Das beim diesjährigen Festival der Regionen im Juni stattfindende „CouRage – Eine Hör- und Gedenkreise“ rückt Geschichten ins Zentrum, die von einer Welt der Zivilcourage und des Widerstandes erzählen. Theresa Gindlstrasser hat Gerald Harringer getroffen.
Am 5. Mai 1945 wurden die Überlebenden des Konzentrationslagers Mauthausen und der Nebenlager Gusen durch US-amerikanische Truppen befreit. Der in Zürich geborene Bankangestellte Louis Häfliger, der im April als Delegierter für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz einen Lebensmitteltransport ins KZ begleitet hatte, geleitete die Soldaten auf das Gelände.
„Es war der Plan sämtliche Häftlinge in die Stollen von Gusen zu bringen. Und das ist Ende April 1945 auch passiert. Die mussten viele Stunden lang eingesperrt in den bis auf einen Eingang schon vermauerten Stollen von Gusen verbringen und wussten, sie sind in einer Todesfalle, denn die Sprengkabel an den Eingängen waren schon gelegt. Diesen Plan wollte Louis Häfliger vereiteln. Und es war ihm klar, das kann er nur, wenn er die Amerikaner überraschend und schnell in unsere Gegend bringt. Und er wusste, sie sind bereits im Raum mittleres und westliches Mühlviertel. Louis Häfliger begab sich mit einem weiß gestrichenen Opel, den er im Lager Mauthausen von der Widerstandsgruppe streichen ließ, in Begleitung des SS-Mannes Reimer, der eingeweiht war in diesen Plan, ins Gusental, in dieses enge Verbindungstal zwischen St. Georgen und Katsdorf-Lungitz, Richtung Gallneukirchen und ist auf der Höhe des Riedererhäusels tatsächlich auf einen Spähtrupp, nämlich dieses Platoon D, der 11th Armored Division 41st Mechanised, gestoßen. Er hat diese Leute mit Kosiek an der Spitze ersucht, sofort nach Mauthausen und Gusen zu kommen. Es gab für Häfliger ein enormes Risiko, er hat seine Aufgabe als Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes bei weitem überschritten. Ob die Sprengungen der Stollenanlagen in Gusen, oder in St. Georgen, im Stollen ‚Bergkristall‘ wirklich durchgeführt worden wären, kann man heute nicht mehr sagen, aber der Plan und der Befehl dazu waren vorhanden.“
So die in St. Georgen an der Gusen lebende Diplompädagogin und Heimatforscherin Martha Gammer in einem Interview mit Gerald Harringer im Jahr 2013. Tatsächlich wurde Häflinger für sein eigenmächtiges Handeln verurteilt, da er gegen das Prinzip der Neutralität des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz verstoßen habe.
Harringer, Mitbegründer von „Die Fabrikanten“, Medienkünstler, Filmemacher und Kulturmanager, lebt seit 10 Jahren in Katsdorf, einer 3000 EinwohnerInnen-Gemeinde im Bezirk Perg in der Nähe von St. Georgen. Seit 2014 recherchiert er zum Thema NS-Zeit im Mühlviertel. Für das Festival der Regionen, das 2019 unter dem Thema „Soziale Wärme“ in der Region Perg-Strudengau stattfindet, hat er das Projekt „CouRage – Eine Hör- und Gedenkreise“ konzipiert. Gemeinsam mit Roswitha Kröll, ehemalige Geschäftsführerin von FIFTITU% und Leiterin des Aus- und Weiterbildungsbereichs von Radio FRO, findet Mitte Mai ein Radio- und Medienworkshop statt, wo Erzählungen über Zivilcourage gesammelt werden und eine Radiosendung produziert wird.
Ausgehend von dieser partizipativen Anordnung wird „CouRage“ als Busfahrt durch die Region führen. Start- und Endpunkt ist Perg. Dazwischen orientiert sich die Route an den in den gesammelten Geschichten markierten Orten. Die Passagiere bekommen historische und aktuelle Beispiele von Courage zu hören. Die Audioaufnahmen dieser Geschichten werden zum Teil innerhalb des Radio-Workshops produziert.
Weil das Projekt noch im Entstehen ist (Anm.: zur Zeit der Entstehung dieses Textes), vor allem die aktuellen Geschichten derzeit erst recherchiert werden, ist die Route der „Hör- und Gedenkreise“ noch nicht fixiert. Harringer: „Wir werden ziemlich sicher durch Ried in der Riedmark, Lungitz, Katsdorf, St. Georgen und Mauthausen kommen.“ Auf die Frage nach dem Ausgangspunkt dieses Projektes antwortet er: „Mein Vater war während des 2. Weltkrieges Feldwebel in der Deutschen Wehrmacht und überzeugter Nationalsozialist. Er wurde 1912 geboren und starb, als ich 15 Jahre alt war. Eine Auseinandersetzung mit ihm zu diesem Thema fand daher nicht statt. Dies mag einer der persönlichen Beweggründe für die langjährige Auseinandersetzung mit dieser Thematik sein. Nachdem nun bald die letzten Überlebenden des Holocausts gestorben sind, sehe ich es als meine, als unsere Aufgabe, die Erinnerung an Geschehnisse in dieser Zeit am Leben zu halten, gerade in meiner Umgebung, wo der Faschismus in Mauthausen und Gusen ein besonders grauenhaftes Gesicht zeigte.“ Harringer über andere Vorhaben: „Im Jahr 2012 bin ich auf Zeitzeugendokumente zur NS-Zeit in den ‚Katsdorfer Heimatblättern‘ und auf Franz Steinmaßls Buch ‚Das Hakenkreuz im Hügelland‘ gestoßen. In den letzten sechs Jahren ist ein Spielfilmdrehbuch entstanden. Ein Dokumentarfilm zum Thema Zivilcourage während der NS-Zeit mit Fokus auf Deportationszüge auf der Summerauerbahn und einem Fokus auf das KZ Gusen ist in Produktion.“ Und weiter: „Es wird im Alltag immer wichtiger, Zivilcourage zu zeigen, sich für jemanden einzusetzen, ungehorsam zu sein, Befehle zu verweigern, sich zu wehren, für etwas aufzustehen, seine Meinung in aller Öffentlichkeit kundzutun, dort, wo niemand sonst den Mut dazu findet. Nachforschen, hinterfragen. Weil sonst kann sich auf tragische Weise die Geschichte wiederholen.“
Am 5. Mai 2019 fand wie jedes Jahr die Gedenkfeier zur Befreiung in Mauthausen statt. Mehr als 9000 Menschen nahmen an der Veranstaltung teil. Nach Verlesung des Mauthausen-Schwurs, den Überlebende kurz nach der Befreiung verfasst haben, erfolgten Kranzniederlegungen und wurden Reden gehalten, welche die Notwendigkeit von Gedenken und Erinnern thematisieren. Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen-Komitees Österreich betonte: „Wir sehen das Wiedererstarken von Gruppierungen, die Identität zum Thema machen, die Entindividualisierung und Entsolidarisierung vorantreiben und die die Gesellschaft bewusst spalten wollen. Es liegt an uns, sich der Menschenverachtung entgegenzustellen und die Menschenwürde von uns allen zu verteidigen.“ Und Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kulturgemeinde, formulierte: „Was bringen die roten Linien, wenn sie ständig übertreten werden und keine Konsequenzen folgen. Früher sagten sie Umvolkung, heute nennen sie es Bevölkerungsaustausch.“
Im Rahmen dieser Gedenkfeier ist ein Foto entstanden, das Bundeskanzler Sebastian Kurz sitzend und die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Julia Herr, mit einer Plakat-Tafel zeigt. Darauf steht: „Einzelfall #3. FPÖ-Gemeinderat schickt Weihnachtsgrüße mit Nazi-Propaganda“. Die sogenannten „Einzelfälle“ oder „Entgleisungen“ von RegierungsvertreterInnen sind Provokationen gegen die im Mauthausen-Schwur formulierte „Welt des freien Menschen“. Rassistisches Denken rückt dergestalt ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Das Projekt „CouRage – Eine Hör- und Gedenkreise“ versucht jedoch, solche Geschichten ins Zentrum zu rücken, die von einer Welt der Zivilcourage und des Widerstandes gegen Ungerechtigkeit, Rassismus und Verfolgung erzählen. Nach dem Zusammenhang von Courage und Rage gefragt, antwortet Harringer: „Es ist besser, seine Wut, die Rage (die sehr oft entsteht, wenn man sich die aktuelle politische Lage ansieht) zu kanalisieren und zu kultivieren, nämlich in die Courage, die dann eher jemandem zugutekommt.“
Festival der Regionen – „Soziale Wärme“
28. Juni bis 7. Juli in der Region Perg-Strudengau
fdr.at