Von Sexarbeit wird erwartet, was wenig Berufe leisten können: selbstbestimmt und zwanglos zu sein. Pauli ist seit 3 Jahren in verschiedenen Bereichen der Sexindustrie zu Hause und gibt hier Perspektiven auf diese Arbeit, um internalisierten Vorurteilen die Stirn zu bieten.
Neulich outete sich im Gespräch ein Mensch, den ich gerade erst kennengelernt hatte als Kunde von Sexdienstleistungen. Das fand ich gut, denn auch Kunden von Sexarbeitenden leiden unter einem Stigma. Die Frage, woher er denn wissen könne, ob die gebuchte Sexdienstleisterin das gerade aus Spaß macht und woran er erkenne, dass sie nicht ausgebeutet wird, kam im Gespräch immer und immer wieder auf.
Genau dieser Zugang zum Thema Sexarbeit offenbart eine Logik, die dem kapitalistischen System inhärent ist: Es kann nur erlaubt sein, was komplett selbstbestimmt ist. Und was erzwungen ist, sollte verboten werden. Die Debatte um Freiwilligkeit bzw. Selbstbestimmtheit ist eine Falle im Kapitalismus.
Ich widme diesen Text allen (dezidiert männlichen) Konsument*innen von Sexdienstleistungen und allen Menschen, die sich von ihren Vorurteilen noch nicht lösen konnten und immer noch verkürzte Kapitalismuskritik betreiben, wenn sie sich um andere sorgen. Bitte hört auf, euch um uns Huren zu sorgen, oder fangt an, euch auch um Fleischfabrikarbeitende, Erntehelfer*innen, Bauarbeitende, Call-Center Agent*innen, Pflegekräfte, Kassierer*innen und noch viel mehr Arbeiter*innen zu sorgen.
Unsere Gesellschaft ist auf das Überleben und das minimale Wohlergehen ihrer Mitglieder angewiesen. Dazu benötigt es Menschen, die kochen, die pflegen, einkaufen, waschen, trösten, zuhören, in den Arm nehmen und sich sorgen. Wenn auch nicht für alle in gleichem Maße wichtig, gehört auch sexuelle Befriedigung zu diesen Grundbedürfnissen. Damit ist nicht der Quickie gemeint, sondern die sexuelle Befriedigung als Bestandteil menschlicher Zuwendung. All das nennen wir Care-Arbeit. Die Systemrelevanz dieser Arbeiten wurde den meisten Menschen (leider erst) durch Corona unmittelbar bewusst. Ebenso, dass deren Ausübung neben Ausbeutung, schlechter (oder gar keiner) Bezahlung oft auch noch mit Stigmatisierung einhergeht.
Der Neoliberalismus des 21. Jahrhunderts ist ein System, in dem Menschen überall auf der Welt ausgebeutet werden, in dem meist Frauen* und Migrant*innen auf dem Kontinuum „Pflege-Reinigung-Sexarbeit“ arbeiten. Ein System, in dem Fähigkeiten und Ausbildungen von Geflüchteten und Migrant*innen nicht so viel wert sind, wie die derjenigen, die hier geboren wurden. Ein System, in dem Cis-Männer die meisten Führungspositionen besetzen, und in dem Frauen*, die eine selbstbestimmte Sexualität und Körperautonomie haben, von Gewalt und Diskriminierung betroffen sind.
Sexarbeit kann in der Tat selbstermächtigend sein, aber darum geht es nicht. Es geht verdammt nochmal ums Geld. (Kitty Carr)
Aber wir können nun mal nicht den gesamten Kapitalismus auf einmal abschaffen. Wie die meisten Menschen versuchen wir Sexdienstleister*innen unter den gegebenen Verhältnissen durchzukommen. Jede Arbeit hat ihre ganz eigenen Vorzüge und Ärgernisse.
Den wenigsten Menschen auf der Welt ist das Privileg gegeben, Lohnarbeit aus Selbstverwirklichung zu machen – das ist ein neoliberaler Mythos.
Aber wir Sexarbeitende sind immer wieder von der Unfähigkeit der Gesellschaft betroffen, sich dessen bewusst zu werden. Einer Gesellschaft, gefangen in der christlichen Moral. Das äußert sich in paternalistischen Helfer*innen-Symptomen, in „besorgten“ Kommentaren, in Abwertungen, die nicht als solche gemeint sind, und in Gewalt und offener Diskriminierung.
Ja, es gibt privilegierte und glückliche Huren wie mich, die sich den Beruf aussuchen, weil er trotz guter Ausbildungen und vieler anderer Möglichkeiten im gutbürgerlich und angepassten System der Job ist, der weitestgehend glücklich macht und die Möglichkeit der Entfaltung und Horizonterweiterung bietet. Und es gibt auch Menschen, die unter falschen Versprechungen in andere Länder gelockt werden. Zwischen diesen Realitäten liegen Welten und alle Geschichten haben ihre Berechtigung.
Kommentare wie: „Woher weiß ich, ob sie glücklich ist und nicht ausgebeutet wird“, setzen falsch an. Diese Art von Kommentar wäre nur akzeptabel, wenn er für alle Arten von Arbeit und mit der Zielsetzung und Bereitschaft gemacht werden würde, sich für den Kampf für die Überwindung des Kapitalismus einzusetzen.
„Auch Sexarbeit ermöglicht es Menschen, sich in unserer von Zwängen durchzogenen Welt ein bisschen Handlungsmacht zurückzuerobern: Sofort Geld auf die Hand, und das ohne Berufsausbildung oder größere Investitionen, hohe Mobilität, wenn gewollt. Sicher, der Preis dafür ist hoch: Stigmatisierung, (gesundheitliches) Risiko, anstrengende Kunden. Es gibt gute Gründe, nicht in Bereiche der Sexarbeit zu gehen. Es gibt aber auch viele gute Gründe dafür“, so Theo Meow, Aktivist der Szene. Sexarbeit ist definitiv kein Job wie jeder andere und nicht für jede*n geeignet. Es braucht Voraussetzungen, Talente und Kenntnisse, um den Beruf erfolgreich und unbeschadet ausüben zu können. Jeder Teilzweig (Straßenstrich, Escort, Laufhaus, Massagestudio, Caming etc.) erfordert besondere, jeweils andere Kenntnisse, verschiedene Trainings- und Weiterbildungen. Die „Wahl“, in welchem Bereich Geld verdient wird, sei allen selbst überlassen.
Migrant*in zu sein verändert alles, denn der Entscheidungskorridor ist schneller schmaler bemessen als für andere.
Armut, rassistische oder sexistische Marginalisierung, fehlende Papiere, unzureichende Sprachkenntnis, Probleme bei Behördengängen oder der Eröffnung eines inländischen Kontos – Migrant*in zu sein verändert alles, denn der Entscheidungskorridor ist schneller schmaler bemessen als für andere.
Das ist in der Sexarbeit so, wie in allen anderen Berufen auch. Die persönliche Wahlfreiheit wird drastisch eingeschränkt und all das erleichtert es, in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen zu landen. Egal, in welchem Tätigkeitsbereich.
Die Diversität der Sexindustrie und der Menschen, die in ihr tätig sind, bedeutet auch, dass Sexarbeiter*innen unterschiedliche Privilegien besitzen und unterschiedliche Formen von Diskriminierung erfahren.
Gesellschaftliche Sichtweisen drängen der Sexindustrie, zusätzlich zu Stigmatisierung und Ausgrenzung bestimmter Gruppen von Sexarbeiter*innen, eine moralisch motivierte Hierarchie auf, die auf folgenden Kriterien beruht: Migrant*innenstatus, ethnische Herkunft, Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Drogenkonsum, Arbeitsbereich bzw. Art der angebotenen Dienstleistungen sowie psychische und physische Gesundheit. Sogar unter Sexarbeiter*innen gibt es Personen, die diesen Sichtweisen zustimmen. Es ergeben sich verschiedenartige intersektionale Diskriminierungserfahrungen.
Eine Sexarbeiter*in ohne gesicherten Aufenthaltsstatus kann zum Beispiel keine Anzeige bei der Polizei erstatten, wenn sie Gewalt erfährt. Wobei sich ohnehin nur die wenigsten Sexarbeitenden freiwillig bei der Polizei melden, da sie, egal ob mit und ohne Aufenthaltserlaubnis, Diskriminierung erfahren. Dadurch erfährt sie eine andere Form von Marginalisierung als ihre Kollegin mit gesichertem Aufenthaltsstatus oder österreichischem Pass.
Wir Huren, die uns einen Aktivismus erlauben können und für unsere Arbeitsrechte kämpfen, kämpfen immer noch gegen Stigmatisierung und Doppelmoral, repressive politische Regelungen in Bezug auf Migration und die dadurch entstehenden negativen Konsequenzen für Sexdienstleister*innen an. Es bestehen nach wie vor mehr Pflichten als Rechte. Achtung: Oft sind wir, die es repräsentieren, nicht repräsentativ – dennoch sind wir mitzudenken in der riesigen Welt der Sexindustrie. Auch unsere Geschichten haben Berechtigung.
Benachteiligungen aufgrund von moralischen Bedenken dürfen nicht akzeptiert werden.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich in der gesellschatlichen Betrachtung von Sexarbeit kapitalistische, patriachale und rassistische Strukturen manifestieren. Probleme, die nicht gelöst werden durch strukturelle Gewalt und verkürzte Kapitalismuskritik oder gar ein Verbot eines Berufes.
Also, willst du ein guter Kunde sein?
Und nun zurück zu meinem Gespräch mit dem gerade geouteten Kunden. Du willst ein guter Kunde sein und sichergehen, dass es der Sexdienstleister*in mit dir gut geht? Hier ein paar Tipps, die dabei helfen können und die du prinzipiell auf jede Dienstleistung anwenden kannst:
Meine „Lieblingskunden“ sind diejenigen, die mich und meine Auswahlverfahren mit Respekt behandeln, mich wie besprochen bezahlen, mich nicht schikanieren oder stalken. Mich nicht ihren rassistischen Tiraden aussetzen, während von mir erwartet wird, zu lächeln und zu nicken.
Meine Favoriten lesen mein Profil richtig, informieren sich über meine Arbeitszeiten, Honorare, Dienstleistungen und wie ich es vorziehe, kontaktiert zu werden. Sie meckern nicht, wenn ich eine Anzahlung verlange, und sie verlangen keine Dienstleistungen, die ich nicht anbiete. Sie respektieren meine Zeit. Sie rufen nicht mit Schwänzen in der Hand für einen kostenlosen sexy Chat an oder tauchen zu spät auf.
Sie kommunizieren gut und kommen wieder: Je länger ich jemanden treffe, desto mehr Spaß haben wir, weil wir Vertrauen aufbauen.
Sie informieren sich selbst über Geschlechtskrankheiten, wie sie übertragen werden und überlassen diesen Teil nicht nur mir als Dienstleister*in.
Sie geben mir immer die Möglichkeit, NEIN zu sagen, auch wenn wir schon mitten drin sind. Nur weil sie für etwas bezahlt haben, bedeutet das nicht, dass sie das Recht haben, über meinen Körper zu verfügen.
Sie fragen nach, anstatt nur anzunehmen. Sie zeigen ihren Corona-Test vor, ohne dass ich danach fragen muss.
Sie erkennen und akzeptieren, dass ich als Sexarbeitende im Rahmen meiner Arbeit manchmal Dinge tue, die mir nicht wirklich Spaß machen oder Lust bereiten und dass ich dennoch explizit dazu bereit bin, es zu tun und gute Gründe dafür habe – das nennt man nicht-enthusiastische Zustimmung.
Also, wie bei anderen Käufen oder Konsumwegen auch: Mache dir vorab Gedanken über deine Bedürfnisse und überlege dir, welche sexuelle Dienstleistung am besten dafür geeignet ist, deine Bedürfnisse zu erfüllen. Kenne deine Grenzen und respektiere die Grenzen der Dienstleister*in. „Der Kunde ist König“ – einfach, nö!
Sexarbeit ist Arbeit – Respekt!
Podcasts
Weitere Tipps für Kund*innen in der Podcastfolge „Das Date“ meiner Kolleg*innen llleonie und lllil:
mitzunge.podigee.io
Paulis jüngstes Interview zum Thema, Beschreibungen, Kenntnisse und Talente und Sexpositivität:
open.spotify.com/episode/2NUdcxSBMY8aQ01jMjMNc7?si=61213568318c4ea0
Filmtipp
Gerade arbeite ich mit zwei Kolleg*innen an einem länderübergreifenden Sexworker-only-Filmprojekt. Auf Grund unseres Berufes, dem damit behafteten Stigma und internalisierten Vorurteilen sind wir S_xarbeitende oft mit toxischen Beziehungsdynamiken konfrontiert und finden uns oftmals in Situationen wieder, in denen wir unsere Partner*innen weiterbilden müssen. Und das natürlich nur, wenn wir uns dazu entschließen, offen mit unserem Beruf umzugehen. Unser Kurzfilm soll unseren Beziehungsmenschen dabei helfen, ihre Vorurteile zu bearbeiten und gleichzeitig unsere Community stärken. Wir S_xarbeitende sind die Expert*innen in Fragen zu unserer Arbeit. Leider wird uns dies nach wie vor selten anerkannt. Mit diesem Projekt beleuchten wir unsere Themen innerhalb von Beziehungen und schaffen uns Gehör. Wir verstehen dieses Video als Bildungs- bzw Aufklärungsmaßnahme für die Mehrheitsgesellschaft. Darüber hinaus kann es als didaktisches Material für die Ausbildung verschiedener Berufe (Sozialarbeit, Erwachsene Bildung, Psychotherapie usw.) zur Destigmatisierung von sexarbeitenden Personen verwendet werden. Der Film ist ab September 2021 auf der Webseite der Postproduzent*in zu sehen:
www.smo-s.com
Veranstaltungstipp
Vom 22. bis 25. September findet in Wien das Projekt „RED RULES Vienna“ statt, bei dem Menschen die Möglichkeit geboten wird, Einblicke in verschiedene Bereiche und Themen der Sexarbeit-Industrie zu erlangen. Am 22. September gibt es die Premiere der Performance „City Of Whores“, die dann noch bis 25. abends läuft. Die Konferenz zur Sexarbeit findet vom 23. bis 25. September von 11–17 Uhr statt. Tickets und weitere Informationen: ntry.at/redrulesvienna