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Wir Können Da Was Machen

By   /  4. Juni 2020  /  No Comments

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Wir Können Da Was Machen – so der Titel der aktuellen Publikation des Kunstraum Goethestrasse xtd. Der Katalog versammelt 29 Arbeiten der letzten Jahre und reflektiert Zugänge und größere Zusammenhänge zwischen zeitgenössischer Kunst und psychosozialer Gesundheit. Claudia Schnugg, Expertin zwischen Kunst, Wissenschaft und Kollaboration hat den Katalog zentral mitgestaltet und gibt Einblick.

Der Titel des Katalogs, der eine Auswahl an Projekten aus den Jahren 2010 bis 2019 dokumentiert, ist auf mehreren Ebenen Programm: Wir Können Da Was Machen ist Selbstreflexion des Kunstraums Goethestrasse xtd auf sich als Ort und auf seine unterschiedlichen Konstellationen der Beteiligten, er beschreibt den hausinternen Zugang der Herausforderungen und den Prozess der Projektentwicklung, und er stellt indirekt Fragen zu potenziellen Wirkungen von Kunst, künstlerischer Produktion und kultureller Teilhabe. Im Katalog gezeigt werden 29 künstlerische Arbeiten, die sich aus Aufträgen, Kooperationen und Langzeitprojekten zusammensetzen: Gestaltungen, Designs, Inszenierungen, Performances, Installationen, Tagungsbeiträge, Kampagnen, Videoproduktionen, fortlaufende Projektreihen.

In unserer Umgebung befinden sich so viele Orte, die wir vermeintlich kennen. Orte, die schon so lange da sind, dass wir meinen, sie ausführlich zu kennen, von denen vielleicht alle ein Bild haben. Ein Bild, das mehr oder weniger genau jenen Ausschnitt zeigt, wie wir diesen Ort wahrnehmen oder zuvor erlebt haben. Der Kunstraum Goethestrasse xtd hat sich für die neueste Publikation mit der eigenen Arbeit und jenen resultierenden Projekten auseinandergesetzt, die sich abseits des gewohnten Bildes und abseits des bekannten Spektrums ihrer Tätigkeit befinden. Der Prozess, der zu dieser Darstellung geführt hat, war eine Selbstreflexion gepaart mit Rückmeldungen von Projektpartner*innen und einer Analyse aus Expert*innenperspektive. Das Ergebnis ist ein Katalog von Projekten, die über das Jahresprogramm hinausgehen: Kunst am Bau, Kooperationen mit Künstler*innen, Auftragsarbeiten für Projektpartner*innen, Gestaltungsaufträge in Gebäuden, an öffentlichen Plätzen und bei Veranstaltungen. In diesem intensiven Prozess und im Rahmen des allseits gegenwärtigen Wirkungsdiskurses entstand eine Publikation, die über die bloße Darstellung einer Auswahl dieser außergewöhnlichen Projekte hinausgeht. In Form von Kapiteln werden die Projekte an jedem einzelnen Wort des Titels Wir Können Da Was Machen abgearbeitet: nach einer kurzen Einleitung werden ausgewählte Projekte zu dem jeweiligen Thema reflektiert. Im Fokus der Darstellung stehen die eigenen Communities (Wir), die Formate, Methoden und Expertisen (Können), die Orte, Räume und Zeitpunkte (Da), die Wirkungen (Was) sowie die Prozesse und Ergebnisse (Machen).

Wer ist das also, deren Bild es durch diesen Katalog neu zu sehen gibt? Der Kunstraum Goethestrasse xtd ist ein Produktionsort und Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst, dessen Arbeit sich an der Schnittstelle von Kunst und Sozialem, Kunst und psychosozialer Gesundheit als Angebot von Pro Mente OÖ bewegt. Jedes künstlerisch-partizipative Projekt fußt auf der Idee, durch Projekte nachhaltig individuelle und soziale Veränderung in Gang zu setzen, zur psychischen Gesundheit und Widerstandsfähigkeit von Individuen wie Gesellschaften beizutragen und ein respektvolles Miteinander zu ermöglichen. Gleichzeitig wird das Ergebnis nie aus den Augen gelassen, denn das Ziel ist es, mit diesem vielschichtigen Prozess hochwertige Ergebnisse zu schaffen – als Aufwertung des Prozesses und als Referenz auf die intensive künstlerische Auseinandersetzung des jeweiligen Teams und der Kooperationspartner*innen. Die Arbeiten haben den Anspruch, sich im zeitgenössischen Kunstdiskurs zu verorten und gleichzeitig werden unterschiedlichste Personengruppen in den Prozess der Kunstproduktion und -erfahrung aufgenommen bzw. adressiert. Im Zuge dessen werden Methoden zu individueller und gesellschaftlicher Teilhabe kontinuierlich hinterfragt und weiterentwickelt, wobei das künstlerische und das soziale Feld auf mehreren Ebenen voneinander profitieren sollen.

Unter der Prämisse eines erweiterten Kunstbegriffs und des gesellschaftlichen Auftrags der Kunst, greifen die Projekte Themen des aktuellen gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Kontextes auf und laden Menschen ein, einen Beitrag zu leisten um ein wertvolles Werk im zeitgenössischen Kunstdiskurs zu schaffen. Es zeigt sich in den Prozessen und Ergebnissen das kontinuierliche Ausverhandeln eines Mit- und Nebeneinanders von Zugängen, Themen, Methoden, Menschen aus Kunst und Sozialem sowie von Menschen mit und ohne psychosozialen Unterstützungsbedarf. Wie im Katalog sichtbar wird, verschwimmen dabei die Grenzen zwischen Produzierenden und Rezipierenden in der täglichen Arbeit, die Menschen stehen im Vordergrund.

Das Kernteam des Kunstraum Goethe­strasse xtd sind Susanne Blaimschein und Beate Rathmayr, die ihre Visionen vorantreiben und gleichzeitig im Hintergrund die Fäden ziehen. In jedem Projekt gibt es Möglichkeiten, auf unterschiedliche Art und Weise anzudocken, teilzunehmen und gemeinsam umzusetzen. Wie vielfältig sich das „Wir“ in einem Projekt gestalten kann, zeigt wahrscheinlich am besten das Beispiel einer bekannten Projektreihe. „City of Respect“ ist ein Überbegriff für seit über 10 Jahre stattfindende Projekte, um zu einem respektvollen Miteinander beizutragen, gemeinsam mit u. a. Stadtbewohner*innen und der eigenen Community. Bei der Kampagne wurden 2017 und 2018 mit den Linz AG Linien und der Friedensstadt Linz eine Reihe an Initiativen zu diesem Thema entwickelt. In weiteren Initiativen wurden u. a. Künstlerkolleg*innen eingeladen u. a. Projekte im öffentlichen Raum beizutragen, oder es wird mit Schüler*innen in einer Workshopreihe das Thema aufgegriffen, wobei die Ergebnisse als Interventionen oder in einer Ausstellung präsentiert werden. Es gibt Einladungen an Kultur- und Sozialorganisationen, gemeinsam ein Projekt zum Thema umzusetzen, wie auch Einladungen an lokale und internationale Gemeinschaften, Unternehmen und Wissenschaft, sich zu beteiligen. Jedes Projekt steht für sich und trägt die Idee weiter. Auch in Gestaltungsarbeiten werden Grundkonzepte aus dieser Projektreihe gerne aufgegriffen: am Lonstorferplatz in Linz, zum Beispiel, wurde der überdachte Tiefgaragenabgang mit Grafiken, die an die City-of-Respect-Kampagne erinnern, gestaltet und mit Gedanken daraus bereichert.

Dreh- und Angelpunkt der Herangehensweise, des Tuns ist der hohe Stellenwert von Handwerk und Inhalten. Mit Fingerspitzengefühl werden Prozesse für die Teilnehmenden und die Ziele der gemeinsam zu realisierenden Arbeit ausgewählt. Gestaltet werden dabei persönliche Zukunftsvisionen und Veranstaltungen ebenso wie öffentliche Plätze, Neubauten, gemeinschaftliche Wohnräume oder alltägliche Arbeitsutensilien wie Geschirrtücher. Exemplarisch lassen sich hier nur wenige Projekte herausgreifen, die wesentliche Methoden und Formate aufzeigen. Bei der Gestaltung des neu gebauten Wohnhauses von Pro Mente OÖ in Linz wurde das Kunstraum-Team schon frühzeitig in den Planungsprozess miteinbezogen: „Neues Zuhause – Die Welt im Großen und im Kleinen“ wurde diese Arbeit genannt. Der mehrstufige, auf zwei Jahre angelegte Prozess unterstützte die Bewohner*innen sich neu zu verorten, an diesem Ort und in der Gruppe, und sich selbst auszudrücken. Die Gestaltung selbst ist wichtiger Bestandteil des Wohnhauses, die Ästhetik erlaubt es eine angenehme entstehen zu lassen, den Eindruck klassischer betreuter Wohnhäuser gar nicht aufkommen zu lassen. In einem weiteren Beispiel, „Art Can’t Top Nature“ entwickelte der Kunstraum Goethestrasse xtd gemeinsam mit zwei eingeladenen Künstlerinnen, Karin Fisslthaler und Tea Mäkipää, eine künstlerische Gestaltung für den neu gebauten Verbindungstrakt der Anlage Wesenufer Hotel & Seminarkultur an der Donau. Als „Allianzen“ wurde eine Gestaltung im Rahmen einer Veranstaltung realisiert, die gleichzeitig als Inszenierung der Bedeutung des Ortes der Veranstaltung und als Intervention für die Besucher*innen fungierte.

Neben den unterschiedlichen Gestaltungsarbeiten von Orten, Räumen oder Zeitpunkten, die im Kapitel „Da“ exemplarisch vorgestellt werden, widmet sich das Kapitel „Können“ Formaten, die die Arbeit mit Projektpartner*innen und Teilnehmer*innen illustrieren. Es werden die wichtigsten künstlerisch-kreativen Methoden anhand von Projekten illustriert: Workshopreihen, eine fortlaufende Auseinandersetzung mit Materialien, Sprache und dem eigenen Körper, sowie Reflexionsprozesse, eine Entwicklung von Geschichten und ein Ausloten von Techniken und Materialien finden statt. Im letzten Kapitel „Machen“ wird die Vielfalt der Prozesse dargestellt, die unterschiedlichste Zusammensetzungen des „Wir“ zeigen, und kürzere Projekte wie auch über Jahrzehnte fortlaufende Themen aufgreifen.

Zusammenfassend befindet sich die Arbeit an einer Spezialposition zwischen zeitgenössischer Kunst, künstlerischer Betätigung, Kultur, Sozialem und psychischer Gesundheit. Somit ist die Frage des „Was“ nicht nur anhand von Projekten zu beantworten, sondern auch mit einem Blick auf theoretische Zugänge und die aktuelle Diskussion des Stellenwerts von Kunst und Kultur in der Gesellschaft mit einem Blick auf (psychische) Gesundheit. Um die Ergebnisse im aktuell allgegenwärtigen Wirkungsdiskurs zu verorten, der nach dem Beitrag von Kunst und Kultur frägt, werden in diesem Kapitel die Prozesse und Projektergebnisse dahingehend hinterfragt. Dank eines wachsenden Interesses an dieser Thematik konnten hier präsentierte Ideen anhand eines ausgewählten Projekts auch in der letzten Ausgabe des Magazins der IG Kultur unter dem Titel „Kultur auf Rezept“ vorgestellt werden. Vielleicht kann dieser Katalog sogar noch mehr als nur ein Puzzlestein im eigenen Bild hinzufügen und zeigen, was es denn da noch so zu entdecken gibt.

 

2019 ist ihr Buch Creating ArtScience Collaboration erschienen.
www.palgrave.com/gp/book/ 9783030045487

Claudia Schnugg hat ebenfalls in der Redaktion der im Text erwähnten IG-Kultur-Zeitschrift zum Thema „Kultur auf Rezept“ mitgearbeitet: igkultur.at/sites/default/files/posts/downloads/2020-01-07/IG%20Kultur_Zentralorgan_2019-01_Kultur%20als% 20Rezept.pdf

KunstRaum Goethestrasse xtd
Publikation:
Wir Können Da Was Machen Informationen und Ankündigungen zur Katalog-Präsentation sind bald zu finden auf www.kunstraum.at

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About the author

ist Wissenschaftlerin, Beraterin und Kuratorin mit dem Schwerpunkt Kunst und Wissenschaft. Die Frage, was es denn heißt, dass Kunst (etwas be)wirkt, begleitet sie seit über zehn Jahren. www.claudiaschnugg.com

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