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By   /  30. November 2023  /  No Comments

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Aktuell wird im Theater Phönix Huxleys Klassiker Schöne neue Welt gespielt. Bereits bei den Proben im Vorfeld durfte sich Christian Wellmann ein Sneak Preview verschaffen. Im anschließenden Gespräch mit Regisseur Bernd Liepold-Mosser ging es darum, am Kern des Stücks zu bohren.

Mit und gegen die Klischeevorstellungen von Zukunft: Schöne neue Welt. Foto Andreas Kurz

Opium als Religion des Volkes
Schöne neue Welt (SNW) ist eigentlich eine Fabel, wie Aldous Huxley seine 1932 erschiene Zukunftsvision bezeichnet, die in der kalten Welt des Jahres 2500 ihr Unwesen treibt. Manches ist seit seinem Erscheinen längst gruselige Realität geworden, anderes ist höchst aktuell. Wenn wir auch von Vielem in dieser einlullenden, vordergründig schönen Welt noch weit entfernt scheinen, ist die Menschheit leider am besten Weg dorthin. Nicht nur deswegen ist SNW ein Evergreen der SF-Literatur. „Entweder eine Perfekte-Welt-Utopie oder ihr böses Gegenteil, eine Dystopie“, wie die Schriftstellerin Margaret Atwood anmerkte. Durch seine Widersprüchlichkeit bezieht das Buch seine Kraft. Es geht um eine vermeintlich perfekt optimierte und genetisch genormte Menschheit aus künstlichen Brutzellen, die in ein starres Kastensystem gepfercht ist und weder Krankheiten, Fortpflanzung, Alter, Einsamkeit, Hässlichkeit oder Hunger kennt. Dem Weltstaat geht es um soziale Stabilität mit brauchbaren und zufriedenen Mitgliedern. Es gibt keinen Krieg, aber auch keine Liebe. Alle sind schön, glücklich, kritikresistent, sorgenfrei. Man tut nur das, was man tun soll und muss. Verführung mit Annehmlichkeiten und Sicherheit, die nur zum Status Quo beitragen. Nichts anderes als eine perverse Perfektion von gezüchtete Menschenleben, die nicht der Rede wert sind. Stumpfsinnig gemachte Sklaven, gedrillt wie Soldaten. Eine glückliche Jugend ohne Gefühle und Kunst. Sie verhält sich fast so vorhersehbar wie Maschinen.
SNW handelt auch von der Zerstörung der Individualität in einer überorganisierten Welt und von der Abschaffung des freien Willens mittels Konditionierung, Konsumzwang, sowie von einer (annehmbaren) Versklavung durch regelmäßig verabreichte Glückseligkeit mittels Pharma/Droge1. Huxley zieht den Umkehrschluss: Opium ist die Religion des Volks, Opium ist es, das alles kontrolliert.
Ein Frevel an der biologischen Natur des Menschen und ein zynisches Bild einer Gesellschaft, wie Huxley dreißig Jahre nach dem Erscheinen seines Hauptwerks anmerkte: „Das oberste Ziel der Herrschenden ist, ihre Untertanen um jeden Preis daran zu hindern, Schwierigkeiten zu machen.“2 Huxley gesteht später, dass die Mängel seiner Fabel beträchtlich sind, sieht diese aber auch als Vorzüge.

Theater der Vielfalt als Herausforderung
Der Kärntner Theatermacher, Philosoph, Schriftsteller etc. Bernd Liepold-Mosser bearbeitet das Standardwerk und zeigt mit, ja, viel Humor, wie eine entmenschlichte Gesellschaft manipuliert wird.
Als politischer Theatermacher mit Affinität zur Popkultur ist diese Inszenierung von SNW für ihn eine konsequente Entscheidung. „Ich sehe das Theater ganz allgemein, im weitesten Sinn, als ein politisches Medium. Das heißt, dass man nicht politische Propaganda oder so macht. Theater ist ein Verhandlungsraum darüber, wie unsere Gegenwart verfasst ist. Dieses Medium ermöglicht im Abstand etwas zu entschlüsseln, bestimmte Aspekte zu zeigen, diese zum Thema zu machen. In diesem Sinn ist auch SNW ein politisches Stück, das sehr stark auf unsere gegenwärtige gesellschaftliche Verfasstheit verweist“, so Liepold-Mosser. 
ist immer noch relevant. Einerseits will ich die Doktrin dieser Ideologie dieses Staates wiedergeben. Die Welt ist als Pyramide aufgebaut, ganz oben die Alphas, ganz unten die Epsilons. Das andere ist, wie man das am Theater versucht, mit dem Publikum einen Diskurs zu starten oder etwas auszulösen. Ich denke, dass Humor oder eine gewisse Art der grotesken Überzeichnung ein sehr gutes Mittel ist, das anzustoßen. Bei der Neulektüre des Romans (Anm.: in der Neuübersetzung von Uda Strätling) ist mir besonders aufgefallen, wie stark Huxley diesen Humor und die groteske Überzeichnung selbst bemüht. Im Stück gibt es zwar ein paar chorische Passagen, aber grundsätzlich wollte ich schon den Roman erzählen, die Narration nachvollziehbar machen. Ich wollte es nicht ganz zerlegen.“

Liepold-Mosser bezeichnet das im Gespräch als irgendwie etwas zwischen Screwball-Fühltheater und „so eine Art haptisch erweitertes Softporno-Kino“, und weiter: „Mir war es wichtig, dass wir in der Umsetzung nicht diese Klischeevorstellung von Zukunft bemühen, Zukunft ist gleich synthetisch, oberflächlich, perfekt und glänzend, sondern dass wir über den Humor auch ein anderes Bild von dieser Zukunft bekommen können. In der Tat muss man sagen, dass diese Konsum- oder Wahnwelt, in der wir tatsächlich leben, und auch dieses permanente Eintauchen in eine Welt der Bilder und Informationen in gewisser Weise eine Art von Trance oder Rausch erzeugen kann.“
Die Phönix-Aufführung verbindet außerdem Musik und Videos mit einer multimedialen Erzählweise. „Ich denke, dass es ganz interessant ist, ergänzend zu der narrativen Ebene, die zeigt, was die Figuren machen, dass man auch die Welt der ständigen Beeinflussung zeigt. Wobei wir eh alle in diesen Parallelwelten drinnen leben, die jüngeren Menschen noch mehr. Und das kann dann schon in einen Taumel oder eine Art von Trance hineinführen. Crystn Akron macht synthetische Musik, was gut von der Stilistik passt“, erklärt der Regisseur die zentrale Bedeutung der Musik für das Stück. Zu einigen Nummern wird auch getanzt, was stark mit den alltäglichen Soma-Räuschen zusammenhängt, bei denen ein Mechanismus aktiviert wird, durch den man sich wohl fühlt – und das läuft über die Musik. SNW ist die Verführung einer scheinbar perfekten Welt, bis jemand, so heißt es, hinter die Kulissen blickt. „Der Wilde“, John Savage, ist sowas wie der „Held“ des Romans, der sein Recht auf Unglück fordert. Alles Unangenehme ist in dieser vollautomatischen Welt ausgerottet, anstatt es zu ertragen. „John Savage wird bei Huxley als verstiegener Bildungsfanatiker gesehen, der halbverdauten Shakespeare in sich hat, was auch grotesk ist. Eine andere Figur ist Bernhard Marx, der auch nicht mitmacht, obwohl er ein hochqualifizierter Alpha ist, der ein bisschen einen ‚Schaden‘ hat, eine Fehlfunktion, der immer Unbehagen in sich trägt und unzufrieden ist. Ein Grantler“, so Liepold-Mosser.

Daydream Nation
„Generell gibt es zwei große Dystopien, einerseits Orwells 1984 und Huxleys SNW. Und ich denke, dass Huxleys Dystopie unsere Welt auf doch erstaunliche Weise vorwegnimmt. In der Tat findet eine gewisse Art von Uniformisierung, aber auch Beherrschbarkeit der Menschen statt, nicht über Unterdrückung oder Repression, sondern eigentlich über ein System der Belohnung und des Glücks. Die Orwell’sche Dystopie hat eigentlich die kommunistischen Diktaturen als Referenz und malt die Freudlosigkeit, das Grau-in-Grau – bei Huxley ist es genau das Gegenteil“, findet Liepold-Mosser. „Wir erleben uns quasi in einer Welt, im Spätkapitalismus, wo es zunächst den Anschein hat, als ob jeder alles machen könnte, und diese Welt mit allen Gütern, mit denen wir leben, uns glücklich machen würde. Wir alle leben im Prinzip im Kontext eines Regimes, das wir gar nicht erkennen“, analysiert er weiter. Huxley selbst sieht in 1984 eine Übergangsphase zu seiner SNW, wo der Totalismus softer und verführerischer ist, als er in Orwells düsterem Überwachungsstaat erscheint. „In Verbindung mit der Freiheit des Tagträumens unter dem Einfluss von Rauschmitteln, Filmen und Rundfunk wird die sexuelle Freiheit dazu beitragen, seine Untertanen mit der Sklaverei, die ihr Los ist, auszusöhnen.“3 Tausche Rundfunk mit Sozialen Medien – und schwupps sind wir im Jetzt. Daher sind Buch und Theateraufführung auch an alle gerichtet, die ihre Freiheit oder die Demokratie nicht (mehr) zu schätzen wissen und nur zu leicht den Verführungen von Manipulationen erliegen.

Zwischen den Disziplinen
Neben seiner Theatertätigkeit ist Liepold-Mosser auch Gründer und Intendant des Klagenfurt Festivals. Ein erfolgreicher Versuch, anspruchsvollere (und unkonventionelle) Projekte aus den Sparten Theater, Musik, Performance mit transdisziplinären Projekten zu verbinden. Es ist kein Avantgarde-Festival, das nur wenige erreicht und deckt mit seinem Pop-Gestus ein weites Spektrum ab – neben Tocotronic und Laibach beispielsweise auch Philipp Hochmair. Jährlich Ende Mai stattfindend, sollte es unbedingt auf den Kultur-Ausflugsplan genommen werden.
Unter dem Namen Flying Opera produziert er (unregelmäßig) zeitgenössische Theaterprojekte, die in der Regel popkulturell ausgerichtet sind und mit neuem Musiktheater aufwarten, u. a. mit Clara Luzia oder Naked Lunch. Und gerade wurde in Wien eine eher ungewöhnliche Produktion, Nachschrift von Heimrad Bäcker, aufgeführt.
Außerdem erwähnt: das Art-Based-Forschungsprojekt Performing Drones (2024– 26), eine Koop von Theater, Drohnenforschung und Uni Klagenfurt. „Es geht um die Fragestellung der Interaktion und Koexistenz mit Maschinen am Beispiel von Drohnen. In Klagenfurt gibt es eine hervorragende zivile Drohnenforschung“, erklärt Liepold-Mosser. Hier sieht man seinen multipel kulturellen Ansatz wohl am besten: Ein Versuch, Dinge in Reflexion zu bringen – mittels seiner Hauptgebiete Philosophie, Theater, Theorie und Wissenschaft.

 

1 Im Roman als „Soma“ bezeichnet
2 Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt, Piper, S. 273, 1992
3 SNW – Vorwort, A. Huxley, Piper, 1992, S. 19

Bernd Liepold-Mosser
www.flyingopera.at
www.klagenfurtfestival.com

Aldous Huxley – Schöne neue Welt
Im Jahr 1932 wurde eines der bedeutendsten dystopischen Bücher veröffentlicht. Es präsentiert eine verführerische Vision einer Welt, in der das Glück als Droge verabreicht wird und Sex und Konsum alle Zweifel beseitigen. Diese Welt scheint perfekt zu sein – bis jemand hinter die Kulissen schaut und beginnt, sich gegen das System aufzulehnen.

www.theater-phoenix.at/stueck/schoene-neue-welt

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About the author

schreibt, Sachen wie diese. Ist DJ und beschäftigt sich eingehend mit Comics.

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