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When Sun Comes Out

By   /  1. Dezember 2021  /  No Comments

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Es glitzerte und knisterte in Tom Bogaerts Klanginstallation Sun Ra Ra – gezeigt im bb15 im Oktober. Die Arbeit erinnerte daran, wie ernst es einst um die Avantgarde stand. Denn während Sun Ra 1986 in einem Interview mit dem Musicians Magazine befand: „Sie sehen nicht so aus, als hätten sie Spaß“, wird das Publikum bis heute auf hypnotische-vergnügliche Weise mit auf eine Reise Richtung Saturn genommen. Bettina Landl schreibt über Sun Ra Ra von Tom Bogaert – und beginnt mit dem Outer Space und Sun Ra.

Sun Ra Ra im Oktober 2021 im bb15. Foto Tom Bogaert

„What I’m dealing with is so vast and great that it can’t be called the truth. It’s above the truth.“
Sun Ra

„Wie nunmehr, von der neuerlichen Flut noch schlammig, die Erde / Von dem ätherischen Strahl und den Gluten der Sonne gewärmt war, / Brachte sie Arten hervor …“, heißt es in Ovids Metamorphosen. Die Kernfusionen im Innersten dieses heißen, beständigen, hell brennenden Sterns Sonne verwandelt in jeder Sekunde vier Millionen Tonnen Materie in Energie. Sun ist eine Jägerin, aktive Substanz. Wer ihr zu nahe kommt, verliert alle Bodenhaftung. Im Sommer 1969, als die Welt gespannt auf den Flug von Apollo 11 wartete, fragte die Zeitschrift Esquire populäre Persönlichkeiten nach ihren Vorschlägen, hinsichtlich erster Worte nach der Mondlandung, und Sun Ra, damals auf dem Höhepunkt seines Ruhms, antwortete: „Reality has touched against myth / Humanity can move to achieve the impossible / Because when you’ve achieved one impossible the others / Come together to be with their brother, the first impossible / Borrowed from the rim of the myth / Happy Space Age To You …“

„The Vodou Man“ Sun Ra (1914–1993) revolutionierte den Jazz und übt bis heute Einfluss auf eine Vielzahl von Künstlerkolleg*innen aus. 1952 legte er seinen Geburtsnamen Herman Poole Blount ab, nahm den Namen Sun Ra an, der auf den antiken ägyptischen Sonnengott verweist und war Teil einer Band mit ständig wechselnder Besetzung. Diese wurde als „Arkestra“ bekannt – eine Verbindung von Arché und Orchester – und wird seit 1995 von Marshall Allen geleitet. Seit 1969 beschäftigte sich Sun Ra intensiv mit den Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung, die Synthesizer boten. Er lieh sich von Robert Moog einen Minimoog, der erstmals auf den Alben „My Brother the Wind“ (1970) und „Space Probe“ (1974) eingesetzt wurde. Er war einer der produktivsten Musiker des Jazz. Im Laufe seiner Karriere nahm er hunderte Alben auf, von denen viele von winzigen Plattenfirmen veröffentlicht und daher nur in kleinen Auflagen vertrieben wurden. Er veröffentlichte seine Musik zeitweilig (für die damalige Zeit außergewöhnlich) auf seinem eigenen Plattenlabel Saturn und vertrieb sie über den Versandhandel. So blieb Sun Ras Musik dem großen Publikum, das ihn nicht auf Konzerten erleben konnte, unbekannt. In den 1990er-Jahren wurden viele seiner Aufnahmen zum ersten Mal postum auf CDs beim Plattenlabel Evidence veröffentlicht. „Strange Strings“ (1966), eines seiner frühen Alben, wurde 1998 in die Liste „100 Records That Set the World on Fire (While No One Was Listening)” der Zeitschrift The Wire aufgenommen.

Tom Bogaert (1966 in Brügge, Belgien, geboren), eine Hälfte des haitianisch-belgischen Künstlerduos Lafleur & Bogaert, arbeitet seit geraumer Zeit an und mit dem Phänomen Sun Ra. Bogaerts Werke gründen oftmals auf einer aktivistischen Geisteshaltung, was die beiden Künstler zu verbinden scheint. Er praktiziert Kunst mit einem Bewusstsein für den politischen Rahmen, dem sie entspringt. Seit 2016 vergibt das afo architekturforum oberösterreich Residencies an Architekt*innen und Künstler*innen, die sich mit den Themen Raum, Architektur und Stadt auseinandersetzen und lud 2021 Bogaert nach Linz ein. Mit „Ruining the City“ installierte er im Zuge dessen eine Arbeit aus Agar-Agar über dem Bronzemodell am Schlossberg, das Linz um 1800 zeigt. Die Masse war sowohl Nahrung als auch Habitat für eine Ameisenkolonie, die nach und nach ihren gesamten Lebenszyklus um die Skulptur organisierte und sie in einem natürlichen Verfallsprozess wieder zum Verschwinden brachte. Inspiriert von Überlegungen des Architekten und Theoretikers Eyal Weizman zu Analogien zwischen tierischen Befallsformationen und urbanen Kampfstrategien, beschränkte sich Bogaert nicht auf die physisch sichtbare Stadtrealität, sondern thematisierte eine zweite, „archäofuturistische“ Stadt, wie sie sich aus der Vorstellung ihrer Bewohner*innen materialisiert.

Im Anschluss an seinen Aufenthalt installierte Bogaert sein laufendes Forschungsprojekt „Sun Ra Ra“ im bb15, zu Leben und Werk des Afrofuturisten Sun Ra. Bogaert war und ist inspiriert von der apokryphen Geschichte des legendären afroamerikanischen Jazzpioniers und Mystikers Sun Ra, der behauptete, nicht von der Erde, sondern vom Planeten Saturn zu stammen. Darin fanden die Besucher*innen die Ästhetik Sun Ras auf den Raum und dessen Exzentrik auf die Musik – der vor dem Lichte existierenden – angewandt. Es glitzerte und knisterte in Bogaerts nicht sequentieller interkonnektiven Klangarbeit in drei Teilen, die aus bisher unveröffentlichten Aufnahmen des traditionellen haitianischen Rara-Songs „Fize Nimewo Nèf“, Sun Ras „Rocket Number Nine“ und „Rakete Nummer Neun“, einem neuen Track der in Wien lebenden Klangkünstlerin Masha Dabelka, besteht. Ebenfalls zu sehen war „The Sun Ra in Haiti Library“ – eine Sammlung von Musik, Videos und gedruckten Bildern, die der Untersuchung des Erbes von Sun Ra in Haiti dient, mit der Bogaert bereits 2015 anlässlich der 4. Ghetto Biennale begann.

Bei der Erzählung von Sun Ra in Haiti, auf die sich seine Library stützt, dürfte es sich (auch) um einen Mythos handeln, der einen weiteren interessanten Aspekt zwischen realer oder imaginierter Präsenz von Sun Ra darstellt. So heißt es in einer alten Ausgabe des Lonely Planet, auf die Bogaert stieß, als er sich gerade mit dem Besuch Sun Ras in Ägypten in den frühen 1970er-Jahren beschäftigte: „There are a few stories that you might hear in Port-au-Prince: that Sun Ra lived here on and off for a few years in the 1960s. That he owned a Gingerbread house that you now can stay in, or maybe it’s a restaurant you can eat at. He stayed in quite a few other places. He stayed in a campervan, or perhaps, a tent. He tried to buy Hôtel Oloffson. He composed ‘Rocket Number Nine Take off for the Planet Venus’ in Port-au-Prince. He signed a photo of himself that now graces the walls of a local restaurant. He wanted to adopt a Haitian boy. He sired various children. He shared a room with Graham Greene.“ Was Bogaert dann auf den Straßen hörte, ließ ihn glauben, dass dies wahr sein könnte. Zudem fand er heraus, dass die Wurzeln dieses legendären Stücks Musikgeschichte in dem traditionellen Rara-Song „Fize Nimewo Nèf“ zu finden sind. Ra-Ra ist eine Art von Festivalmusik aus Haiti, die hauptsächlich während der österlichen Karwoche bei Straßenumzügen gespielt wird. Dabei kommen zylindrische Bambus- oder Me­talltrompeten (vaccine) zum Einsatz, die oft aus Kaffeedosen recycelt werden. Zudem werden Trommeln, Maracas, Güiras, Güiros und Metallglocken verwendet. Mit den vaccines werden wiederholende Rhythmen gespielt, die dazu auch mit einem Stock gestrichen werden, während in sie hinein geblasen wird. Bei aktuelleren Umzügen werden auch konventionelle Trompeten und Saxophone verwendet. Der Musikstil basiert zu einem großen Teil auf der Kultur der afrikanischen Einwanderer, beinhaltet aber euch Elemente der Taíno-In­dia­ne­r*innen, wie die Verwendung der Güiros und Maracas. Rara-Lieder werden ausschließlich in Haitianisch aufgeführt und zelebrieren die afrikanischen Wurzeln der Afro-Haitia­ne­r*innen. Während der Prozession wird häufig Voodoo praktiziert. Die Texte behandeln oft soziale Themen wie politische Unterdrückung und Armut.

Bogaert lud die Band Kod Kreyòl ein, Sun Ras „Rocket Number Nine Take off for the Planet Venus“, das 1966 auf Sun Ras eigenem Plattenlabel veröffentlicht wurde, (neu) zu interpretieren. Auf einem Konzert, das 2015 in der Innenstadt von Port-au-Prince stattfand, performte die Band „Fize Nimewo Nèf“ gemeinsam mit Masha Dabelkas „Rakete Nummer Neun“. „Here comes the sun do, do, do / Here comes the sun“ und erhält alles Leben auf der Erde, leuchtet uns, erwärmt den Boden, die Meere, die Atmosphäre, steuert das Klima, bringt Trockenperioden und Eiszeiten, treibt den Wind, der über die Erde weht und unser Wetter bestimmt. Ihre Stürme stören Radioverbindungen, verursachen elektrische Entladungen und markieren sogar die Baumringe mit Radioaktivität. „Here comes the sun do, do, do / Here comes the sun / And I say it’s all right.“

 

Referenzen: „When Sun Comes Out“ war die erste Platte auf Sun Ras Label Saturn, die in New York aufgenommen und 1963 veröffentlicht wurde; „Here Comes The Sun“ vom Album „Abbey Road“ (1969) der Beatles.

Die Ausstellung Sun Ra Ra war vom 10.–20. Oktober 2021 im bb15 – Raum für Gegenwartskunst zu sehen. Aktuelle Ausstellung im bb15: www.bb15.at

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About the author

hat Kunstgeschichte und Philosophie studiert, schreibt für diverse Medien und arbeitet transdisziplinär zu den Themen Raum, Körper und Text.

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