Die Referentin #19 - Beiträge der Ausgabe

Eine Simulation, um etwas sichtbar zu machen

Florian Huber | Kunst und Kultur, 5. März 2020
Die Referentin #19

Im Rahmen des diesjährigen Crossing Europe Festivals präsentiert sich Bernd Oppl als Featured Artist mit neuen Arbeiten im Lesesaal des Lentos Kunstmuseum. Florian Huber hat den zwischen Architektur, Film und Video arbeitenden Künstler im Vorfeld in seinem Atelier besucht.

Der 1980 in Innsbruck geborene Künstler Bernd Oppl studierte Malerei und Grafik an der Kunstuniversität Linz sowie Video und Videoinstallation an der Akademie der bildenden Künste in Wien und verbindet in seinem dementsprechend vielgestaltigen Werk die Auseinandersetzung mit Plastik, Film und Installationskunst mit Fragen nach der Erscheinungsform und Wirkweise multimedialer Bilder.

Die zumeist in seinem Atelier im vierzehnten Wiener Gemeindebezirk gefertigten, auf den ersten Blick unscheinbar wirkenden Objekte aus Beton und aus dem 3D-Drucker, seine analogen und digitalen Filme oder die aus schwarzen Holzleisten bestehenden Rauminstallationen entziehen sich dabei häufig einer Etikettierung, wie etwa der Blick auf eine jüngst gemeinsam mit Elisabeth Molin 2019 entstandene Skulptur verrät. Poetry prangt als Gravur auf der Vorderseite des 25 x 20,5 x 22,5 cm großen Betonquaders, an dessen Oberseite ein Zigarettenstummel aus Keramik klebt. Man mag beim Betrachten der gleichnamigen Arbeit an kettenrauchende Dichterfürsten oder das Rauchen als Abfallprodukt im künstlerischen Schaffensprozess denken. Vielleicht gelangt darin auch eine leise Kritik an der Omnipräsenz so genannter Poesie in der Gegenwartskunst und ihrer Rezeption zum Ausdruck. Oder man redet einmal mehr der zufälligen Verbindung zwischen Wort und Zeichen und der an dieser Stelle Gestalt gewordenen Materialität der Sprache das Wort. Zeugt die Gravur nicht auch von unserem unzulänglichen Streben danach, das Kunstwerk erschöpfend zu interpretieren? Also davon, wie wenig sprachliche Mittel und die sie flankierenden Anstrengungen des Kuratierens und der Kunstkritik seinen Gehalt erfassen mögen? Dazu passt, dass Oppl seine Arbeiten am liebsten ohne Titel oder erörternde Texte in den White Cube des Museums stellen würde. Womöglich evoziert die in den Beton geschnittene Schrift ironisch einen oft behaupteten und doch nicht vom Kunstwerk bzw. Künstler eingelösten Tiefsinn. Schließlich wird man durch die Rede von Poesie an die Überwindung künstlerischer Disziplin- und Gattungsgrenzen erinnert, die für Oppls Werk und seine Rezeption kennzeichnend ist. Viele seiner Arbeiten versteht er daher treffend als Modell, wie er in einem Katalogtext festhält: „Mich interessiert an der Arbeit mit Modellen, dass sie keine Objekte, Werkzeuge, Bilder, Architekturen im herkömmlichen Sinne sind – sie sind etwas dazwischen: eine Simulation, ein Ersatz, um etwas sichtbar zu machen oder auf etwas zu verweisen, das nicht da ist. Modelle werden in den unterschiedlichsten Zusammenhängen ver­wendet, um etwas vorstellbar zu machen, und in diesem Sinne verwende ich sie auch.“1

Oppls Modelle werden bisweilen für einen bestimmten Anlass oder Ausstellungsraum gefertigt, wie etwa die 2019 für den Kunstraum Dornbirn entstandene Rauminstallation Hidden Rooms, deren Konstruktion aus Holz, Stahl, PVC und Aluminium, Spiegelflächen und Glas auch Elek­tromotoren, Video und Soundequipment zum Einsatz bringt. Kleinformatig sind dagegen die Ansichten, die der Künst­ler in der Brüsseler Ausstellung LIKE A HOLE IN A ROOM LIKE A ROOM IN A HOLE im gleichen Jahr versammelt hat. Leuchtkästen geben Interieurs zu erkennen, für die die Betrachterinnen, dem Willen des Künstlers folgend, ständig ihren Standpunkt im Raum ändern müssen, um mit einem Blick von oben, unten oder an die Seite sich Übersicht zu verschaffen. Überhaupt dominiert in vielen seiner Arbeiten ein eingeschränkter Blick, den der Künstler selbst auf seine angeborene Sehschwäche zurückführt. Und doch verbirgt sich dahinter ein universelles Grundprinzip menschlichen Erkennens. Indem wir den Blick auf etwas richten, kehren wir einem anderen Phänomen den Rücken zu. Stets droht unserer Wahrnehmung Wesentliches zu entgehen. Vielleicht dominiert deshalb in zahlreichen Arbeiten Oppls das Visuelle, während Geräuschen, Klängen, Gerüchen oder dem Taktilen bestenfalls eine untergeordnete Rolle zugestanden wird. In diesem Zusammenhang erinnern seine Dioramen und Modelle freilich auch daran, wie sehr das Primat des Sehens in der westlichen Welt an konkrete Räume und Konstellationen geknüpft ist, deren Kontingenz und Gewordenheit ihre Entsprechung in Oppls Rekonstruktion bereits historisch gewordener Orte wie Kinosäle, Internetcafés oder Karaokebars gefunden hat. Zu ihrer Betrachtung steht dem Publikum dabei lediglich eine winzige Sichtöffnung zur Verfügung, die den Innenraum zudem häufig verzerrt oder nur ausschnittsweise wiedergibt. Den reduzierten Blick auf das Geschehen im Innern dieser Black Boxes versteht der Künstler in eine gewinnbringende Erfahrung zu münzen. Im Willen etwas anderes und möglichst viel zu sehen, streben die Besucherinnen der Ausstellung nach einer Überwindung der ihnen vom Künstler auferlegten Perspektiven. In der vom Modell initiierten Begegnung mit den Objekten der künstlerischen Wahrnehmung aus erfahren sie die Differenz zwischen vorgefassten und fremden Sichtweisen am eigenen Leib und erkennen die Welt dadurch mit anderen Augen.

 

1 Bernd Oppl: Hidden Rooms. Herausgegeben von Thomas Häusle. Katalog zur Ausstellung im Kunstraum Dornbirn 2019. VfmK Verlag für moderne Kunst GmbH 2019.

BERND OPPL Crossing Europe 2020, Lentos Featured Artist 22. April – 12. Juli 2020 Bernd Oppls Arbeiten bewegen sich meist zwischen Architektur, Film und Video und ermöglichen den BetrachterInnen, einzigartige Zugänge in Räume und Situationen. Die Inszenierungen – meist mittels aufwändig gestalteter Modelle und Dioramen umgesetzt – vermit­teln Oppls Wahrnehmung und Sichtweise auf physische und psychische Or­te. Anlässlich des Crossing Europe Filmfestivals 2020 zeigt das Lentos im Leseraum eine Ausstellung des Künstlers.
www.lentos.at
www.crossingeurope.at

Florian Huber
schreibt und forscht über den Zusammenhang von Literatur und Wissenschaft und lehrt an der Leuphana Universität Lüneburg.
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