Mit Prolog und sechs Überbegriffen zeigt die Ausstellung „Sterne“ derzeit im Lentos eine weitläufig kuratierte Themenschau. Lichtsmog, Bedrohung, Erhabenheit, Romantik, Leitstern und Kosmologie: Die Literatin Angela Flam hat sich zuerst zu eigenen kosmologischen Gedankenellipsen rund um das Thema Sterne inspirieren lassen, um am Ende zu zwei exemplarischen Positionen der Ausstellung zu schweifen.
Immer noch wandeln wir unter den Umherirrenden. Denn das griechische Wort ‚planetes‘ bedeutet übersetzt nichts anderes als die Umherirrenden, die Umherschweifenden.“ Die Sterne sind ein Symbol für das Unerreichbare, für Unsterblichkeit, Orientierung und Ewigkeit (per aspera ad astra).
„Universe shouldn’t exist“, verkündet CERN am 24.10.17. „Die jüngsten Entdeckungen deuten darauf hin, dass es eine perfekte Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie gibt – was bedeutet, dass nicht klar ist, warum sie sich bei der Geburt des Universums nicht gegenseitig vernichteten.“ 99,999…% der beim Urknallereignis entstandenen Materie lassen sich durch Annihilation wegerklären. Unser Universum, der unerklärlicherweise verbleibende Rest, ist fast ein wissenschaftliches Ärgernis.
Zurück ins Jahr 1965. Penzias und Wilson hörten in New Jersey auf Wellenlänge 7,3 cm ein seltsames Störungsrauschen, welches mit gleicher Stärke aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. Wie sich später herausstellte, war dieses Rauschen nichts anderes als die kosmische Hintergrundstrahlung, der elektronische Widerhall des Urknalls.
Die romantische Zeit des Sternguckens ist vorbei. Heutzutage werden wir von Satelliten aus dem Weltraum beobachtet, die wie Sterne imponieren. Astronomen durchwachen ihre Nächte vor Computermonitoren, Zahlenkolonnen ziehen über den Bildschirm. Genauer genommen beobachten wir Phantome. Die Himmelskörper, die wir zu sehen bekommen, sind Lichtjahre entfernt und viele bereits erloschen. Wegen der endlichen Geschwindigkeit des Lichts sehen wir einen Stern, der etwa 13 Lichtjahre von uns entfernt ist so, wie er vor 13 Jahren war. Wir sind aus Sternenstaub. Heutzutage können wir uns vom Sonnenlicht ernähren, mit dem Mond kochen, die Marskartoffel ernten und sogar echte Sterne kaufen, verschenken und taufen. Ein Geschenk für die Ewigkeit. Schon gesehen um € 29,95, seriös mit Zertifikat. Oder per Anhalter durch die Galaxis reisen und über die kalten Monde von Jaglan Beta hüpfen und dabei Fragen nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest beantworten. Mitzunehmen ist ein Handtuch! Weshalb, schreibt Douglas Adams: „Man kann an den leuchtenden Marmorstränden von Santraginus V darauf liegen, wenn man die berauschenden Dämpfe des Meeres einatmet …“
Was ist es, das die Welt im Innersten zusammenhält & das Universum immer schneller auseinanderdrückt? Die Gravitationswelle am 17. 8. 17 gab den Astronomen einen völlig neuen Einblick in das Universum. Mit der Beobachtung einer einzigen Neutronensternkollision wurde die Hälfte aller astronomischen Fragen beantwortet – wie der Ursprung von Gammastrahlblitzen, die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitationswellen, die Entstehung von schweren Elementen wie Gold sowie das Maß der Beschleunigung der Expansion des Universums. Durch die weitreichende Abhängigkeit unserer Zivilisation von Elektronik gibt es auch enorme Gefahren durch solare Stürme. Ein Ausbruch wie das Carrington-Ereignis 1859 könnte heute unser öffentliches Leben völlig lahmlegen, ein Gammastrahlenblitz überhaupt sämtliches Leben auf der Erde vernichten.
Was passiert, wenn die Sterne verlöschen? Eine ständig wiederkehrende letzte Frage nach der Umkehrbarkeit der Entropie behandelt Isaac Asimov in seiner Science-Fiction-Geschichte. Eine Sonne nach der anderen brennt aus und kollabiert während sich die Menschen in Galaxien bis zur Körperlosigkeit entwickeln und mit der im Hyperraum existierenden Superintelligenz AC verschmelzen. Kurz vor dem allerletzten Augenblick sagt AC „Es werde Licht!“.
Das Licht ist der größte Feind des Astronomen. Gemeint ist der lichtverschmutzte Nachthimmel. Scheinwerfer und permanent pulsierende Lichtquellen stören unsere uralten Rhythmen. In der Natur ist ein klarer Sternenhimmel wie im Planetarium kaum mehr zu finden. Allerdings kann man unter der computeranimierten Sternenkuppel auch nicht (wie mit dem Teleskop) Lichtjahre in die Vergangenheit blicken & auch nicht in die Zukunft, um zu erfahren, welche Stolpersteine uns der nächste Saturntransit aus astrologischer Sicht bringt … Der beringte Saturn ist der äußerste noch mit bloßem Auge sichtbare Planet und war deshalb schon vor Erfindung des Fernrohres bekannt. Am 8. 9. 17 konnte man ihn in der Johannes Kepler Sternwarte in Linz durch ein Teleskop betrachten – mit 15 Minuten Verzögerung. Zurzeit rätselt man über das mysteriöse rotierende Sechseck am nördlichen Pol. In der römischen Mythologie war Saturn Gott der Aussaat und Ernte, mit einer Sichel bewaffnet. Für die Griechen war er Kronos und versinnbildlichte als Gott der Zeit den Ablauf der (Lebens)zeit. Astrologisch steht er als Hüter des Schicksals für das personifizierte Gewissen, Verantwortung, Gesetz und Tod & begleitet uns ein Leben lang als Prüfstein …
Zeitreisen haben (k)eine Zukunft? Ein „kosmisches Wurmloch“ ist nach Kip Thorne ein unverhoffter intergalaktischer Schleichweg, eine Art Tunnel, in dem Überlichtgeschwindigkeit gar nicht notwendig ist, um die Zeit zu überholen. Nach neuesten Erkenntnissen der Quantenphysik sind wir nicht nur Beobachter, sondern auch Mitschöpfer unserer Wirklichkeit. Ändert sich etwas an einer Stelle im System, so hat dies unmittelbare Auswirkungen auf alles andere. Die Quantenwellen sind nicht nur Möglichkeits-, sondern auch Wahrscheinlichkeitswellen und geben eine Struktur vor, wie sich etwas materiell manifestieren kann – wie „Das Aleph“ in Jorge Luise Borges gleichnamigen Roman, welches ein konzentriertes Universum darstellt. Der kosmische Raum darin enthält alles, was jemals war und sein wird & das in jeder möglichen Variante des Augenblicks.
Zwei exemplarische Positionen
„Er hatte Genie, aber kein Diplom“, so beschreibt der surrealistische Maler Max Ernst das Lebensschicksal des Amateurastronomen Ernst Wilhelm Leberecht Tempel (1821–1881) und widmet ihm ein künstlerisches Werk, ein in Geheimzeichen verfasstes graphisches Buch mit dem Titel „Maximiliana oder die illegale Ausübung der Astronomie“. Diese Arbeit Maximiliana ist benannt nach dem ersten Planeten, den Tempel mit seinem Fernrohr gesichtet hat – ohne akademische Weihen und deshalb in „widerrechtlicher Ausübung“. Seine Entdeckung wurde nicht anerkannt – und 70 Jahre später beanspruchte ein anderer Astronom diesen Planeten für sich. Die Leidenschaft, die Astronomie in einer Sternwarte ausüben zu können, war ohne wissenschaftliche Ausbildung, ohne das Diplom, anfangs aussichtlos. Tempel war zudem gelernter Lithograph und später, als sich für seine kosmologischen Entdeckungen Anerkennung einstellte und er eine Anstellung bekam, traf ihn der nächste Schicksalsschlag: das Aufkommen der Fotografie machte seine von ihm hergestellten Lithographien überflüssig. In der Ausstellung ist außerdem ein 12minütiger Film über Tempel zu sehen, „ein Film mit und für Max Ernst von Peter Schamoni“, von 1967. Max Ernst spricht darin über ein Leben und Werk, in dem Berufung und Diplom wohl besonders poetisch wie brutal aufeinandertreffen.
Geschöpfe wie von einem anderen Stern tummeln sich in Manfred Wakolbingers Video „Galaxie 4“, die er bei Tauchgängen im Meer von Sulawesi aufgenommen und künstlerisch bearbeitet hat. Leise vor sich hinströmende Gespinste in Blasen- oder Lianenform, pulsierende Leuchtraketen, eingefangen in Spinnennetzen oder entstiegen aus imaginären Luftkutschen, teils mystisch, teils gespenstisch gleiten sie schwerelos durch blaues Licht in allen Schattierungen, manche tauchen aus der völlig dunklen Abgeschiedenheit aus dem Nichts auf. Diese Kreaturen der Tiefe leben dort in ihrem eigenen Universum, genauso gut könnte man auch außerirdisches Leben vermuten oder sich verändernde Spiegelungen, die stets neue Muster zeigen, wie beim Blick durch ein Kaleidoskop. Bildmotive und visuelles Ausgangsmaterial sind dabei Salpen (Pelagische Seescheiden), die auf offenem Meer in Kolonien leben, sich im Alter teilen, dabei schutzlose Einzelwesen werden und die sich letztendlich verflüchtigen. Wie der Mensch gehören diese Wirbeltiere zum Stamm der Chordatiere, die im Frühstadium Ähnlichkeiten mit dem Embryonalzustand des Menschen aufweisen. Wakolbingers Videoarbeit, im Übrigen auch mit meditativ-psychedelischem Sound unterlegt, korrespondiert auch mit dem Ahnenkult der Toraja, einem in Sulawesi lebendem Bergvolk, die, ihrem Mythos zufolge in einem Raumschiff auf die Erde gebracht und nach dem Tod wieder abgeholt werden. Auch ihre Häuser erinnern an Raumschiffe. Die Weite des Weltalls und die Gräben der Tiefsee bergen gleichermaßen Geheimnisse. Wovon erzählen uns die amphibischen Wesen aus den Tiefenschichten des Meeres? Von längst vergangenem und/oder künftigem Leben? Jedenfalls sind sie uns (Menschen) in vielem überlegen. Unter extremsten Bedingungen können sie, in einem für den Menschen lebensfeindlichen Milieu unter hohem Druck in völliger Dunkelheit gedeihen, sich von Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff ernähren und haben fast unbegrenzte Fähigkeiten sich zu regenerieren. Solche Wesen würden auch auf fremden Gestirnen Lebensbedingungen vorfinden. Manche Forscher vermuten sogar, es gebe eine Verbindung zwischen Ozean und Kosmos: Nach John Delaney existiere ein Spiegelbild des Kosmos unter der Wasserlinie – ein „inner space“ in der Tiefsee.
STERNE – Kosmische Kunst von 1900 bis heute Lentos Kunstmuseum, bis 14. Jänner 2018
Die vielfältige und medienübergreifende Ausstellung gibt Einblicke in das Verhältnis des Menschen zum bestirnten Himmel, der Gegenstand der Forschung, der Romantik, der Schicksalsdeutung, jedoch auch von Bedrohungsszenarien ist. Träumerisch, humorvoll, poetisch, aber auch ironisch loten die KünstlerInnen des 20. und 21. Jahrhunderts die Beziehung des Menschen zur Unendlichkeit des Sternenhimmels aus und setzen sich mit dem Funkeln der Sterne und dessen gegenwärtigem Verlust auseinander.
Zur Ausstellung erscheint im Verlag für moderne Kunst das Buch Sterne. Kosmische Kunst von 1900 bis heute mit einem Vorwort von Hemma Schmutz und Textbeiträgen von Sabine Fellner, Thomas Macho, Elisabeth Nowak-Thaller, Ute Streitt und Margit Zuckriegl in deutscher Sprache.