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Die Kommune ist nicht tot!

By   /  4. März 2022  /  No Comments

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Die Referentin bringt seit mehreren Heften eine Serie über frühe soziale Bewegungen und emanzipatorische Entwicklungen. Luxus für alle, Gleichheit in Aktion und die sozialen Beziehungen: Eva Schörkhuber beginnt mit einem Blick auf die Occupy-Bewegung der 2010er-Jahre und fokussiert danach die Commune de Paris und die Kunst nicht (dermaßen) regiert zu werden.

Der Sturz der Vendôme-Säule. Foto de Franck, Wikimedia Commons

„La Commune n’est pas morte“, die Kom­mune ist nicht tot, stand auf so manchem Plakat der Platzbesetzer:innenbewegung zu Beginn der 2010er Jahre: Auf prominenten Plätzen in zahlreichen Ländern, darunter Spanien, Griechenland, Frankreich und Deutschland, versammelten sich Hunderttausende, um im öffentlichen Raum über parteipolitische Grenzen hinweg gemeinsam Kritik zu üben an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Sich in Kritik zu üben ist, wie sich in historischen und zeitgenössischen sozialen Bewegungen zeigt, eine Haltungsfrage, die sich im Widerstand gegen Regierungsformen und -techniken immer wie­der neu stellt.

Seinen berühmten Vortrag Was ist Kritik beschließt Michel Foucault damit, dass er das Projekt der Aufklärung – selbstbewusst einen Weg aus der Unmündigkeit zu beschreiten – in einen „entschiedenen Willen nicht regiert zu werden“ übersetzt. Zuvor hatte er im Sinne einer „allgemeinen Charakterisierung“ vorgeschlagen, Kritik als „die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden“ zu bezeichnen. Die abschließende Verallgemeinerung trug ihm die Frage ein, ob es am „Missbrauch der Regierungsentfaltung liege“, die ihn zu einer „radikalen Position“ geführt habe, einer Position, die jegliche und nicht nur eine bestimmte Weise regiert zu werden ablehne. Foucault antwortet dem akademischen Rahmen entsprechend ausgewogen: „Ich bezog mich nicht auf eine Art fundamentalen Anarchismus, nicht auf eine ursprüngliche Freiheit, die sich schlechterdings und grundlegend jeder Regierungsentfaltung widersetzt“, stellt er klar, um zwei Sätze weiter noch einmal auszuholen: Wolle man „diese Dimension der Kritik“, von der er spreche, ausloten, „müsste man sich dann nicht mit einem Sockel der kritischen Haltung beschäftigen, die entweder die historische Praktik der Revolte, das Nicht-Akzeptieren einer wirklichen Regierung oder die individuelle Erfahrung der Verweigerung der Regierungs­realität wäre?“

Kämpfe um Erinnerung
In Foucaults Vortrag ist, im Gegensatz zur Französischen Revolution von 1789, von der Pariser Kommune keine Rede. Als eine Art „Sockel der kritischen Haltung“ betrachtet die Literaturwissenschafterin Kris­tin Ross die Commune. Sie interessiert sich weniger für die Held:innengestalten als für die konkreten Ausprägungen der von den Communard.e.s praktizierten „Kunst nicht regiert zu werden“. In einem Gespräch mit der Zeitschrift dérive erzählt sie von ihrer Auseinandersetzung mit den Schriften der Kom­mu­nar­d:in­nen, die über­lebt haben und berichten konnten. Es han­delte sich dabei um eine verhältnismäßig geringe Zahl an Zeug:innen, da viele, die an der Kommune beteiligt waren, nicht schreiben und lesen konnten bzw. nur in den wenigen Wochen, in denen die Pariser Kommune am Werk war, Zugang zu Bildung in Anspruch nehmen konnten.

Dass unmittelbar nach der blutigen Nie­der­schlagung, der berüchtigten semaine sang­lante im Mai 1871, viele zur Feder griffen, um die Ereignisse und ihre Erfahrungen in der Commune zu dokumentieren, interpretiert Ross so, dass ihnen bewusst war, dass es zu einem Kampf um die Erinnerung an die 73 Tage der Commune de Paris kommen würde. Der Nie­derlage folg­ten Verhaftungs-, Hinrichtungs- und De­por­tationswellen sowie die Restauration einer Regierungsordnung, die, wie zuvor, von Geschlechter-, Herkunfts- und Klassenhierarchien geprägt war. Die Kathedrale Sacré Cœur, die von 1875 an auf dem Pariser Montmartre – einem der wichtigsten Versammlungsbezirke für die Kommunard:innen – errichtet wurde, ist per Gesetz ausdrücklich auch „der Sühne der Verbrechen der Kommune“ gewidmet: Die berühmteste Postkarten-Kirche von Paris symbolisiert demnach eine unverhohlene Umkehr von Tätern und Opfern, wobei eines der schwerwiegendsten „Verbrechen der Kommune“ aus Sicht der Kirche wohl darin bestand, dass jeglicher klerikale Einfluss auf Bildung und Lebensführung ausgeschlossen wurde.

Während in konservativen Erinnerungsgemeinschaften die Pariser Kommune als Mahnmahl dafür steht, wozu die Auflösung bzw. Schwäche von Regierungen führen kann, kreisen linke Zusammenhänge oft um die Erzählung von der Niederlage der Kommune: Immer wieder wird sie eingebettet in den historischen Verlauf gescheiterter oder niedergeschlagener Revolutionen. Die Geschichte der Commune ist zu einem Monument geronnen, zur Statue eines heroischen, aber verlorenen Arbeiter:innenkampfes erstarrt.

„… auf die Geburt des gemeinschaftlichen Luxus, den Glanz der Zukunft und die Weltrepublik“
In den Augen von Kristin Ross sind Denkmäler jeglicher Art dazu da „unseren Blick zu zentralisieren“. Sie regieren unsere Perspektive auf die Geschichte ebenso wie auf eine Stadt oder eine Landschaft. Dementsprechend ist der einzig produktive Umgang mit Denkmälern ihre Demontage, im materiellen wie im symbolischen Sinn. Während die Kommunard:innen die Vendôme-Säule in Paris, „dieses lumpige napoleonische Möbel“, wie William Morris sie nannte, Stück für Stück abtrugen, geht Ross Schritt für Schritt den radikalen Entscheidungen und breit diskutierten Grundsätzen der politischen Gedankenwelt der Pariser Kommune nach.

So stößt sie auf den Luxus für alle, den luxe communal: Dabei handelt es sich nicht um „Luxus“ in einem bürgerlich-kapitalistischen Sinn, sondern, wie es ein Kommunard im Rückblick beschreibt, darum, dass die Kommune „nicht durch die sie Regierenden, sondern durch die, die sie verteidigten, ein […] Ideal für die Zukunft aufgestellt“ habe: „Überall wurde das Wort ‚Kommune‘ im denkbar umfassendsten Sinne verstanden, als Name für eine neue Menschheit, bestehend aus freien und gleichen Gefährten, die die Existenz alter Grenzen gar nicht beachten und sich vom einen Ende der Welt bis zum anderen in Frieden gegenseitig helfen.“

In diesem „Ideal für die Zukunft“ werden die Grenzen, welche für eine bürgerliche Gesellschaftsordnung konstitutiv sind, abgetragen: jene zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, zwischen Stadt und Land, Theorie und Praxis, Kunst und Handwerk. Die Einzugsgebiete dieser kritischen Praxis sind lokale Einheiten, die untereinander kooperieren, weit über alle Staats- und Institutionsgrenzen hinweg. Die Orte der Organisation der Commune-Bewegung waren nicht die Arbeitsplätze, son­dern die Wohnbezirke, in denen die Menschen ihre alltäglichen Praktiken politisierten. Der Vorteil davon war, dass sich von Anfang an nicht nur Lohnarbeiter organisierten. Alle – auch Arbeitslose, Frauen, Kinder, Heimarbeiter:innen usw. –, die in der belagerten Stadt verblieben waren (ein Großteil der Bourgeoisie, vor allem jener, der über Landbesitz verfügte, hatte Paris, vor dessen Toren die deutsche Armee stand, verlassen), konnten an der Kommune teilhaben. Die nicht nur propagierte, sondern tatsächlich praktizierte „Gleichheit in Aktion“ umfasste alle Lebensbereiche: Das Ziel war eine Form der Emanzipation, die sich weder institutionalisieren noch als Regierungstechnik anwenden ließ. Das betraf den Bereich der Bildung, der aus einem meritokratischen abstrakten Gleichheitsideal gelöst und auf jene Beine gestellt werden sollte, die nicht das, was eine kleine Gruppe unter „Bildung“ versteht, an die gesellschaftlichen Ränder befördern, sondern die den Gedanken, mit denen sich die Menschen in ihrer Alltagspraxis tragen, Raum und Zeit verschaffen, ebenso wie das künstlerische Feld. Die Fédération, die sich gründete, um ein revolutionäres Kunstprogramm zu ent­wickeln, in dem unter anderem die Trennung von Kunst und Handwerk aufgehoben wurde, befasste sich weder mit normativen ästhetischen Kriterien noch mit der Bewahrung eines künstlerischen Erbes: Es ging vielmehr darum, „alle Elemente der Gegenwart freizulegen und zur Entfaltung zu bringen“. Am Ende ihres Manifestes findet sich auch die Formulierung des luxe communal als erklärtes Ziel, das es „zum Glanz der Zukunft und der Weltrepublik“ zu erreichen gilt.

Der Beginn einer ganz anderen Lebensweise 
Kunst sollte ebenso wie die Bildung nicht in Institutionen eingeschlossen werden, son­­dern ihren Platz unmittelbar in den sozialen Praktiken finden. Diese „Gleichheit in Aktion“ wurde auch im Hinblick auf politische Teilhabe praktiziert. Auf die Fra­ge, warum die Frauen der Kommune, die maß­geblich an neuen Zugängen zu Bildung beteiligt waren und die eine der einflussreichsten Gewerkschaften gegründet hatten, wenig Interesse an politischer Gleichberechtigung in Form eines Frauenwahlrechts hatten, antwortet Kristin Ross im dérive-Gespräch: „Ich glaube, es liegt daran, dass Feministinnen, wie auch andere Kommunarden, die Commune als den Beginn einer ganz anderen Lebensweise, al­so einer gesellschaftlichen Revolution be­trach­teten. Sie dachten, dass alle mögli­chen neuen politischen Formen am Horizont auf­tau­chen würden, warum sich also mit einer Teil­habe an den schon vorhandenen, un­ter­drü­ckerischen bourgeoisen Formen begnü­gen?“

In der „Kunst nicht dermaßen regiert zu werden“, die während der kurzen langen 73 Tage der Commune de Paris praktiziert wurde, artikuliert sich demnach auch ein „entschiedener Wille nicht regiert zu werden“. All die Mittel, die zur Produktion eines sozialen Alltages nötig sind, selbst in die Hand zu nehmen, bedeutet, sich in radikaler Kritik zu üben, die Arten und Weisen, in denen über die Köpfe, Arme, Mägen und Beine hinweg bestimmt wird, zu demontieren und Zugänge zu ganz anderen Lebensweisen in Anspruch zu nehmen. Darin besteht das Vermächtnis der Pariser Kommune, das sich, im Ge­gensatz zu einem Denkmal, mit jeder Vergegenwärtigung verändert und, wie die Oc­cupy-Bewegung, immer neue Plätze gesellschaftlicher Auseinandersetzung und Orte sozialer Beziehungsweisen anvisiert.

 

Kristin Ross: Luxus für alle. Die politische Ge­dankenwelt der Pariser Kommune. Aus dem Englischen von Felix Kurz. Berlin: Matthes & Seitz 2021

Jochen Becker, Kristin Ross, Christoph Laimer: Abräumen der Monumente. Ein Gespräch mit Kristin Ross über den langen Wellenschlag der urbanen Revolution. In: dérive. Zeitschrift für Stadtforschung, 84/Juli-September 2021, S. 18–23

Michel Foucault: Was ist Kritik? Aus dem Franzö­sischen von Walter Seitter. Berlin: Merve 1992

Die Serie in der Referentin ist auf Anregung von Andreas Gautsch bzw. der Gruppe Anarchismusforschung entstanden, siehe auch: anarchismusforschung.org

Pariser Kommune
Als Pariser Kommune,
La Commune de Paris, wird der während des Deutsch-Franzö­sischen Krieges spontan gebildete revoluti­o­näre Pariser Stadtrat vom 18. März 1871 bis 28. Mai 1871 bezeichnet, der gegen den Willen der konservativen Zentralregierung versuchte, Paris nach sozialistischen Vorstellungen zu verwalten. (Wikipedia)

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About the author

ebt als Schriftstellerin und Kulturwissenschafterin in Wien; sie ist Mitglied der Redaktion von PS: Anmerkungen zum Literaturbetrieb/Politisch Schreiben und im Papiertheaterkollektiv Zunder; zuletzt erschienen ist der Roman Die Gerissene (Wien, Edition Atelier 2021). Eva Schörkhuber ist außerdem, gemeinsam mit Ilse Kilic, in dieser Referentin mit einem Interview über ihr neues Buch vertreten.

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