tagesaufgabe wieder auf ferne Tage verschoben hat. Die Niederlage las­tete schwer auf ihnen.
Berta Pölz heiratete 1922 den Journalisten David Pollak. 1923 kam ihr gemeinsamer Sohn Roland zur Welt. Im Juni 1938 mussten alle drei vor den Nationalsozialisten über Luxemburg und Brüssel nach Paris flüchten, wo sie vom 12. 4. 1941 bis 23. 8. 1944 als so genannte U-Boote in Paris und Montauban lebten. 1946 kehr­ten sie nach Wien zurück.

Dieses Portrait von Berta Pölz steht auch exemplarisch für viele Revolutionärinnen und Antifaschistinnen, denen aus meh­re­ren Gründen wenig Beachtung geschenkt wurde. Sie war eine Frau, eine Arbeiterin und sie war radikal. Und bekanntlich wird dies von den herrschenden Gewalten in Österreich noch immer als Bedrohung gesehen.

 

1 Franz Koritschoner wurde 1892 in Wien geboren. Im Jännerstreik 1918 spielte Koritschoner eine führende Rolle, wurde verhaftet und erst kurz vor dem Zusammenbruch der Monarchie freigelassen. Im November 1918 wurde er bei einer Demonstration in Wien schwer verwundet. Mit einer kleinen Gruppe von Linksradikalen trat Koritschoner kurze Zeit nach ihrer Gründung der KPÖ bei.

2 Leo Rothziegel, Schriftsetzer, geboren 1892 in Wien; gestorben in Vámospércs bei Debreczin (Ungarn), 22. 4. 1919 (gefallen). Anarchosyndikalist, war an der Organisierung des Jännerstreiks 1918 maßgeblich beteiligt.

3 Anfang Juni 1919 trat die F. R. S. I. in die im November 1918 gegründete Kommunistische Partei ein. Die so hergestellte Einheit im revolutionären Lager sollte den Kampf für die Räterepublik und die soziale Revolution effektiver machen.

4 Arbeiter-Zeitung, 18. 6. 1919, S. 5.

 

Literaturtipp:
Peter Haumer: Die Geschichte der F. F. S. I.
Die Föderation Revolutionärer Sozialisten „Interantionale“ und die österreichische Revolution 1918/19
Mandelbaum Verlag, 2018

    Print       Email

About the author

lebt in Wien-Floridsdorf, ist Mitglied des Papiertheaterkollektivs Zunder und des Instituts für Anarchismusforschung. Siehe auch anarchismusforschung.org

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert