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Untersuchung der Wetterphänomene

By   /  5. März 2020  /  No Comments

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Die diesjährige Ausgabe von AMRO „Art Meets Radical Openness“ steht unter dem Titel „Of Whirlpools and Tornadoes“. Dieser Textpreview zum AMRO-Festival im Mai behandelt das komplexe Zusammenspiel digitaler Infrastrukturen mit unserer Umwelt und fragt, wie Daten auf unseren Planeten einwirken – und somit auch auf das Wetter. Christina Gruber schreibt über fünf meteorologischen Grundgrößen und einige irdische Implikationen unseres digitalen Konsums.

10. Februar 2020. Die neue ESA-Sonde „Solar Orbiter“ ist von den Sümpfen Floridas in Richtung Sonne gestartet. Die Mission soll neue Erkenntnisse zu unserem rund 150 Millionen Kilometer weit entfernten Heimatstern liefern.1

Anlässlich des Starts dieser Weltraum-Mission wagen wir einen tieferen Blick auf die Beziehung zwischen digitalen Daten und dem Wetter. Könnten aktuelle Wetterextreme mit unseren Online-Aktivitäten zusammenhängen? Anhand von fünf meteorologischen Grundgrößen werden Umwelten, digital und analog, miteinander verbunden und könnten so das Milieu für neue künstlerische und aktivistische Praktiken bereitstellen.

Globalstrahlung
Unter Globalstrahlung versteht man die gesamte an der Erdoberfläche auftreffende Solarstrahlung. Die Intensität ist stark schwankend durch Bewölkung und atmosphärische Trübungen. Aktuell werden für die Rechenleistung unserer Computer und deren Infrastrukturen immer größere Mengen an Ressourcen aller Art benötigt. Diese dienen unter anderem dazu das Wetter vorherzusagen.2
Besteht vielleicht eine noch stärkere Verbindung zwischen den Ökosystemen als bisher angenommen? Erste Darstellungen dieser zusammenhängenden Systeme erinnern stark an technische Schaltpläne und könnten auf die enge Verbindung zwischen technologischen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf unsere Umwelt gelesen werden (siehe Abb., Ecosystem Model, Howard Odum, 1960).3
Globalstrahlung bedeutet aber auch, dass virtuelle und natürliche Umwelten physikalisch miteinander verbunden sind: Je mehr Daten wir digital erzeugen und in Datenzentren zwischenlagern, desto mehr beeinflussen wir unser Klima. Der vermeintlich schwerelose Cyberspace benötigt neben Brennstoffen zur Kühlung der Server auch Unmengen an Wasser und beeinflusst daher den Wasserkreislauf und unser Wetter.

Luftdruck
Datenzentren tragen neben vermehrter Wolkenproduktion auch zu Veränderungen in der Artenzusammensetzung bei. So werden immer häufiger die Klimaanlagen der Datenzentren mit Wasser gekühlt. Dafür wird Wasser aus angrenzenden Flüssen entnommen und im Schnitt zwischen 6–8 Grad Celsius wärmer wieder eingeleitet. Diese punktuellen Wärmepole stellen mikroklimatische Veränderungen dar, die von wärmeliebenden Fischen und Fischern gleichermaßen genutzt werden. In Österreich sind dies häufig keine „heimischen“ Arten, sondern sogenannte „Aliens“. Aber sind es nicht auch wir, die aufgrund unseres exzessiven Streamingverhaltens das Klima verändern und somit neue Bedingungen schaffen? Der Druck steigt. Neben vermeintlichen Aliens wird maschinelles Lernen häufig als Bedrohung für den Menschen dargestellt. Vielmehr ist es aber der ökologische Fußabdruck, der erschaudern lässt. Immer öfter wird maschinelles Lernen eingesetzt, um rasche Forschungsergebnisse erzielen zu können. Dieser „fast-research“ hat aber Langzeitfolgen.4 Das Training komplexer neuraler Netzwerke stößt so viel Kohlenstoffdioxid aus wie fünf Autos während ihrer gesamten Lebensdauer, inklusive Herstellung.5 Gleiches gilt für die Cloud, deren immaterielle Leichtigkeit massive physikalische, technische und politische Abdrücke hinterlässt. Maschinen haben bis jetzt unsere Produktivität aber nicht wie erwartet erhöht, sondern die Energieaufwendungen nur umverteilt.6

Windrichtung
Daten werden als die neuen Beschleunigungsteilchen von quasi allem gepriesen. Ohne sie sind wir nichts. Es stimmt schon, dass Dinge, die nicht aufgezeichnet werden, auch nicht wieder abrufbar sind. Aber wieso besteht in einer Zeit der scheinbar vollkommenen „Erleuchtung“ ein so starkes Verlangen nach Mystifizierung? Warum boomen gerade jetzt Meditations-, Naturerfahrungs-, Selbstheilungs- und Entschleunigungsworkshops? Möglicherweise liegt in der präzisen Unschärfe die Faszination und Anziehung. Ist alles klar und absehbar, schwindet das Interesse. Trotz aller Überwachungs- und Messeinheiten, die auf unser Wohlbefinden abzielen, erreichen sie das Gegenteil. Wir fühlen uns wie Verfolgte in der ewigen Verfügbarkeit und sind konstant gestresst. Wenn jegliches Risiko durch ein Modell abgeschätzt werden kann, warum es dann noch überhaupt versuchen?

Survival of the fittest. Wir scheinen eine Spezies zu sein, die es liebt, Dinge zu messen. Dies wird nun aber von Firmen ausgenutzt, denen wir etwa bereitwillig unseren Standort bekannt geben, um an unserer Fitness zu arbeiten. Was im Hintergrund passiert, bleibt aber meist verborgen. Das digitale Datentracking verbraucht nicht nur meine Kalorien, sondern auch Ressourcen, ArbeitnehmerInnen und unser Ökosystem.

Niederschlag
Aktuelle Berichte rund um die Einführung des neuen 5G-Netzes befürchten, dass die Funkfrequenzen von 5G mit meteorologischen Erdbeobachtungen kollidieren könnten.7 Jordan Gerth, ein Meteorologe der Universität von Wisconsin-Madison, bezeichnet es als ein globales Problem, da manche der für 5G versteigerten drahtlosen Funkfrequenzen nahe an denen liegen, die Satelliten zum Beispiel zur Messung von Wasserdampf und damit zur Wettervorhersage nutzen. Genaue Vorhersagen werden schwieriger und könnten sogar den Flugverkehr beeinträchtigen.

Taupunkt
„CO2 makes us numb“8. Ein weiterer Aspekt neben dem Abschmelzen der Polkappen, neben steigenden Meeresspiegeln und massiven Artensterben durch ansteigende Kohlendioxidwerte ist, dass unser Denken beeinflusst wird. CO2, Hauptakteur im Klimawandel, ist nicht nur eine Gefahr für die Erde und andere Lebewesen, sondern auch für unseren Verstand. Messungen in vollklimatisierten Räumen, wie sie aufgrund steigender Temperaturen immer häufiger werden, zeigen erschreckend hohe Kohlenstoffdioxidwerte, die es uns erschweren, unseren Verstand kreativ zu nutzen und somit auch die eine oder andere so dringend benötigte innovative Idee zu entwickeln. Unsere Aufnahmefähigkeit verschlechtert sich.9 Für das Jahr 2100 wird eine CO2-Konzentration in der At­mosphäre von 1000 ppm bis 2100 vorhergesagt. Ab 1000 ppm sinken die kognitiven Fähigkeiten des Menschen um 21%.10

Und jetzt der Wetterausblick für morgen
Wir befinden uns alle in derselben Pfütze. Angelehnt ist dieser Satz an die Aussagen Donna Haraways, die darauf abzielen, dass wir beginnen müssen, unsere nicht-menschlichen WeggefährtInnen ernster zu nehmen, solange wir es noch können, um gemeinsam an neuen Strategien zu arbeiten. Eine Möglichkeit dafür ist die diesjährige Ausgabe des AMRO-Festivals (Art Meets Radical Openness) unter dem Titel: „Of Whirlpools and Tornadoes.“

 

1 Sonde erfolgreich zur Sonne gestartet. Stand: 10. 02. 2020. www.tagesschau.de/ausland/solar-orbiter-109.html

2 Gabrys, Jennifer. Powering the Digital: From Energy Ecologies to Electronic Environmen­talism. Media and the Ecological Crisis. New York and London: Routledge, 2014, 3–18. 3 Allen, Jamie; Sobecka Karolina. Double Counting: The Odum Oration. Berlin, 31. 01. 2020, transmediale Festival.

4 Vlastelica Pgancic, Marin. The Carbon Footprint of AI Research. Towards Data Science. Oct 2019.
towardsdatascience.com/the-carbon-footprint-of-ai-research-812d9c974a5c

5 Hao, Karen.Training a single AI model can emit as much carbon as five cars in their lifetimes June 9 2019. MIT Technology Review. www.technologyreview.com/s/613630/training-a-single-ai-model-can-emit-as-much-carbon-as-five-cars-in-their-lifetimes

6 Curtis, Adam. All Watched Over By Machines of Loving Grace, BBC

7 Witze, Alexandra. 5G data networks threaten forecasts. Vol. 569, 2 May 2019. Springer: Nature.

8 Bridle, James. Air pollution rots our brains. Is that why we don’t do anything about it? 24 Sept 2018, The Guardian: www.theguardian.com/commentisfree/2018/sep/24/air-pollution-cognitive-improvement-environment

9 Is CO2 an indoor pollutant? Direct effects of low-to-moderate CO2 concentrations on human decision-making performance. Sathish U, et al. Environ Health Perspect. 2012 Dec; 120(12).
www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23008272

10 Associations of Cognitive Function Scorers with Carbon Dioxide Ventilation, and Volatile Organic Compound Exposures in Office Workers: A Controlled Exposure Study of Green and Conventional Office Environments. Alle JG et al. Environ Health Perspect. 2016 June; 124(6): www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26502459

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About the author

ist Künstlerin und Gewässer­ökologin. Sie hat 2019 am Research-Lab von servus.at teilgenommen.

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