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Experimentierfreudige Inszenierung

By   /  6. Juni 2019  /  No Comments

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Kinder mit Schreibwerkzeug am ersten Schultag, Briefe oder unlesbare Kürzel in einem Kalender: Das Linzer Stifterhaus zeigt in der Schau „Etwas schreiben“ Objekte aus Frauennachlässen. Die Kuratorin Sarah Schlatter verzichtet dabei auf einzelne Biografien. Im Vordergrund stehen für sie Schrift und Dokumentieren in ver­schiedenen Facetten.

„Kontinuität“, Kindergedichte Rudolfine Fellinger, 1962–88

 

Etwas schreiben über „Etwas schreiben“. Was für eine groteske Situation, denke ich, als die Kuratorin Sarah Schlatter die rund zwanzig Objekte der Ausstellung erläutert und einige Journalistinnen, Journalisten sich Notizen machen, um über diese Schau, die im allerweitesten Sinn Schrift und Geschriebenes thematisiert, zu schreiben.
Ein kurzer Zeitsprung zurück: Einige Minuten bevor ich im Stifterhaus ankomme, überlege ich, was ich dort vorfinden werde. Ich stelle mir Vorstufen zu Texten, korrigierte Manuskriptseiten, hingeworfene Notizen von Autorinnen vor, die im besten Fall einen ephemeren Einblick zur Entstehung eines bestimmten Werks erlauben. Meine Erwartungshaltung wird jedoch keineswegs erfüllt, was ich bei Präsentationen bisher aber als durchaus bereichernd empfunden habe.

Die aus Vorarlberg stammende und in Berlin lebende Absolventin der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Sarah Schlatter lässt nämlich Literarisches fast überhaupt beiseite, sondern zeigt die Schrift, das Schreiben im alltäglichen Leben. Dementsprechend eingängig lautet auch der Titel der von ihr kuratierten Schau schlicht „Etwas schreiben“. Sie zog dafür Tagebücher, Taschenkalender, Zettel und Manuskripte von Frauen heran. Schlatter präsentiert das Material in einer eigenständigen Inszenierung. Und gerade diese Inszenierung ist es auch, die im Zentrum ihrer Arbeit steht, was auch mit der grundlegend selektiven Auswahl der Beispiele bestens korreliert.
Ziemlich zu Beginn der Ausstellung sieht die Besucherin, der Besucher keine Schrift, sondern Schwarz-Weiß-Fotografien von zwei Schulanfängern aus dem Jahr 1955, die mit ihrem Schreibwerkzeug in der Hand erwartungsvoll-fröhlich in die Kamera blicken. Ahnen die beiden Kinder womöglich, dass sich ihnen durch die Fähigkeit des Schreibens schon bald eine neue Welt erschließen wird?
Ein weiteres Exponat ist als Projektion zu sehen: Blätter eines Taschenkalenders laufen ab. Eine Sekretärin hat von 1986 bis zu ihrem Tod 2011 mittels teils sogar übereinander geschriebenen Kürzeln, die aber wohl nur sie entziffern sollte, ihr eigenes tägliches Leben, das jeweilige Wetter, ihre Pflichten und Termine notiert. Auf diese Weise enthüllt sich ein Lebensabschnitt vor dem Betrachtenden, lässt die Veränderung von einer individuellen Schrift innerhalb von 25 Jahren erkennen. Sarah Schlatter verzichtet bei dieser Ausstellung auf die Thematik der spezifisch weiblichen Schrift, falls es denn eine solche gibt, sondern setzt auf Individualität, es geht ihr um das Schreiben und Dokumentieren.
Das Schreiben abseits eines qualitativen Anspruchs gehört anscheinend zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Ob der derzeitige Trend zum wieder handgeschriebenen Tagebuch auch auf dieses Grundbedürfnis weist oder eher Ausdruck einer narzisstischen Gesellschaft ist? Die Gegenwart, auch die Schrift und das Schreiben im Kontext der Digitalisierung hat Sarah Schlatter in dieser Ausstellung nicht in ihre Überlegungen einbezogen, was aber keineswegs als fehlend empfunden wird. Die Dokumente dieser Ausstellung stammen aus der Sammlung Frauennachlässe an der Universität Wien und des OÖ. Literaturarchivs des Linzer Stifterhauses und reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück, wobei der Großteil aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammt. Ein Stück Zeitgeschichte verbindet sich hier mit dem Erleben und Dokumentieren einiger Frauen.
An den Seiten der schon erwähnten Tagebuchprojektion hat Schlatter zwei korrespondierende Fotografien platziert. Und gerade eines dieser Objekte bleibt mir im Gedächtnis: Es zeigt eine alte Frau, die sich im Spiegel ihres schon vergilbten Spiegels mit dem Fotoapparat abzubilden versucht. Dieses Bild wirkt auf mich in mehrfacher Weise interessant und berührend. Der Versuch der gebrechlichen Frau, ihr Gesicht festzuhalten, misslingt, weil sie offenbar die Kamera nicht mehr entsprechend halten kann. Sie bleibt so quasi anonym, da sie das Gerät direkt vor ihr Gesicht hält. Was steckt hinter der fast spürbaren Anstrengung der alten Frau? Wollte sie sich im hohen Alter noch ihrer eigenen Identität versichern, am Ende ihres Lebens stehend etwas von sich zurücklassen?
Die Ausstellung dokumentiert wiederholt den Wunsch danach, etwas von sich festhalten zu wollen, etwas zu hinterlassen, und geht über das Schreiben im ursprünglichen Sinn auch durch das gerade erwähnte Beispiele hinaus.
Ihr Ausstellungskonzept hat die Kuratorin durch den Einbezug von Material aus im Stifterhaus befindlichen Nachlässen eigens erweitert. Dies betrifft die 1955 in Linz verstorbene Autorin Enrica von Handel-Mazzetti, der 2006 eine eigene Ausstellung im Stifterhaus gewidmet war, und zum anderen die Greiner Schriftstellerin Rudolfine Fellinger (1921–1996).
Neben ihrer Inszenierung vorhandenen Materials bringt Sarah Schlatter auch selbst geschaffene Arbeiten in diese Ausstellung ein. So hat sie in zwei Arbeiten Buchstabe um Buchstabe bis zur Unlesbarkeit übereinandergeschrieben. Dass sie sich dazu entschieden hat, bei dieser vielschichtigen Schau, die auf sehr unterschiedliche Quellen zurückgreift, auch noch die eigene Aktion als weiteres Element hinzuzufügen, kann man reizvoll finden. Für mich verlässt sie dadurch den Fokus ihrer Präsentation.
Mit „Etwas schreiben“ zeigt die Kuratorin Sarah Schlatter aber ein Gefühl für die Ästhetik einer Ausstellung. Die Platzierung der Elemente, die bedachte Färbung einzelner Wandteile beweisen ihren subtilen Umgang mit der Raumsituation. Und natürlich schwingt gerade bei dieser Schau stets die Frage mit: Wie kommt die Zeit in den Raum?
Nach der im Übrigen auch überzeugenden, opulenten Ausstellung davor – „Bezwingung seiner selbst. Liebe, Kunst und Politik bei Adalbert Stifter“ – geht „Etwas schreiben“ wieder in Richtung einer schlichten Raumbehandlung im Linzer Stifterhaus.

 

Etwas schreiben
Eine Ausstellung von Sarah Schlatter
Unter Verwendung von Archivmaterial der Sammlung Frauennachlässe an der Uni Wien und des OÖ. Literaturarchiv, Linz
Dienstag–Sonntag, 10–15 Uhr
Noch bis 13. Juni
StifterHaus
www.stifter-haus.at

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About the author

ist Autorin und Journalistin.

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