Es wird Zeit über den Tod zu reden? Am 8. August wurde vom Verein sagbar auf dem Barbara-Friedhof der Memento #tag – Streetart & Vergänglichkeit initiiert und zelebriert. Christian Wellmann berichtet darüber, sowie über Death Positive und einige Aktivitäten des Vereins.
Gegenwärtig ist das „Problemkind“ Tod auch zu lästig. Immer will es die ganze Aufmerksamkeit, als wie wenn sonst nix los ist. Alle werden jemand kennen, der am Virus gestorben ist, so die bekannte Aussage des kindlichen Kanzlers. Angst fressen Seele auf – mit Haut, Hirn, Haaren und Homecomputer. Niemand will sterben – wer will, bitteschön – aber alles zerbröselt ja sowieso unumgänglich, irgendwann. Warum dann das Reflektieren darüber totschweigen? „Death Positiv“ heißt zu akzeptieren, dass man sterben wird, aber auch, dass man dem Tod mit derselben Neugier zu begegnen versucht, wie anderen Aspekten der menschlichen Existenz. Oder es bedeutet, dass ein schöner Stern nur ein Anblick eines längst erloschenen Lebens ist. Tod überall.
Der gemeinnützige Linzer Verein sagbar beschäftigt sich über Kunst und Kultur mit dem Thema „Tod“. Helfend. Humorvoll. Ernst. Und sucht eine neue Form der Friedhofskultur. Eine letzte Ruhestätte soll auch als Begegnungsort der Liebe möglich sein. sagbar stellt die Mittel, dem Leben und dem Tod mit Leichtigkeit entgegenzutreten. Das Leben leben. Selbstbestimmte Würde einatmen.
Betrieben wird der Verein von Verena Brunnbauer und Nicole Honeck. Als Trauerarbeiterinnen fordern sie, dass es Zeit wird, über das (oft) Unaussprechliche mehr und offen zu kommunizieren. Brunnbauer ist ehemalige Bestatterin, Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin, Freizeitpädagogin und Humorberaterin. Und beschäftigt sich bereits einige Jahre mit „Tod und Humor“. „Der Tod ist ein Reisender, der uns den ganzen Lebensweg begleitet und mein Ansatz ist es, einen leichtfüßigen Umgang damit zu finden“, so die ausgebildete Trauerbegleiterin Brunnbauer.
„Der Tod ist trotzdem ein Thema, mit dem man sich nicht gerne auseinandersetzt. Wir gehen davon aus, dass es besser wäre, sich damit zu Lebzeiten intensiver auseinanderzusetzen, um a) besser zu reagieren und agieren, wenn tatsächlich ein Todesfall eintritt – und b) weil das Ausnahmesituationen sind. Leute brauchen das, sie sind oftmals überfordert. Wenn man sich schon vorher damit auseinandersetzt, kann man anders agieren in so einer Situation,“ findet Nicole Honeck. Sie hat Kommunikationswissenschaften studiert und ist über Sozialarbeit in den Kulturbereich gewechselt. Hat eine Mediatoreninnenausbildung und ist danach im freien Bereich gelandet, beim Verein Pangea – die letzten sechs Jahre war sie in Leonding, bei der Kuva.
Beide erfüllen sich mit sagbar einen Herzenswunsch. Es gilt, gemeinsam Tabus zu brechen. Einen Umdenkprozess zu beschleunigen. Und so etwas wie eine Abfederung gegen ein zu hartes Aufschlagen zu ermöglichen, wenn der Ernstfall eintritt.
Direkt am Barbara-Friedhof befindet sich ihr Zentrum und Büro, das für vorläufig zwei Jahre bezogen wurde. An einem Eingang in einem ehemaligen Blumenladen gelegen, sind sie für alle Interessierten da und suchen das Gespräch mit FriedhofsbesucherInnen. „Zum Beispiel haben wir mit einer jungen Familie geredet, die ein Kind verloren und hier ein Kindergrab hat. Sie sagen, dass sie sich in ihrer Situation damals gewünscht hätten, wenn es so etwas wie uns gegeben hätte“, erzählt Verena Brunnbauer über eine äußerst positive Reaktion.
Es wird weiter laufend Ausstellungen, Workshops oder Weiterbildungsangebote geben. Im offenen Hauptquartier gibt es zudem eine kleine Bibliothek, die stetig ausgebaut wird. Es muss sich alles natürlich noch entwickeln – Input ist erwünscht. „Wir haben eine Finanzierung von der Stadt Linz bekommen, super. In Wahrheit ist das aber nicht ausfinanziert. Vieles müssen wir selber bezahlen. Die Zusage vom Land ist noch ausständig. Für das Projekt ist es uns das wert, wir lieben es“, so Honeck.
Der Memento-mori-Tag wurde 2013 in Australien geboren – 2020 gab es ihn erstmals in Österreich.
Der „Dying to Know Day“ soll gleichzeitig an die Sterblichkeit erinnern sowie daran, das Leben zu genießen. Am Sonntag, den 8. August 2021, hat sagbar auf dem Barbara-Friedhof nun den „Memento #tag – Streetart & Vergänglichkeit“ in passendem Rahmen zelebriert. Unter dem durchaus heftigen Motto: „Es wird Zeit, über den Tod zu reden.“ Für viele sicher ein schwer zu fassendes Thema.
Im Friedhof befand sich etwa eine Hörinstallation mit Haartrocknern von „Lebensblüten“ – dazu Workshops und Performances. Als ein nach außen hin sichtbares Zeichen ist eine Wand in der Lastenstraße (vor der Bahnunterführung) dauerhaft mit Graffitis verschönert. canlab, katuuschka, ruin, video.sckre haben sich Gedanken zum Tod gemacht und ein vielfältiges Panoramabild mit dottergelber Schmuckfarbe gestaltet, das hoffentlich noch lange dort zu betrachten ist, bevor die Farbe zerfällt. Die völlig unterschiedlichen Stile ergeben eine Narration des Todlebens, sofern man das so sehen will. Ein voller Erfolg, schauen Sie sich das an! „Ein zartes Band zwischen Streetart und dem Leben ist die Vergänglichkeit. Weder der Mensch noch Graffitis sind für immer. Ganz langsam verblassen sie und leben in Erinnerungen weiter“, so die sagbar-Macherinnen. Auf Friedhofsmauern zu sprühen ist eigentlich ein No-Go. Zumindest in Österreich. Die Außenmauern des Barbara-Friedhofs sind denkmalgeschützt – die Blechwand, die besprüht werden durfte, ist zudem ein für diesen Zweck schwer zu bearbeitender Untergrund. Brunnbauer hat bei Aufenthalten in Athen Unmengen an Graffitis zur Thematik gesehen und fotografiert – sie wurden hier als Planen an der Außenwand angebracht. Sie haben das Projekt stark beeinflusst. Und natürlich gab es noch die „Sargbar“: ein umgebauter Holzsarg, der zu Gesprächen an der Bar (=Sarg) einlädt und die Angst vor dem Tod nehmen soll. „Es ist alles sagbar an der Sargbar.“ Todernst ist hier gar nichts. Alle KünstlerInnen haben ihre „Memento“-Beiträge übrigens gratis gestaltet (siehe oben: Finanzierung).
Verena Brunnbauer und Nicole Honeck schwebt außerdem ein kultureller Garten am Friedhof vor – mit Sachen anpflanzen und so. Dass tatsächlich Leben dort passiert. Eine weitere Zukunftsvision ist ein Picknick im weitläufigen Gelände. Am Friedhof ist man (naturgemäß) eher vorsichtig, sich mit Neuem zu beschäftigen. „Doch die Friedhofszuständigen sind sehr offen, sie wünschen sich solche Sachen und unterstützen uns. Auch sind sie begeistert darüber, dass sich endlich etwas tut am Friedhof. Einmal was anderes“, erklärt das sagbar-Duo.
Viele Rückmeldungen sind so – die meisten Älteren sind aber eher ablehnend, natürlich nicht alle. Es gibt weitere gemeinsame Projekte mit dem Friedhof, wie zum Beispiel nächstes Jahr zu Ostern eine Wanderausstellung von einem Hospiz aus Deutschland („Gemeinsam gehen“). Oder Vorträge und Konzerte, wie „Quartett für das Ende der Zeit“ (Veranstaltungstipp s. u.).
In ihrem Büro oder über die Homepage kann das Kartenspiel „Sarggespräche“ gekauft werden. Es soll ein Werkzeug sein, um Gedanken, Vorlieben und Geschichten über Leben und Tod auf unterhaltsame Weise auszutauschen. Dieses Spiel mit insgesamt 100 Fragen wurde entwickelt, um die Kultur des Schweigens über den Tod zu brechen. Fragen wie: Was passiert, wenn du dir deine Sterblichkeit bewusstmachst? Oder: Wie möchtest du in Erinnerung bleiben?
Was ist Sterbehilfe? Wo hört sie auf? Der oft sehr negativ besetzte Begriff hat jetzt sogar in „Schnitzelhausen“ plötzlich Grautöne: Seit 1. 1. 2021 ist die sogenannte „Beihilfe zum Suizid“ erlaubt – dazu „indirekte und passive Selbsthilfe“. Der VfGH hat das bisher bestehende Verbot gekippt. Ein wahrlich radikaler Schritt, unglaublich, dass so etwas hierorts noch möglich wurde.
sagbar ist irgendwie auch eine Sterbehelferin oder ein Begleitservice. „Man will nicht immer über den Tod sprechen – aber man kann sich mit künstlerischen Mitteln, Ausstellungen, Plakataktionen nähern und KünstlerInnen einladen, sich damit zu beschäftigen. Und es von verschiedenen Seiten öffnen. In Deutschland ist es zum Beispiel groß, dieses Thema aufzubrechen, anders zu behandeln, ein bisschen mehr ins Leben zu integrieren. Dort gibt es viel variablere Sachen“, bemerkt Honeck.
In Österreich ist das weniger der Fall, der katholische Mief will einfach nicht aus dem Fuchsbau. Dazu ein anderes Beispiel: In der Nähe zu Time’s Up im Linzer Hafen ist die Anlegestelle für eine „Wasserbestattung“, die „Feierliche Verabschiedungen“ auf der Donau anbieten. Also für alle, die nichts mit Friedhöfen o. ä. zu tun haben wollen. Nur darf die Aschenbestattung tatsächlich nicht im Hoheitsgewässer ob der Enns erledigt werden. Das versaut wohl den Glauben oder die Gewässergüteklasse. Um die Asche offiziell und korrekt zu verstreuen, muss die niederösterreichische Grenze oder Passau angesteuert werden. Diese konservative Totenstarre, die so absurd klingt, dass man sie gar nicht glauben will, muss (mit vielem anderen religiösen Bling-Bling) dringendst hinterfragt werden. Und ebendort versenkt werden. Ist OÖ gar konservativer als Bayern oder NÖ? LH Stelzer fordert mehr Grenzschutz. Shorty’s Sugar Daddy braucht Geborgenheit. Wer schützt uns aber vor der Asche, die von Passau die Donau runterrinnt?
Passend dazu ist ein Umstand, den mir Nicole Honeck noch anvertraut: „Auf der Asche einen Baum zu pflanzen, ist in Österreich und Deutschland nicht möglich. Der Weg geht über die Schweiz – dort wird der Baum großgezogen, bis die ganze Asche aufgesaugt ist – und dann wird der fertige Baum wieder zurückgeschickt. Es wäre toll, wenn ein Ahnenbaum hier am Friedhof gepflanzt werden könnte.“ Zumindest werden nun sagbar-Samen ausgesät – wann sie aufgehen, wird man sehen.
KLF-Mastermind Bill Drummond hat sich mit einer Webpage (mydeath.net) bereits vor einigen Jahren mit einer ähnlichen Thematik beschäftigt. Leider ruht das Projekt, das sich mit möglichen Fragen zum Tod beschäftigte, bereits wieder. Bei einem Vortrag im Wiener MQ betonte er besonders die Wichtigkeit, sich einen letzten Song zur letzten Ruhe zu wünschen – und ihn via HP für alle ersichtlich einzutragen. Dies ist nur eine von unzähligen weltweiten Initiativen, die versuchen, den Tod wieder mehr zum persönlichen Thema zu machen. Und die versuchen, den Körper aus dem Monopol eines Staates oder einer religiösen Verschwörungsmaschinerie zu entreißen. Gut, dass auch in Linz daran gekratzt wird. „Es ist vollbracht“, so eine nachdenklich machende Grabsteininschrift am Barbara-Friedhof. Humor ist, wenn man trotzdem stirbt.
sagbar-Zentrale
St. Barbara Friedhof, Friedhofstraße 9, Linz.
Öffnungszeiten: Mo.: 17.00–19.45 h, Mi.: 9.00–12.00 h
Messiaen – Quartett für das Ende der Zeit
5. Oktober 2021, 19.00 h
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Blicke auf den Tod“ lädt der St. Barbara Friedhof im Vorfeld von Allerheiligen an drei Abenden ein, sich mit dem existentiellen Thema Tod aus verschiedenen Perspektiven zu beschäftigen: Psychologie, Musik, Literatur und Philosophie.
sagbar steuert einen musikalischen Abend bei: Messiaens sogenanntes „Quartett für das Ende der Zeit“ ist eines der maßgebendsten Werke des 20. Jahrhunderts. Es wurde im Konzentrationslager STALAG VIII A bei Görlitz komponiert. Mit: Joel Bardolet/Violine, Pablo Barragan/Klarinette, Dominic Chamot/Klavier, Elisa Siber/ Violoncello
Freier Eintritt. Zählkarten gibt es beim Portier des St. Barbara Friedhofs. Spenden erwünscht.