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Der Schluss muss wie ein Hammer fallen

By   /  1. September 2017  /  No Comments

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Die oberösterreichische Schriftstellerin Evelyn Grill ist eine Meisterin des ironischen Blicks und durchleuchtet in ihren Texten genüsslich die Abgründe unserer Existenz. Die vergangenen dreißig Jahre hat Grill in Deutschland verbracht, vor einigen Monaten ist sie wieder nach Linz zurückgekehrt. Im Gespräch mit der Autorin hat Silvana Steinbacher erfahren, warum sich Grill Linz zugehörig fühlt und was Abfälle mit Romanen zu tun haben.

Foto Christina Fritsch

Foto Christina Fritsch

Vor der Villa eines durch gegenseitigen Ekel verbundenen Ehepaars lungern Obdachlose in Designerklamotten mit ihren Hunden … Szenenwechsel: Am Bett der sterbenden Mutter ergötzt sich eine Familie daran, den Vater mit den Liebesbriefen an eine andere Frau bloßzustellen … Oder: Eine Schickimicki-Clique verfügt in selbstgefälliger Manier über das weitere Schicksal eines Messies …

Evelyn Grill entführt ihre Leser/innen ohne Erbarmen, mit hoher Erzählkunst und in oft sarkastischem Ton zu den Abgründen der menschlichen Existenz. Und diese Abgründe liebt sie zu sezieren. „Die Normalen interessieren mich nicht, was gäbe es da schon zu entdecken“, stellt die seit kurzem wieder in Linz lebende 75jährige Autorin fest, während sie mir in ihrer neuen Wohnung Tee eingießt.

Dreißig Jahre hat Evelyn Grill mit ihrem zweiten Mann, einem Germanistik-Professor und Rilke-Experten, in Freiburg im Breisgau gelebt. Die süddeutsche Stadt zählt etwas mehr Einwohner als Linz, doch Linz unterscheidet sich für sie in einer angenehmen Weise von Freiburg. Freiburg strahlt für Grill – sie wohnte zudem in einem sogenannten noblen Stadtteil – Prosperität aus, Linz erlebt sie vielfältiger. Sie veranschaulicht mir ihren Eindruck an einer Begebenheit, die sie kurz nach ihrer Rückkehr nach Linz beobachtet hat.

Die Schriftstellerin sitzt in einem kleinen Café im Zentrum der Stadt, um im Freien zu frühstücken. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sieht sie einige Menschen, die sofort erkennbar finanziell bedürftig sind, in Deutschland würde man diese auf den ersten Blick als Hartz-IV-Empfänger einstufen, meint sie. Grill bewundert an diesem Vormittag, mit welcher Phantasie sich die beiden Frauen dieser Gruppe trotz ihrer bescheidenen Mittel gekleidet haben. Und in diesem Moment denkt sie: „Hier gefällt es mir, da gehör’ ich hin.“ Das soeben Wahrgenommene ängstigt sie aber auch, wie schon so oft. In den vergangenen Jahren beobachtete sie die zunehmende Verarmung sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Den Wirtschaftsliberalismus, den Rechtsradikalismus und die Reichsbürgerbewegung, die in Deutschland schon wesentlich stärker ausgebreitet ist, nimmt sie mit Besorgnis wahr. Grill, in deren Büchern immer auch die Kunstgeschichte einen zentralen Raum einnimmt, schätzt allerdings auch das Angebot an Kunst in Linz, vor allem das Lentos und das Musiktheater, das sie bisher nicht kannte, und die große Donau, mit der sich die kleine Dreisam in Freiburg natürlich nicht messen kann.

Ausgehend von ihrem jetzigen Eindruck der Stadt erzählt sie mir von ihrer früheren Zeit in Oberösterreich, wohin sie zurückgekehrt sei, weil zwei ihrer mittlerweile erwachsenen Kinder hier wohnen. Bedrückend. Dieses Attribut verwendet Evelyn Grill jetzt einige Male, als sie mir ihre Erinnerungen schildert. Geboren und aufgewachsen ist sie in Garsten bei Steyr, wo sie als Kind das Gefängnis als dominant und furchterregend empfand, als junge Frau lebte sie einige Jahre in Hallstatt, das sie später zum Schauplatz ihrer beiden Romane Wilma (1994) und Der Sohn des Knochenzählers (2013) wählte. Die auratische Enge des für viele zauberhaften Tourismusortes wirkte auf sie bedrohlich, und so entspricht die Kulisse der beiden Romane sicher nicht dem, was sich eine Fremdenverkehrswerbung wünscht. Als Schauplatz für die Sujets dieser beiden Bücher erwies sich Hallstatt jedoch als außerordentlich inspirierend. Und heute, nach Jahren der Abwesenheit, sieht sie den Ort anders und weiß seinen Reiz zu schätzen, auch weil ihre Tochter und Enkel dort leben. Während ihrer Ausführungen bemerke ich, dass sich an vielen Stellen in Grills Wohnung nicht nur Bilder, sondern auch Büsten und Statuetten befinden, was mich nicht wundert, da künstlerische Exponate auch in ihren Büchern eine große Rolle spielen. Mir fällt auch auf, dass die Autorin die Farbe Grün bevorzugt, die in ihrer Wohnung bei Teppich, Sofa und Bildern wiederkehrt.

Ich bitte die Autorin, die im Gespräch nicht nur trockener Humor, sondern auch eine feine Aura des Understatements umgibt, die realen Lebenswelten zu verlassen und zu ihren literarischen zu wechseln. „Zuerst muss ich eine Idee und ein Schicksal haben und dann brauche ich einen konkreten Ort, ein fiktiver Ort würde mir nicht entsprechen“, berichtet Grill. „Vor allem das Umfeld, das ich aussuche, muss ich gut kennen, da will ich souverän agieren können. Danach stellt sich die Frage, in welcher Situation, welcher Phase ihres Lebens fange ich eine Figur auf.“ Und angesprochen darauf, wie sie denn zu ihren Stoffen kommt, meint sie knapp: „Die Abfälle meiner Reisen mit meinem Mann geben meine Romane.“

In den Rezensionen ihrer Bücher lobt die Kritik auch Grills überbordende Phantasie. Doch die Autorin verweist auf die Wirklichkeit, die manchmal kaum überboten werden kann. So habe sie beispielsweise die fast weltweit tingelnde Ausstellung Körperwelten mit den plastinierten menschlichen Körpern des Anatomen Gunther von Hagens als ein reales Element in ihrem für den Deutschen Buchpreis 2005 nominierten Roman Vanitas oder Hofstätters Begierden überhöht. Und auch ich erinnere mich jetzt an den Besucheransturm in der Linzer Tabakfabrik vor zwei Jahren und die begeisterten Berichte jener Menschen, die sich an dieser Schau voyeuristisch delektierten.

„Ich versuche mich in meine Figuren und ihre Abgründe hineinzuversetzen, hineinzudenken“, sagt Evelyn Grill. „Mich interessiert, warum sie so handeln, wie sie es tun.“ Ob und wie die Figuren handeln könnten, hänge doch ausschließlich von ihr ab, schließlich hielte sie die literarischen Zügel in Händen, halte ich entgegen. Grill stockt für einen Moment, will mir scheinen, oder habe ich mich getäuscht? Doch ich werde die Vermutung nicht los, dass sie ihre Figuren, sobald sie sie entworfen und umrissen hat, aufs Papier und somit in die Selbständigkeit entlässt. Ein Gedanke, den ich reizvoll finde und jetzt nicht weiter hinterfragen möchte.

Ende Oktober vergangenen Jahres hat Evelyn Grill ihren bisher letzten Roman Immer denk ich deinen Namen im Linzer StifterHaus präsentiert. Die Schriftstellerin schildert darin eine Liebe, die sich hauptsächlich in Briefen ausdrückt, Briefe voll von Sehnsucht und Begehren, bis der berüchtigte Hammer zuschlägt. „Der Schluss muss wie ein Hammer fallen“, stellt die Autorin fest, und auf dem Weg dorthin kann sie ihre Figuren völlig empathielos vor sich hertreiben. Empathielos wie die Narzissten, die sie literarisch faszinieren, doch in der Realität ängstigen, und bald darauf endet unser Gespräch dort, wo es begonnen hat, bei der Politik. „Putin, Erdogan und vor allem Trump sind Narzissten, Narzissten sind völlig empathielos; ich empfinde diese Situation wie einen Sprengstoff, vor allem, wenn es sich um Politiker bedeutender Länder handelt.“ Ein politisches Buch zu schreiben läge ihr jedoch fern, dazu sei sie politisch nicht gebildet, sogar naiv, antwortet sie mir auf meine Frage – wie gesagt: Understatement! –, doch wenn sie in Linz richtig angekommen sei, möchte sie mit einem nächsten Roman beginnen, und ich bin schon jetzt überzeugt: Bis ihr gnadenloser Hammer dann fällt, wird es auch in diesem neuen Roman nicht an Abgründen fehlen.

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About the author

ist Autorin und Journalistin.

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