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Popkulturelle Sextherapie im Abbruchklo

By   /  1. März 2019  /  No Comments

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Die Coming-Of-Age-Serie „Sex Education“ dreht sich um das Sextberatungsprojekt „Clinic“, das an der Morendale High von der toughen Meave initiiert wird. Sarah Held hat sich die Serie angesehen und stellt hier einige Charaktere mit ihren toxischen bis vulnerablen Männlichkeitskrisen vor. Auch wir meinen: quite zeitgeisty.

Schauplatz der postmodernen Teenie-Sextherapie. Foto Netflix

Schauplatz der postmodernen Teenie-Sextherapie. Foto Netflix

In der von Maeve kurzerhand aus Geldnot initiierten „Clinic“ übernimmt der schüchterne Otis die Rolle des Sextherapeuten. Trotz seiner Jungfräulichkeit kann er aufgrund seiner Erziehung sowie des heimlichen Belauschens der Therapiesitzungen bei seiner Mutter Jean, renommierte Sex- und Paarpsychologin, in dieser Rolle agieren. Die hormonelle Achterbahn des adoleszenten Klientels der Moredale High wird von nun an im asbestverseuchten Abbruchklo der Schule therapiert.

Die Serie bietet eine große Auswahl divers angelegter Identifikationscharaktere, darüber hinaus auch eine Vielzahl interessanter Untersuchungsaspekte – eine thematische Fokussierung ist besonders schwer. Meine Wahl fällt auf die Thematisierung von toxischer Männlichkeit, personifiziert durch Adam Groff, Sohn des Schulleiters, ein Bully, der zwar mit einem immens großen Penis ausgestattet ist, aber unter einer psychosomatischen Dysfunktion leidet. – Adam kann nicht abspritzen. Kontrastierend hierzu ist er mit einem Repertoire vermeintlich typisch maskuliner Eigenschaften ausgestattet, denn er verkörpert die heilige Dreifaltigkeit idealisierter Maskulinität, bestehend aus stattlicher Größe inkl. körperlicher Stärke, Brutalität und wortkarger Verschlossenheit. Er entspricht somit Archetypen wie John Rambo, John Wayne oder John McClaine. Deshalb führe ich an dieser Stelle den Modellbegriff Testo-John als semiotische und somatische Schablone für hegemoniale Männlichkeit ein. Folgt man dem sozialen Script, das dieser Persona zugrunde liegt, ist es absolut nicht verwunderlich, dass Adam im Staffelfinale post-koital homophobe Züge aufweist. Denn während einer Arrestsitzung haben er, bisher als heterosexuell inszeniert, und sein bevorzugtes Objekt der Drangsalierung, Eric, Sex. Letzterer ist ein queerer Charakter, der seine Vorlieben für Crossdressing und Make-Up trotz sozialer Repression und Gewalt auslebt. Dessen Gesprächsversuche über die sexualisierten Handlungen werden von Adam strikt verboten und mit Gewaltdrohungen unterstrichen, falls Eric je mit anderen darüber sprechen sollte. Ironischerweise ist es Adam, der danach im Unterricht heimlich körperliche Nähe zu Eric sucht. Dieses Handlungsmuster deckt sich ebenfalls mit der Persona Testo-John, da echte Männer schlicht keine Worte, sondern nur Taten benötigen und vor allem schon gar nicht schwul bzw. bi sind.

In Adaption bester freudscher Manier suche ich die Ursache für Adams (Fehl)verhalten natürlich beim Vater. Schulleiter Groff gehört ebenfalls der Kategorie Testo-John an und sozialisiert Adam dementsprechend. Das Verhältnis von Sohn und Vater ist durch Strenge, Repression, Sanktionen, sozio-emotionalen Druck und Härte geprägt. Das lässt kaum Raum für liebevollen Umgang und positive Bestärkung. Die stereotype Emotionspalette erlaubt nur eine asymmetrische Gefühlsperformance, alle affektiven Regungen, die nicht dem aggressiven Spektrum angehören werden pauschal als feminin, wenn nicht gar direkt als schwul und damit schwächlich deklariert. Zeichen der Zuneigung zeigt Groff Sen. öffentlich gegenüber dem Schulsportstar Jackson und impliziert Adam somit unverkennbar die eigenen Defizite und zementiert das unterkühlte Vater-Sohn-Verhältnis. Dabei ist hervorzuheben, dass die positive Bestätigung weniger echter Sympathie zur Person Jackson, denn mehr von finanzieller Begabtenförderung motiviert wird. Das starre Unvermögen des Familienpatriarchen wird durch den emotionalen Sozialkitt der Mutter versuchsweise ausgeglichen. Gleichzeitig nutzt der Vater Groff die Vulnerabilität der Mutter als Druckmittel gegen Adam. Konservative (Familien)Politik der harten Hand wird als restriktives Modell inszeniert, das im Privaten (wie auch im Politischen) zum Scheitern verurteilt ist.

Vulnerable Maskulinität

Eric ist als gegensätzliche Figur zu Adam lesbar. Gerade das Verhältnis zwischen Eric und seinem Vater eignet sich als Kontrastfolie, obwohl der religiöse Vater einem ähnlichen sozialen Script wie Schulleiter Groff folgt, denn er ist vom Schwul-Sein seines Sohnes irritiert und leistet im ersten Teil der Staffel wenig Unterstützung. Nach einem tätlichen homophoben Übergriff auf Eric scheint dieser zwar für einige Zeit gebrochen und wählt einen gedeckten Kleidungsstil, findet aber durch schwule Rolemodels zu seiner schräg-schrullig-queeren Identitätsperformance zurück. Sein Vater macht ebenfalls einen Entwicklungsprozess durch und erkennt endlich seinen Sohn in all seinen Persönlichkeits-Facetten an. Weiters leistet er den nötigen väterlichen Support mit emotionaler Care-Arbeit. Die Serie zeichnet ihn somit als wandelbaren Charakter, der bereit ist, sich aufgrund sozialer Verhältnisse zu verändern.

Protagonist Otis ist auch kontrastierend zur Persona Testo-John angelegt. Bei ihm wird deutlich ein Identitätsmuster gezeichnet, das signalisiert, das auch durch die hyper-liberale und offene Erziehung der Mutter ebenfalls Defizite ausgebildet werden können. Die Sextherapeutin überfordert bzw. beeinträchtigt Otis mit ihrer direkten Art in seiner Entwicklung. Als Folgeerscheinung hat er Masturbations- und Sexprobleme. Zudem ist sie überwachend, beispielsweise, wenn sie Otis bei einem Partybesuch hinterherfährt. Die Situation wird von Adam treffend mit „I thought my parents were controlling!“ kommentiert.

Abschließend

Sex Education dient als Trojanisches Pferd für queer-feministische Anliegen. Die Serie zeigt Themenkomplexe von kriselnder Männlichkeit, das Aufheben von Klassenunterschieden, die Implementierung lesbischer Ehe als scheinbar normative Bilderbuchfamilie sowie die Inszenierung von tougher Weiblichkeit, außerdem markiert sie Queer-Sein als cool. Pointiert und selbstreferenziell wird das Thematisieren von Männlichkeit in der Krise in der letzten Folge als „quite zeitgeisty“ bezeichnet.

Neben der Darstellung verschiedener Tücken der Pubertät sind Personalitätsentwürfe, die Fehler machen und auch mal scheitern dürfen, omnipräsent. Das ist eine interessante Entwicklung, denn in den vergangenen Jahrzehnten wurden in der Popkultur tendenziell eher Teenie-Figuren gezeigt, die der Mainstream-Idee von Coolness entsprechen, man denke dabei insbesondere an diejenigen 80er-Jahre High-School-Filme, die coole Cliquen und Popular-sein als non plus ultra stilisierten. Etwas Ähnliches geschieht bei Sex Education auch, aber mit einer großen Portion ironischer Reflexion, wenn beispielsweise Aimee zwar als „most popular girl in school“ inszeniert wird, aber eigentlich unter ihren Cool-Kids-Freund*innen leidet und heimlich mit der von ihnen als asozial bezeichneten Maeve befreundet ist.

Abschließend ist für mich zu sagen, dass mir Sex Education in meiner Rolle als Kulturwissenschaftlerin, Genderforscherin sowie als profane Konsumentin einfach total viel Spaß macht; zumal auch diese Serie mit einem großartigen Soundtrack auffährt.

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About the author

lebt in Wien und hat über textile Interventionskunst zum Sichtbarmachen von sexualisierter Gewalt und Femicides promoviert. Zur thematischen Entspannung unterrichtet sie an verschiedenen österreichischen Universitäten  queer-feministische Pornografie. In ihrer Freizeit ist sie gern in Sachen Girl Gangs against Street Harassment unterwegs.

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