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Zwischen Mensch, Maschine und Bewusstsein

By   /  1. März 2024  /  No Comments

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Das Crossing Europe Filmfestival, das zwischen 30. April und 5. Mai in der oberösterreichischen Landes­hauptstadt stattfindet, widmet sein heuriges Local Artist Special der Künstlerin Dagmar Schürrer. Christian Klosz schreibt im Vorfeld über Dagmar Schürrers künstlerische Schwerpunktsetzungen und begibt sich ins Kurzinterview.

Gezeigt werden mehrere ihrer Kurzfilme, von denen einige bereits beim Crossing Europe (und auf anderen Festivals bzw. bei internationalen Ausstellungen) zu sehen waren, aber auch 2 Musikvideos, unter anderem eine Kollaboration mit der Gruppe Ja, Panik. Schürrers künstlerisches Schaffen platziert sich dabei zwischen experimenteller (digitaler) Animations-Kunst, die in Form von Kurzfilmen auf Kino-Leinwänden (oder Bildschirmen) projiziert werden kann und hybriden Arbeiten, die im klassischen Ausstellungs-Kontext als multimediale (Augmented Reality) Installationen gezeigt werden.

Dagmar Schürrer wurde 1980 in Vöcklabruck in Oberösterreich geboren und machte ihren Abschluss in Fine Arts am Central Saint Martins College of Art and Design in London. Seit längerem lebt sie in Berlin, wo sie sich künstlerisch, aber auch im universitären Bereich (sie ist Projektmitarbeiterin in einer Forschungsgruppe an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin) mit den Möglichkeiten digitaler Kunst und Extended Reality-Technologien beschäftigt.

Inhaltlich befassen sich Schürrers Arbeiten sowohl mit universellen, „philosophischen“ Fragen, als auch mit höchstpersönlichen Themen: Es geht um materielles und immaterielles Sein, um Sein und Bewusstsein, um menschliche und künstliche Maschinen. Im Zentrum ihrer beim Crossing Europe gezeigten Werke (allesamt Kurzfilme bzw. Musikvideos mit einer Dauer von ca. 5 Minuten) stehen das Thema „Bewusstsein“ und die Berührungspunkte und Parallelen zwischen diversen Bewusstseinsformen und menschlichem und künstlichem Bewusstsein.

Analyse des Virtuellen und Erfahrung des Eintauchens
Formal wird das durch digitale Animationen umgesetzt, die „harte“ Wissenschaft mit ästhetischer „Weichheit“ verknüpfen und die mit (sich wiederholenden) Formen, Mustern, Symbolen und Bewegungen spielen, die selbstreflexive (Bewusstseins-) Landschaften ergeben, die zur selben Zeit das hinterfragen, was sie abbilden.

Ein zentrales Motiv Schürrers Arbeit ist das Hinterfragen der Möglichkeiten und Implikationen des technischen Fortschritts, insbesondere der Digitalisierung: Was sagt die Art und Weise, wie wir „Bewusstsein“ fassen, deuten und darüber sprechen über unsere spät-kapitalistische Gesellschaft und deren Strukturen aus? Schürrer bezieht sich dabei explizit auf die französische Philosophin Catherine Malabou, die unter anderem „Metaphern“ untersuchte, mit denen die Neurowissenschaften das „Gehirn“ beschreiben. Und wie eng diese Metaphern mit der „technisierten“ Sprache unserer Gesellschaft verknüpft sind.

Schürrer versucht stets, komplexe, naturwissenschaftliche Überlegungen und Theorien in einer poetischen, emotional zugänglichen, „meditativen“ künstlerischen Form wiederzugeben. „Der Ausgangspunkt meiner Arbeiten ist immer noch die Auseinandersetzung mit und Reflexion über einen theoretischen Essay und dessen Ausdruck in poetischer Sprache“, sagt sie. Aus einem rein intellektuellen Erlebnis wird dadurch für die BetrachterInnen auch ein poetisches Eintauchen, oder wie im technologischen Kontext oft beschlagwortet wird: eine immersive Erfahrung. Die Inkludierung (neuro)wissenschaftlicher Ansätze in Schürrers Arbeit nährt sich aus einem persönlichen Interesse an Naturwissenschaften, wie sie in einem Interview verrät, insbesondere an Physik und Biologie, wobei sie letzteres einige Jahre selbst studiert hat.

Muster als Analysewerkzeug und narratives Mittel
„Um zu verstehen, wie natürliche Zusammenhänge in unserem komplexen Ökosystem funktionieren, lernt man, nach wiederkehrenden Mustern und Ähnlichkeiten zu suchen, die alle Organismen einschließlich des Menschen und andere Naturphänomene verbinden“ – in dieser Aussage drückt die Künstlerin ihr Interesse an wiederkehrenden „Mustern“ in allen möglichen Abläufen und „Programmen“ aus. Für Schürrer stellen Muster aber nicht nur ein Analysewerkzeug dar, sondern sind zugleich narratives Mittel: Ihre Arbeiten zeichnen sich durch die Wiedergabe von abstrakten Bild- und Bewegungs-Mustern aus, die nun selbst zu einer (digitalen, virtuellen) Realität werden. Überhaupt sind Schürrers Filme von einer hohen Selbstreferenzialität geprägt: Sie analysieren und erzählen zugleich von Bewusstsein, sie reflektieren über „Maschinen“ und sind selbst (virtuelle) Maschinen. Sie suchen nach Mustern und schaffen selbst neue.

Schürrer beruft sich dabei auch auf das von Pierre Levy geprägte Postulat, dass das Virtuelle kein Gegensatz zum Analogen ist, sondern seine logische „Fortsetzung“ dessen – und damit ein eigener „Seinszustand“. Die Absicht ihrer Kunst beschreibt sie dabei wie folgt: „Mein Ansatz ist es, meditative, fast persönliche Räume der Kontemplation zu schaffen. Ziel ist es, den Betrachter auf theoretischer, visueller und emotionaler Ebene über die vielfältigen Herausforderungen einer digitalisierten Gesellschaft nachdenken zu lassen.“

Die beim Crossing Europe gezeigten Arbeiten in der Übersicht:

We are already history and we don’t know it
Eine poetische, hypnotische Reflexion über Gehirn und Bewusstsein: Mit der Maschine erschaffene Bilder erzählen selbst-reflexiv über menschliche Maschinen (das Gehirn) und „die Maschine“, die sie erschaffen hat. Der Kurzfilm stellt sowohl das Bewusstsein selbst über Bilder, Symbole und Bewegungen dar, als auch die Reflexion über das Bewusstsein (durch gesprochenes Wort). Ergänzt durch sphärische Elektro-Sounds werden virtuelle Bewusstseins-Welten geschaffen.
Einer der interessantesten Sätze im Film lautet: „Since consciousness, unlike earthquakes and diseases, is constituted by the beliefs you have about it, changing what you think changes the phenomenon itself“. Diese theoretische Überlegung ist ein spannender Anknüpfungspunkt zur Reflexion über die Konstituierung von Wahrheit und Fakten, die insbesondere in den letzten Jahren in Bedrängnis geraten ist. Populistische und demagogische Politiker schaffen „alternative Fakten“, weil und indem sie denken, dass die Art, wie sie über Tatsachen denken und darüber reden, diese Tatsachen verändern können. Konkrete Beispiele wie der Umgang mit dem Klimawandel oder der Pandemie illustrieren diese gefährliche Tendenz.

Dreaming is the mind left to itself
Eine digitale Reise in (neuronale) Traumwelten – in dieser meditativen, virtuellen „Kartografie des Bewusstseins“ werden die Unterschiede zwischen verschiedenen Bewusstseinszuständen dargestellt und analysiert: Der Wachzustand, die digitale Realität, meditative Zustände und insbesondere die Traum-Wirklichkeit, die mit dem maschinellen Lernen verglichen wird.

Galaxy
Im Kurzfilm Galaxy darf die Maschine selbst „Gott“ spielen: Ein einfacher Algorithmus erzählt eine „Liebesgeschichte“ (zwischen „touch“ und „swipe“). Im Zentrum steht dabei das Bewusstsein der Maschine; ein von künstlicher Intelligenz erschaffenes Bewusstsein und die Frage, wie sich die menschliche Programmierung dieses (möglichen) künstlichen Bewusstseins auf seine Funktionalität auswirkt: Die fiktive „Liebesgeschichte“ ist wenig überzeugend und fehlerhaft. Doch laut Schürrer findet sich der interessantere (vielleicht sogar „menschliche“?) Aspekt nicht in der „Perfektion“ der Simulation, sondern gerade in deren Fehlern und Abweichungen.

Apocalypse or Revolution – Ja, Panik (Musikvideo)
Schürrer versucht, ihre assoziative Ästhetik in die Populärmusik zu übersetzen. In Kollaboration mit den ebenfalls in Berlin ansässigen, burgenländischen Exilkünstlern von Ja, Panik entstand dabei ein Musikvideo, das allerdings von Schürrers typischer, selbstreflexiv-inhaltlicher Ebene entkoppelt ist.

Country Club – Chris Imler (Musikvideo)
Für den Song des Berliner Undergroundkünstlers Chris Imler verwendet Schürrer digital verfremdete Montagen realer Bilder, die sich mit den Beats stimmig mitbewegen. Es ist dies ihre bereits zweite Zusammenarbeit mit dem Künstler.
Die Retrospektive zu Dagmar Schürrer beim Crossing Europe eröffnet die Möglichkeit, in das anspruchsvolle, komplexe und spannende Œuvre der oberösterreichischen Künstlerin einzutauchen. Ein Q & A am Ende der Vorführung der Kurzfilme gibt dem Publikum die Chance, Schürrer selbst Fragen zu stellen.

 

Kurzinterview mit Dagmar Schürrer

Was sind deine künstlerischen, kreativen Vorbilder und Inspirationen?
Schürrer: Meine künstlerischen Vorbilder und Inspirationen sind sehr vielfältig und ändern sich ständig. Sie können mir zufällig begegnen, oder mich bereits lange begleiten. Sie kommen von künstlerischen Arbeiten und Ausstellungen, oder von zufällig gesichteten Details in Filmen, Design, Architektur, Musik, Technologie. Ich tue mir schwer, Namen zu nennen, oft ergänzen sie einfach wie ein fehlendes Puzzleteil meine aktuelle Recherche und Arbeit. Ausgangspunkt meiner digitalen Arbeiten sind oft naturwissenschaftliche Texte, im aktuellen entstehenden Werkkomplex z.B. die Konzepte der Symbiose und des Metaorganismus der Mikrobiologin Lynn Margulis.

Was interessiert dich an „digitaler Kunst“, warum hast du diese Form für dich gewählt? Inwiefern hebt sie sich aus deiner Sicht von anderen Kunstformen ab?
Das Arbeiten und das Erzählen mit digitalen Medien ist unglaublich facettenreich und vielschichtig. Beim Erschaffen von digitalen Welten ist man mit Herausforderungen auf vielen Ebenen konfrontiert: der visuellen Komponente, Orientierung im dreidimensionalen Raum, der Haptik von Oberflächen, Lichtatmosphäre, Bewegung von Objekten und der Kamera, den physikalischen Eigenschaften von Dingen etc. Verlässt man den Bildschirm und arbeitet an Extended-Reality-Projekten, kommen auch noch Faktoren wie Embodiment oder Interaktivität hinzu. Zeitgenössische Kunst mit digitalen Medien verkörpert die direkte Auseinandersetzung mit dem digitalen Zeitalter auf inhaltlicher, formaler und technologischer Ebene und ist für mich am besten geeignet, zeitgenössische Diskurse und Entwicklungen der Gesellschaft zu spiegeln.

Was interessiert dich am „Bewusstsein“?
Die Digitalisierung ist weit vorangeschritten und neue Technologien wie Augmented Reality (XR) und künstliche Intelligenz (KI) sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Allgegenwart dieser Werkzeuge rückt Fragen nach der Rolle der biologischen Intelligenz und des menschlichen Bewusstseins noch stärker in den Fokus der verschiedenen Disziplinen in Wissenschaft und Kunst. Der Klimawandel und seine spürbaren Auswirkungen erfordern auch eine Neupositionierung der Rolle des Menschen innerhalb der Umwelt mit all ihren organischen und nichtorganischen Akteuren.

Diese Themen, die ich unter dem Begriff „Augmented Consciousness“ zusammenfasse, stehen im Zentrum meiner künstlerischen Praxis. Meine digitalen Arbeiten und Extended-Reality-Projekte sind meist poetische Interpretationen einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft, oft auf der Grundlage wissenschaftlicher Texte.

Hast du schon einmal darüber nachgedacht, einen „narrativen Film“ zu machen oder deine experimentelle Ästhetik in eine „Langform“ zu übersetzen?
Mein Fokus liegt auf nicht-linearem, assoziativen Storytelling. Ich präsentiere meine Animations- und XR-Arbeiten in unterschiedlichsten, fluiden Ausformungen. Neben Formaten für den Kino- und Festivalkontext arbeite ich auch oft installativ, wobei ich Projektionen mit Monitorobjekten und Augmented- und Mixed-Reality-Applikationen verknüpfe, um hybride, räumliche Erlebnisse zu schaffen, in denen der/die Besucher:in entscheidet, wieviel Zeit er/sie mit der Installation verbringen möchte. Viele meiner Animationen sehe ich nicht als alleinstehend und isoliert, sondern als Fragmente/Module, die durchaus miteinander kombinierbar sind. Eine Langform schließe ich nicht grundsätzlich aus, bin aber eher eine Advokatin von kürzeren, fokussierten Werken.

Was ist deine zentrale Absicht mit deiner Kunst, was möchtest du damit vermitteln, erreichen oder (beim Publikum, in der Gesellschaft) bewirken?
Ich möchte kontemplative Räume schaffen, in denen sich Besucher:innen mit zeitgenössischen Entwicklungen in einer digitalisierten Gesellschaft auseinandersetzen. Ich überführe (natur-)wissenschaftliche Theorien und Texte in assoziative, poetische Sprache, um mit anderen Formen der Vermittlung zu experimentieren, die auf emotionaler und intuitiver Ebene wirken. Neue Medien erfordern neuere künstlerische Ausdrucksformen, und zeitgenössische Kunst kann einen spielerischen Zugang zu diesen ermöglichen, die Medienkompetenz, und das Bewusstsein über deren Potential sowie Gefahren schärfen.

(19. 02. 2024 in schriftlicher Form, Christian Klosz)

 

Local Artists Special 2024:
Dagmar Schürrer
Dagmar Schürrer beschäftigt sich sowohl in ihrem künstlerischen Schaffen als auch im universitären Bereich mit Animation und Extended Reality (XR)-Technologien. Ihre digitale Kunst wurde u. a. im Institute of Contemporary Arts und in der Tate Modern in London, dem Centre Pompidou in Paris, beim Ars Electronica Festival in Linz und mehrfach bei Crossing Europe präsentiert.
dagmarschuerrer.com

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About the author

ist Filmkritiker und Journalist. Er ist Gründer und Chefredakteur von filmpluskritik.com und nebenbei auch für die Filmmedien Kino-Zeit und spielfilm.de als Autor tätig.

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