Eine wesentliche, nicht wegzudenkende Komponente des Radfahrens ist der Sturz, welcher glimpflich, aber auch tragisch enden kann. Johannes Staudinger, unser Mann fürs Rad, denkt vielleicht schon an Glatteis und Winter, unternimmt jedenfalls eine Ausfahrt in die Gefilde der Kunst mit Rad, um danach über praktische Dinge zum Sport zu gelangen.
Nackt braust sie nächtens auf dem Rad durch die Stadt. Ein Lächeln ziert ihr Gesicht und das lange, dunkle Haar weht wild im Fahrtwind. Der Himmel ist voll mit Sternen behangen, ein greller Lichtkegel weist ihr den Weg über das holprige Kopfsteinpflaster. Ihre Beine hat sie von den Pedalen gehoben, um das Vehikel kunstvoll bei voller Fahrt zu balancieren.
Das Bild „Die Radfahrerin“ vom Linzer Künstler Mario Michaelis ist eine Allegorie auf das Radfahren, auf ein ausschweifendes Leben voller Lust und Lebensfreude. Es ist das Festhalten eines Moments, ohne Gedanken daran zu verschwenden, was zuvor war und was noch kommen mag. Ein Stürzen, ein Fallen ist nicht vorhersehbar, wie es die Eigenheit eines jeden Sturzes ist.
Mir selbst sind als begeisterten Radfahrer schon so einige Stürze widerfahren. Als sportlicher Jugendfahrer durchschlug ich, bergauf fahrend, mit dem Kopf die Heckscheibe einer am Fahrbahnrand stehenden Luxuskarosse aus der Schweiz. Der Schock saß tief. Neben eines ausgeschlagenen Schneidezahnes, einer Blessur am Kinn und eines gestauchten Fahrradrahmens sind die äußeren Umstände und die Vorgeschichte des Crashs ins Genre der Humoreske einzuordnen: Die Schweizer hielten an dieser Stelle nicht abrupt, sondern verweilten dort schon einige Zeit, um mit Großmutter und Enkelkind in einem Feld rastende Störche auf der Durchreise zu beobachten – auf einer weit einsehbaren, leicht ansteigenden Geraden. Ich war mit dem Rennrad unterwegs, um mir für mein erstes Ferialpraktikum ein Monatsticket beim nahegelegenen Bahnhof zu besorgen und verband die Fahrt mit einer kleinen Trainingseinheit für ein am gleichen Tag stattfindendes Zeitfahrrennen. Konzentriert fuhr ich meine Linie tief am Rad liegend, den Blick nach unten auf den Asphalt gerichtet, damit ich nicht ins weiche Fahrbahnbankett geriet. Unfall und Sturz waren unvermeidlich.
Ein paar wenige Stürze mehr begleiteten mein Leben, wobei diese durchwegs tröstlichen Ausgang fanden, und rückwirkend betrachtet eventuell auch Kunstvolles in sich bergen.
Vielleicht können die modernen, smarten Technologien dazu beitragen uns beim Radfahren weniger stürzen zu lassen? So wie in der Automobilindustrie bereits Systeme zur Anwendung kommen, die uns über Fahrbahnbeschaffenheit und Verkehrsaufkommen informieren.
Christoph Fraundorfer von My-Esel und Florian Born entwickelten zum Beispiel im Rahmen des heurigen Ars Electronica Festivals eine App, welche Schlaglöcher erkennt, speichert und mittels eines am Fahrrad angebrachten Markierungsgeräts, diese im Vorbeifahren markiert, um nachfolgende RadfahrerInnen zu warnen und den Kommunen darüber Feedback zu geben, wo Straßenbelage nachgebessert werden müssen. Oder die Fahrrad-Navigations-App von bikecitizen in Graz, welche die geeignetsten Fahrradrouten in der Stadt, auf Basis des Wissens von Fahrradboten, anbietet.
Ganz ohne App kam hingegen der niederländische Performance- und Konzeptkünstler Bas Jan Ader in den 1960 und 70ern aus. Wahrscheinlich würde er aber auch heute nicht auf diese Technologien zugreifen wollen, denn das Fallen und das Ungewisse waren wesentliche Bestandteile in seinem Œuvre. In seiner Falling-Serie mimt Ader den tragischen Helden, der slapstickhaft fällt. In Fall II, Amsterdam fährt er geradewegs mit dem Fahrrad auf einen Kanal zu, um dort über die Kante zu kippen und im trüben Wasser zu versinken. Der dieser Aktion innewohnenden Ästhetik des unkontrollierbaren Moments fand viele Nachahmer und wurde über die Jahre hinweg oftmals zitiert. Leider verschwand Ader 1975 beim Versuch alleine den Atlantik auf einem kleinen Segelboot zu überqueren und blieb seither verschollen.
Zum Glück und ohne zu stürzen fand der Künstler Hans Schabus seinen Weg zurück von seiner 5352 km langen Solo-Fahrt mit dem Fahrrad quer durch Nordamerika. Schabus, der des Öfteren das Rad in seinen Arbeiten in Szene setzt, lässt in seinem Werk Parallelitäten zur Kunst Aders erkennen und geht dabei ähnlich kontemplativ vor, indem der Blick des Betrachters auf die künstlerische Aktion selbst gerichtet ist.
Geistiges Sich-Versenken in einen fahrradtechnischen Akt thematisierte auch der Künstler Sam Starr in seiner Arbeit Circulus von 2010. Er konstruierte eine Radbahn in eine stillgelegte Bibliothek und drehte dort seine Runden voller Konzentration und Andacht. Die Stille beim Lesen in einem Leseraum wird dem unermüdlichen Fahren im Oval gleichgesetzt. Wer jemals in den Genuss kam, in einem Radoval, einem Velodrom zu fahren, weiß darum Bescheid, wie schwer es anfänglich ist, gegen all die auftretenden Kräfte anzukämpfen, um auf der Bahn zu bleiben und nicht zu stürzen. Umso größer dafür ist dann das Lustempfinden, wenn man Balance und Rhythmus gefunden hat. Auch deshalb ist schon längst ein Velodrom für Linz vonnöten.
Florian Born und Christoph Fraundorfer – ESEL-Complain
www.aec.at/futurelab/residency-network/connectingcities
Bike Citizen – Fahrrad-Navigations-APP
www.bikecitizens.net
Bas Jan Ader – Here Is Always Somewhere Else/Fall II
www.youtube.com/watch?v=IA_BFCyytBQ
Hans Schabus – The long road from tall trees to tall houses
Ausstellungseröffnung am 19. Februar 2016, Salzburger Kunstverein
from-tall-trees-to-tall-houses.blogspot.co.at
Sam Starr – Circulus
vimeo.com/12844053
Gratuliere! Die Abfolge von dem Rad in der Kunst, deine eigenen persönlichen Erfahrungen als RennradFahrer und ein Überblick der KunstAktionen auf dem Rad sind unterhaltsam und interessant geschrieben.
Mir fehlen nur noch Bilder zu jedem Künstler den du erwähnst, dann is perfekt!
Lg albine
Liebe Albine Habian,
danke für das Kommentar! Als Redaktion wollen wir kurz darauf hinweisen, dass am Ende des Beitrags alle weiterführenden links zu den Künstlern bzw. den künstlerischen Beiträgen angeführt sind.
Liebe Grüße und einen guten Rutsch!