grabt unterm tempel des Gasometers schreibt Sara Ventroni, die Ende Mai in der Galerie MAERZ gelesen hat. Diesen Appell frei interpretierend, gräbt Robert Stähr unter den Tempeln der Einzelausstellungen von „Genuss der Weltoberfläche“ nach ästhetischen Verbindungen – und versieht, ebenso frei interpretierend, jeden dieser Tempel zuerst mit einer Zeile von Ventroni.
Erster Raum
der Gasometer, der zeit unterstellt, ist nicht vers und nicht sinn und nicht raum
Sara Ventroni: „Im Gasometer“
Sara Ventroni und ihre Übersetzerin Julia Dengg lasen am 20. Mai im Galerieraum der Künstler- und Künstlerinnenvereinigung MAERZ Gedichte aus Ventronis Buch „Im Gasometer“, welches neben Lyrik auch Essays und Storyboards enthält, mithilfe derer die Autorin das architektonische Phänomen und „Relikt der Moderne“ Gasometer gedanklich und metaphorisch umkreist, davon immer wieder abstrahiert und sich auf diese Weise einen Textraum für vielfältige Assoziationen zu (Industrie-) Landschaften und emotionalen „Architekturen“ schafft. Der klangvolle Vortrag der Italienerin kontrastierte mit der beinahe monotonen Lesung der deutschen Übersetzungen ebenso wie die unterschiedlichen „Idiome“ der beiden Sprachen.
Neben Ventroni trug an diesem und dem vorangegangenen Abend eine Reihe weiterer Autorinnen und Autoren unter dem Veranstaltungstitel „Kein Sprung ins Dickicht dringt, kein Huf hinaus“ literarische Texte vor, welche mit dem Thema „Landschaft“ einmal mehr, dann wieder weniger zu tun hatten. Das Spektrum an den beiden von Christian Steinbacher und Florian Huber zusammengestellten Abenden reichte von der Thematisierung realer, geographisch verortbarer Landschaften über Erkundungen von „inneren und äußeren Landschaften des Subjekts“ (Veranstaltungsfolder) bis zu den kurzen Erzählungen Hans Thills, in welchen dieser ebenso launig wie sprachlich präzise Szenen aus imaginären Dörfern entwirft. Das Nebeneinander von Lakonie und – immer wieder „aufblitzender“ – Absurdität verleiht den Texten des Autors, der auch als Herausgeber und Übersetzer arbeitet, einen sympathischen Reiz.
Den Um-Raum der zweitägigen Lesereihe bildet die in den MAERZ-Räumen zu sehende Ausstellung unter dem Titel „restlicht.romantik“. Fast alle gezeigten Arbeiten stehen vor dem Hintergrund romantischer Landschafts- und Naturbetrachtung des 19. Jahrhunderts mit ihrer Perspektive der Idealisierung des Verhältnisses von Mensch und Natur (bis hin zur Verklärung) und deren dunkler, schwerer fassbarer Kehrseite: dem Bedrohlichen, (Alp-) Traumhaften der Welt, Umwelt, welcher wir uns nicht entziehen können.
Sehr schön, gleichsam zweidimensional und doch plastisch erfahrbar wird dieses Ineinander von „Licht und Dunkel“ in dem großformatigen S/W-Bild „Gimme Shelter“ von Peter Hauenschild und Georg Ritter: ein Dickicht, eine Waldlandschaft – Bäume, der Boden dazwischen bedeckt: wovon? Von Steinen? Blättern und Erdreich? Gerade aus ihrer obsessiv anmutenden, millimeterhaft genauen Art der Zeichnung erwächst eine – ästhetisch kalkulierte – Unschärfe der Darstellung, die der Betrachterin/ dem Betrachter großen Spielraum lässt, im Bild eine Anzahl unterschiedlicher, einander überlagernder Bilder zu entdecken: Schutz, Verwüstung, Offenbarung, …
Auf den allerersten Blick ähnlich, auf den zweiten aber unterschiedlich ist der Ansatz von Gerhard Brandl – der die Ausstellung auch kuratiert hat – in seiner Arbeit „lands-cut“, aus welcher zwei Beispiele in der Ausstellung zu sehen sind. Brandl unternimmt photographisch genaue graphische Studien karg wirkender Wald- und Berglandschaften, arbeitet dabei gekonnt den Bezug zwischen der Dreidimensionalität des Dargestellten und der Zweidimensionalität der Bildfläche heraus. Der für seine genuine, mit der Technik photographischer Apparaturen experimentierende Photokünstler Walter Ebenhofer zeigt mit „Mountains indiscrete I und II“ zwei wiederum auf den ersten Blick nicht als solche erkennbare Photomontagen. Die Bruchlinien der Montage, aus wie vielen montierten Elementen sich die beiden Bilder zusammensetzen, ist nicht eindeutig auszumachen. Sie erzeugen vielmehr den Eindruck von hermetischer Abschließung, weisen die Betrachterin/den Betrachter quasi ab.
Ebenhofer, Brandl, Hauenschild/Ritter prägen im „Zusammenspiel“ ihrer gezeigten Arbeiten die Ausstellungssituation im größeren Raum der MAERZ, während im gegenüberliegenden kleineren Raum eine heterogene Ansammlung von Exponaten zu sehen ist, welche neben Malerei, Zeichnung und Photographie auch Video und Installation als Ausdrucksmedien einschließt. Das gewissermaßen „Andere“ der Ausstellung stellt – zurück im großen Raum – Lois Weinbergers „Verlauf“ dar: Der mit dem Einsatz von „natürlichen“ Materialien und Verfallsprozessen namhaft gewordene Künstler entwirft darin einen Plan, ein „poetisch-politisches Netzwerk“, eine … Landschaft von Worten und Begriffen; ob dieses Netzwerk „Hierarchien unterschiedlicher Art in Frage stellt“ (Info-Blatt zur Ausstellung), sei dem Urteil der Betrachterin/des Betrachters überlassen.
Zweiter Raum
an orten unweit von urbanen zentren konzentriert sich alles auf die konstruktion von fixen bildern, posituren.
Sara Ventroni: „Im Gasometer“
In den Räumen des Architekturforums, direkt neben jenen der MAERZ gelegen, wird eine Ausstellung unter dem Titel „erfahrene Landschaft“ gezeigt, welche laut Folder „die Beziehung von Auto, Mensch und Landschaft“ thematisiert. Beide Ausstellungen sind Teil der Kooperation „Landschaft oder vom Genuss der Weltoberfläche“ von StifterHaus, Stadtmuseum Nordico, Landesgalerie sowie eben MAERZ und Afo. Im Unterschied zur klar im Kunst-Kontext verortbaren „restlicht.romantik“-Schau setzen die im Architekturforum gezeigten Arbeiten den Fokus auf Diskursivität und Symbolik.
Tobias Hagleitner, der die Ausstellung nach einer Idee von Gabriele Kaiser konzipiert und gestaltet hat, ist selbst mit mehreren Exponaten dort vertreten. Von symbolischer Wirkmächtigkeit ist seine Rauminstallation „Unter der Wunschmaschine“, in welcher er auf der Innenseite einer Art begehbaren „Baldachins“ Bildmaterial aus der Autowerbung zeigt, um deren einschlägige Mythen und Erzählungen von Raum und Freiheit. Inhaltlich und formal sehr interessant ist die Arbeit „Der ideale Blick“ mit ihrer Kombination von Landschaftsmalerei aus dem 17. bis 19. Jahrhundert (sic!) mit Ansichten aus „Google Street View“. Der ideale wird als ein intentionaler, also von jeweiligen Absichten bestimmter Blick entlarvt, mehr noch: „Die Landschaftsproduktion folgt ganz bestimmten Interessen.“ (Folder)
Eine gleichzeitig dokumentarische und künstlerische Arbeit zeigt Kurt Hörbst. Er hat den Bau der Mühlviertler Schnellstraße „S10“ über mehrere Jahre photodokumentarisch begleitet und neben den massiven Eingriffen in die Landschaft auch die skulpturale Qualität von Felsensprengungen, Hügelabtragungen einerseits, von unfertigen Straßenteilen, Lärmschutzwänden andererseits mit genauem Blick herausgearbeitet. Wie praktisch in der gesamten Ausstellung wird auf die ökologische Dimension des motorisierten Verkehrs und der dafür notwendigen Infrastruktur freilich nicht oder lediglich „versteckt“ Bezug genommen. Natürlich greift der einfache, ideologisch motivierte Gegensatz von „Natur“ und „Kultur“ viel zu kurz; das damit gemeinte Spannungsfeld in einem allgemeinen Kontext der Kulturation aufgehen zu lassen, lässt wiederum die umweltproblematische Seite zu starker Eingriffe in ökologische Kreisläufe – ob nun gewollt oder nicht – in den Hintergrund treten. Bodo Hell hat zur Arbeit von Hörbst einen Begleittext geschrieben, welcher im Buch zum Projekt abgedruckt ist.
Weitere Stationen der Ausstellung im Architekturforum kokettieren mit plakativer Symbolik (M. Jeschaunig), verzichten auf das Symbolische ganz (D. Meindl) oder laden zu einem stationären „road trip“ mit ausgewählter Musik aus einem „Autoradio“ ein (R. Laimer).
Gleichsam das „missing link“ zur Ausstellung im Stadtmuseum Nordico bildet eine als „Gruß von der Alpenfahrt“ titulierte Sammlung (Zusammenstellung: Gerhard Brandl mit Tobias Hagleitner) von Ansichtskarten mit Motiven von durch Gebirgslandschaften führenden Autostraßen. Im Folder zur Ausstellung steht dazu: „Die häufige Darstellung von Gebirgslandschaft und Autostraße auf Ansichtskarten spiegelt die Bedeutung der automobilen Erschließung der Alpen für das kulturelle Selbstverständnis von Gesellschaft wie Individuum.“
Dritter Raum
das eisen von efeu umringt voll efeuknoten die ringe des gasometers.
Sara Ventroni: „Im Gasometer“
Das Linzer Zimmer, ein kleiner Raum im Erdgeschoß des Nordico, beherbergt derzeit eine ebenfalls von Gerhard Brandl zusammengestellte Schau von Ansichtskarten mit Landschaften und Orten aus Oberösterreich und aller Welt. Wiewohl die Ausstellung eine ambitionierte Struktur (drei „Blickrichtungen“) aufweist und eine zeitliche Palette von mehr als hundert Jahren abdeckt, erweckt die konkrete Anordnung der Karten den Eindruck eines insgesamt wenig aussagekräftigen Sammelsuriums von Motiven. Auch die in Schaukästen aufgelegten Künstleransichtskarten vermögen diesen Eindruck nicht entscheidend abzuschwächen.
Vierter Raum
jeden tag auf dem rückweg nehm ich den Gasometer.
Sara Ventroni: „Im Gasometer“
Betritt man den Galerie- und Veranstaltungsraum des StifterHauses durch die Flügeltür, prallt man zurück: Eine efeubewachsene Holzwand versperrt den Weg; sie ist Teil einer eigenwilligen Ausstellungsarchitektur, die den großen Raum für die Dauer der Schau „STIFTER HAUS Seehöhe 255 m. Wanderwege durch Adalbert Stifters Bild-Welt“ neu strukturiert. Laut Folder soll damit eine „improvisierte Galerie“ eingerichtet werden, in welcher „Stifters bildkünstlerische und literarische Landschaftsbilder miteinander in Dialog treten“. Mit seinen an Holzgerüsten lehnenden Gemälden unterschiedlichen Formats und in diese Gerüste eingepassten Schrifttafeln mutet die Raumsituation eher wie eine Mischung aus Künstleratelier und einer gerade im Aufbau befindlichen Ausstellung an.
Die architektonische Gestaltung dieser Ausstellung (Peter Karlhuber) arbeitet einer typischen „Stifter-Stimmung“, verbunden mit dem und charakterisiert durch den typischen Respektabstand vor dem „Genius loci“, wirksam entgegen und schafft so eine davon befreite Aufmerksamkeit für Adalbert Stifter als Künstlerphänomen, als Be-Schreiber und Maler von Landschaften und Menschen, die in diesen leben und mit ihnen „umgehen“ müssen. Inhaltlich (Konzept: Evelyne Polt-Heinzl) ist der Raum in sechs „Wanderwege“ gegliedert, welche nach verschiedenen Kategorien – z. B. „Natur als Forschungsgegenstand“; „Zwischen Idylle und Katastrophe“ – durch Stifters Oeuvre und dessen Facetten führen.
grabt unterm tempel des Gasometers schreibt Sara Ventroni, und wenn wir, diesen Appell frei interpretierend, unter den Tempeln der Einzelausstellungen von „Genuss der Weltoberfläche“ nach ästhetischen Verbindungen graben, ist es zum Beispiel möglich, farbige Landschaftsbilder Stifters neben die Schwarzweiß-Zeichnung von Hauenschild und Ritter zu stellen und beider Spannungsfeld zwischen Idylle und Bedrohung zu genießen; Dorfszenen von Hans Thiel mit Stifters Novellen korrespondieren zu lassen, auch ohne sie – bemüht – ineinander überblenden zu wollen.
„Genuss der Weltoberfläche“ – mag dieser Gesamttitel für die fünf Einzelausstellungen („Eine Ausstellung in 5 Teilen“ trifft den Charakter der Kooperation nicht exakt) kokett, provozierend oder beides gemeint sein – er evoziert das suchende Graben unter dieser Oberfläche, ohne sie aufzureißen oder zu zerstören.
Fünfter Raum: Die Ausstellung „Aus der Sammlung: Landschaft“ ist ab 22. Juni in der Landesgalerie zu sehen.