Da sitzt eine also, maßlos ernüchtert und denkt und denkt und denkt. Zermartert sich das Hirn, entwirft Szenarien, verwirft sie und schickt am Ende des Tages doch wieder bloß Emails in die Runde, mit der Frage – was können wir tun, was müssen wir tun? Liest die Antworten. Liest, dass es allen gleich geht. Und so kommen wir uns alle gleich ohnmächtig vor, obwohl wir es natürlich nicht sind. Wir sind so sicher – noch – vor Klimakatastrophe, Waldbränden, Pandemien und Taliban. Und fühlen uns ohnmächtig? Was braucht es denn, um den Hintern hochzukriegen, die Ohnmacht zu überwinden? Und diese Frage, die richtet zuallererst an mich selbst. Das alles war abzusehen, die zunehmende Verrohung mehr als spürbar. Geholfen hat das Spüren nichts, weder das leise Beben noch das Zittern, auch nicht die Unruhe, mit der in den letzten Jahren jede Entscheidung, jede Verabschiedung, jedes Loslassen, jedes neue Aufrichten und Auspacken begleitet war. So viel steht einer offen, wenn sie hier geboren ist: dass sie ständig ein- und auspacken, umziehen und neu beginnen kann. Ganz ohne sich als Flüchtling, Asylantin oder Obdachlose beschimpfen lassen zu müssen. Österreich, das einst ein verdammt gutes, sozial ausgeglichenes Land war, in dem jedes Kind gleiches Recht auf kostenlose Bildung, medizinische Versorgung und Berufschancen hatte (wobei ich das anzweifle, das Land war im Grunde immer ständestaatlich organisiert, es hat uns bloß nicht wirklich gestört) hat so viele ohnmächtige Alleskönner hervorgebracht, Blinde, die meinen, alles überblicken und einordnen zu können, Narzisst:innen, die wohlwollend den Kopf schieflegen, und glucksend davon berichten, wie gut sie es mit anderen meinen, dass einer nur noch schlecht wird. Nichts anderes als verroht sind sie, die aktuell das Land regieren, und auch wir, die es nicht regieren, aber kaum adäquat reagieren auf all die Unmenschlichkeit, die sich dieser Tage über uns ganz offen und unverhohlen ergießt. Frauen verstecken sich in Kellern vor den Taliban, Frauen werden abgeschoben, Frauen fliehen vor den Auswüchsen eines nach wie vor kolonialistisch getriebenen Kapitalismus und da stellt sich einer hin und meint: Hilfe vor Ort wäre jetzt das richtige. Im Wissen – und das ist das Unerhörte – darum, dass es die nicht gibt, nicht geben kann. Wie oft muss sich Geschichte wiederholen, wie lange und wie oft sind wir noch bereit, mitanzusehen und mitanzuhören, dass jene, die alles im Handumdrehen zum Besseren gestalten können, die Hände falten und in den Schoß legen, aus purer Angst, die Zustimmung von der rechtsrechten Seite zu verlieren? Es ist genug, „wir“ haben lange genug auf Kosten anderer gelebt und uns achso ohnmächtig gefühlt, angesichts eines Wordings, das an Menschenverachtung nicht vermissen lässt: belastet sei Österreich, „belastet“. Nein, müssen wir ihnen entgegenhalten, Menschen in ihrer Not zu helfen, ist keine Belastung (und wer sich belastet fühlt angesichts der Not, die global herrscht, verursacht einzig durch Nationen und Menschen, die es sich gut gehen haben lassen auf Kosten anderer, der fühlt sich sehr schnell ebenso belastet durch die Not derer, die bereits im Land leben, machen wir uns nichts vor, Hautfarbe, Staatenzughörigkeit und Religion hin oder her). Im Gegenteil – Menschen wie Karl Nehammer, Sebastian Kurz, Alexander Schallenberg und Peter Doskozil belasten viel mehr jene Menschen, die emotional und kognitiv begriffen haben, dass wir nur Teil eines Ganzen sind, Teil eines jeden anderen Menschen, den wir im Stich lassen, den wir in den Kellern zurücklassen, den wir ertrinken lassen. Zu meinen, es könnte ein Leben abgesondert von anderen Leben geführt werden, ist kein Entwurf, der uns im Jahr 2021 weiterhilft, war nie ein Entwurf, der irgendjemandem weitergeholfen hat. Politiker:innen, die uns nur teilhaben lassen wollen an ihrer eigentümlich kurzen und kleinen Scharade, die sie Politik nennen, haben jegliche Bedeutung verloren angesichts der Herausforderungen, die aktuell zu bewältigen sind und sollten kein Land regieren dürfen. Nirgendwo.
Ich bin grantig, ich fühle mich ohnmächtig, aber ich weiß, dass ich kein Recht dazu habe. Ich habe keine Ahnung, was jetzt zu tun ist, aber ich weiß immer noch zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Lasst Euch nichts anderes einreden. Alle, die jetzt schweigen, obwohl sie ihre Stimme erheben könnten, alle, die ihre Städte und Nationen weder zu sicheren Häfen noch zu klimagerechten Zonen machen, machen sich in eben diesem Moment schuldig. Und wir dürfen nicht so dumm oder ebenso verroht sein, sie auch noch zu wählen. Sie vertreten immer nur sich selbst und ihre eigenen Interessen.
Mir ist bewusst, wie naiv das klingt, aber: es braucht Reservate. Zonen für all die patriarchalischen Dumpfbacken, ob sie sich nun Taliban, Nazis, Faschisten oder Fundamentalisten nennen, wo sie – gut umzäunt und abgeschottet – ihren idiotischen, ewiggestrigen Spielchen nachgehen können. Von früh bis spät. Schenkt ihnen ein paar Mopeds, auf denen sie dann gegeneinander antreten können, bis ihnen das Benzin ausgeht. Denn sie – nur sie – sind die Belastung, vor der man den Rest der Welt schützen muss.
Möglicherweise meint nun eine:r: Ja, was hat das denn mit einer Arbeitskolumne zu tun? Sehr viel, darf ich entgegnen. Alles im Grunde. Was unsere Haltung zu Arbeit, zu Verantwortung und zu Feminismus aktuell ausmachen sollte, ist meiner Meinung nach sehr, sehr basic: rettet Menschen. Tut alles, was in Eurer Macht steht, um Unrecht sich nicht wieder und wieder wiederholen zu lassen. Tut es in Eurer Freizeit und tut es in Eurer Arbeitszeit. Nennt es zivilen Ungehorsam, nennt es Kündigungsgrund. Es ist egal. Aber tut es! Ihr seid nicht ohnmächtig, solange es jene Frauen nicht sind, die aktuell in Kabul in Kellern ausharren.
Verroht
- Published: 3 Jahren ago on 6. September 2021
- By: Wiltrud Hackl
- Last Modified: September 7, 2021 @ 5:13 pm
- Filed Under: Kolumnen