Das bb15 – unabhängiger Artist-Run-Space und Kurator*innen-Kollektiv – besteht seit 15 Jahren. Wie ein Artist-Run-Space funktioniert: Ralf Petersen im Gespräch mit bb15, namentlich mit Gründungsmitglied Clemens Mairhofer, der über internationale und lokale Kooperationen, die Vorteile von Hauptveranwortlichkeiten und verschenkte Potentiale reflektiert.
Das bb15-Team besteht gegenwärtig aus sechs Personen (lies: Künstler*innen). Klickt man sich durch die Webseiten derselben, meint der geübte Investigativjournalist (ich), ein Muster erkennen zu können: Lässt sich gar ein Begriffs- und Themennetz spannen aus den auf den besagten Webseiten vorgefundenen Stichwörtern wie SPACE IS THE PLACE, FUNDSTÜCKE (Laurien Bachmann), TIME, MEMORY, ARCHIVE (Gabriela Gordillo), MANIPULATION & INVESTIGATION (Veronika Krenn), EXPERIMENTS & EVERYDAY LIFE (Mairhofer), ARTISTIC RESEARCH, RELATIONS & LISTENING (Marie-Andrée Pellerin), PROCEDULAR INTERVENTIONS (Sebastian Six)? Lässt sich ein gemeinsames, künstlerisches Profil fingieren, lassen sich daraus Interessen und Strategien ablesen?
Bei bb15 handelt es sich nicht um professionelle Kurator*innen: „Wir sind keine Kulturwissenschaftler*innen“, sagt Mairhofer. Text & Theorie lagere man eher aus: bb15 sei „gut im Produzieren“, und „das Programm ist dann eine Mischung aus den verschiedenen Geschmäckern“. Dass man sich des Zeitgeists bedient, in der Verschlagwortung der eigenen Arbeit, lasse keine Rückschlüsse auf tatsächliche Schwerpunkte zu: „Bei einem Open Call kommen schon mal über 300 Einreichungen“, sagt Mairhofer: Einreichungen, in denen oft genug die Rede vom Ephemeren und vom Liminalen ist, von dieser Theorie oder jenem Text. Ob die Künstler*innen sich auf spannende Quellen berufen bzw. diese benutzen, sage aber erstmal nichts über die Qualität der Werke selbst aus. Letztlich gehe es darum, ob es eine spannende Kunst ist, und nicht, ob sich auf spannende Quellen berufen wird. Die grob 300 Einreichungen pro Call fair zu bewerten, sagt Mairhofer, „ist sehr viel Arbeit.“ Man könne da nicht einfach durchreiten, sondern müsse sich mit jedem Konzept beschäftigen, sich dann im Kollektiv einig werden. Die Einreichungen wären aber immer ein interessanter Einblick in die aktuelle Diskurslandschaft: Was gerade geht, was die Themen sind, was passiert – in der Kunstwelt und anderswo.
Das bb15 heißt bb15, weil es in der Baumbachstraße 15 ansässig war, von der Gründung 2009 zehn Jahre lang bis 2019. Dann meldete der Vermieter Eigenbedarf an und der Verein musste eine neue Bleibe finden. Wie weiter tun?
Als das Kollektiv FAXEN 2009 das bb15 gründete, haben noch alle studiert: „Die Eröffnungen waren immer Dienstags nach der Hauptvorlesung“, erzählt Mairhofer, „damit wir unseren Kommiliton*innen gut Bescheid sagen konnten“. Das Konzept Off-Space war damals „spannend und neu“. Der Anspruch war von Anfang an: Saubere Ausstellungen und kein „Ah, ist das hier grad ein Atelierbesuch?“ 2011, beim eigenen Abschluss, war bb15 Teil des Diploms, danach betrieb man den Off-Space weiter. Heute melden sich Studierende der Kunstuniversität manchmal mit dem Wunsch, den Ort zu nutzen, wiederum für ihre Prüfungen. Da helfe man meist gern, „wenn der Raum leer ist“. 2019 – eben die Eigenbedarfsanmeldung – das Glück: Direkt um die Ecke vom alten Ort standen Räumlichkeiten leer, zu vermieten als Lager. Perfekt! „Natürliches Licht ist für unsere Arbeit sowieso nicht wichtig“, sagt Mairhofer, die wenigen vorhandenen Fenster würde man für die meisten Ausstellungen ohnehin abdunkeln. In der Hafnerstrasse – wo es nun sogar ein großzügiges Büro gibt – donnern die Orgeln, rollt der Linz-City-Touristenzug vorbei. Was bb15 mag: Oszillieren zwischen Genres.
Clemens Mairhofer ist geboren in Linz – damit ist er in vielen Kreisen der Einzige. An der Kunstuniversität z. B. lehren Profs, die wohnen nicht nur nicht in Linz, die kennen sich in den Räumen und mit den Strukturen vor Ort nicht aus. „Linz ist so etwas wie ein Satellit von Wien geworden“, sagt Mairhofer. Damit höhlt sich natürlich die politische Schlagkraft der Kunstuniversität aus – „Die im Raum verlorenen Profs wirken wie Touris“. Auch über die Ressourcen der Universität wissen sie häufig nicht gut Bescheid. Als Ortskundiger lässt sich die Stadt ganz anders nutzen: Die kurzen Linzer Wege sorgen für die Möglichkeit, in guter Vernetzung eng mit anderen Off-Spaces zusammenzuarbeiten, sich zum Beispiel Equipment zu teilen. Was in Linz laut Mairhofer gut ist, sind die Fördermöglichkeiten, „wenn man es gescheit macht“: Sonderförderprogramme, Jahresförderung, Bund, Land, Stadt“ oder wie 2020–2023 ein EU-finanziertes Kooperationsprojekt: Gemeinsam mit den drei internationalen Spaces Overtoon (Brüssel/BE), Lydgalleriet (Bergen/NO) und iii (Den Haag/NL) erarbeitete man das „Austauschprogramm“ Oscillations: Exercises in Resilience. Das hatte sich ganz wunderbar ergeben:
Wie OFF SPACES bzw. ARTIST RUN SPACES funktionieren können
Künstler*innen haben einen Ort in einer Stadt (kann auch nicht in einer Stadt sein), laden Künstler*innen ein, stellen ihnen zum Arbeiten oder/und Ausstellen den eigenen Raum zur Verfügung. Viele Künstler*innen haben wiederum solche Räumlichkeiten in anderen Städten (oder wie gesagt am Land, in einer Scheune z. B.), so dass sie die Einladung revanchieren können. So lief es auch dieses Mal: bb15 hatte das Kollektiv iii aus den Niederlanden ausgestellt, welches dann in Den Haag ebenfalls einen Raum aufgebaut hat. Die meldeten sich: Hey bb15, macht doch mit bei dem tollen EU-Projekt. Das Ziel des Projekts war, ein gemeinsames Programm auf die Beine zu stellen. Im Hintergrund die Frage: Wie machen die andern alles? Die vier Spaces trugen einen Pool an Künstler*innen zusammen, denen man ein Package anbieten wollte: Produktions-Residency in der einen Stadt, Ausstellung in der anderen. Für alle Beteiligten versprach die Arbeitsweise Einblicke in verschiedene Perspektiven, Strukturen und lokale Szenen. Anhand solcher Projekte ist es für Mairhofer ein leichtes zu sagen, dass auch nach 15 Jahren keine Langeweile im Off-Space-Betreiben eingekehrt ist: Er habe „nicht das Gefühl von Überdruss“, denn es ginge stets darum, den Raum „lebendig zu halten und die Fühler auszustrecken“. Weil man ja keine Institution ist, erklärt Mairhofer, „redet keiner rein, man kann im Prinzip machen was man will“.
Alle drei Jahre gibt bb15 eine Publikation heraus, die die Tätigkeiten dokumentiert. Ihr Vorwort zur 2022 erschienenen Ausgabe, „bb15 – 2022 – an overview“, überschreibt die Medienkünstlerin Karla Spiluttini mit Resilienz in der unabhängigen Szene: Ausstellungen, Workshops, Vorträge sind das Angebot, was bb15 als „Raum für offene Experimente und Begegnungen“ auffährt. Im Hinterkopf die gute Frage „How do you move the audience?“ (Titel einer Solo-Exhibition von Anna Vasof). Lokale Kooperationen, etwa mit dem Linzer Tangible Music Lab, finden so einen entsprechenden Rahmen, wenn es z. B. zum Thema Soft Resonance Workshops zu Textil-Lautsprechern flexibler Art gibt, deren Ergebnisse im bb15 präsentiert werden können: Each one teach one.
Prinzipiell sei es immer gut, ein halbes Jahr im Vorraus zu planen: „Fixe Pflöcke einschlagen“, rät Mairhofer, aber „Lücken lassen für Spontanes“. Der Einreichungstermin für die Jahresförderung sei im Oktober: Da ein paar „gute Punkte“ schon drinnen zu haben sei essentiell, aber „man bekommt ja eh nie das ganze Geld, das man will, man kann eh nicht alles machen, was man in den Antrag schreibt“. Auch Rufe von Institutionen schlägt man nicht zwingend aus: So nahm bb15 die Einladung der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) an, mit einer Reihe von Interventionen – der Programmserie Elementarereignisse – das 150-jährige Bestehen der Universität für Bodenkultur Wien zu feiern.
Gegründet wurde bb15, wie eingangs erwähnt, vom Trio FAXEN: Jeder macht alles, alle sind im konstanten Austausch. Fortdauerndes „Resonieren in Antwort auf“, um eine Arbeit der Gruppe zu referenzieren, in der es 2011 um ein „Rethinking of Space“ ging: Durch Aufnahme und Analyse von Klängen strebte man danach, ein Grundgerüst zu bilden, welches immer wieder „subtile Interferenzen zwischen der natürlichen Klanglandschaft und den wiedergegebenen Tönen erzeugt“ – um so „die natürliche Umgebung auf analoge Weise zu rekonstruieren“. Auch wenn es heute statt dilettantischer Dynamik Hauptverantwortliche, Meetings, Protokolle, maximale Transparenz und klare Kommunikation gibt, hat bb15 sich die Subversion nicht abgewöhnt: Als das Belvedere 21 für seine Ausstellungsreihe „Über das Neue“ im Jahr 2023/24 Off-Spaces nach Wien einlud, gehörte bb15 zur letzten Charge. „Wir sind ja die Letzten“, sagten sie sich: Was für ein Vorteil lässt sich daraus gewinnen? Das Kollektiv schnappte einen versteckten Field-Recorder und ging zu den früheren Eröffnungen, um die Kunstbubble aufzunehmen. Forschungsfrage: „Was wird geredet bei Vernissagen?“ Aus dem Material (Gesprochenes, „detaillierte Buffet-Besprechungen“ und anderes Brisantes wurde durch Nachsprechen anonymisiert) wurde eine Collage, die, die Echokammer Kunstbetrieb hinterfragend, als Sound-Installation zur Hauptarbeit der bb15-Ausstellungsbeteiligung wurde. Unter dem Titel The Ears Have Walls schlug man zudem mit der Axt in die Ausstellungswände Löcher, die mit unendlich vielen Ohr-Stöpseln angefüttert wurden. Ein Spiegel für die Ausstellungsreihe (siehe Referentin 32 und 33), in der sich die große Institution mit der freien Szene schmücken wollte. „Keiner wusste worum‘s geht“, sagt Mairhofer und „man hat sich ein bisschen benutzt gefühlt“.
2019 siedelte das bb15 in die Hafnerstraße in Nähe Dom: Für Mairhofer die Chance, sich mit dem Dombaumeister gemein zu machen bzgl. einer Kooperation. Er habe dort „offene Türen eingerannt“, denn der Dombaumeister war mit der älteren Generation der Linzer Klangkünstler gut vertraut. Das ebnete den Weg für die Nutzung der sogenannten „Glas-Rosette“, einem zehn-mal-zehn-Meter-Raum, 20 Meter hoch, der für akustische Arbeiten besonders interessant ist und in dem die Performancereihe Wavering Worlds gastieren darf, die neben Klang auch Performance, Installation, Video und Skulptur integriert.
Die eigene Produktion hat Mairhofer zurückgefahren. Er müsse nicht unbedingt seine „eigenen Ideen umsetzen“, spannender finde er die Arbeit und den Austausch im Kollektiv. Aktuelles Projekt sei eine umfangreiche Monografie der letzten 20 Jahre. Seine Kollegin*nnen machen etwa Residencies in Japan (Bachmann & Six) oder tauchen in die Wiener Sound-Szene ein (Gordillo). Mairhofer fährt in seiner Freizeit gern einfach mal ne Runde Fahrrad. Oder ihn zieht es doch in den Off-Space: bb15 ist ein Ort, an dem man physisch vorhanden sein kann.
Anything that you want to do,
anyplace that you want to go
Dont need permission for everything
that you want
Any taste that you feel is right
The Jam, Art School (1977)
bb15 ist ein unabhängiger Artist-Run-Space und Kurator*innen-Kollektiv.
bb15.at