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Über den weltver­kommenen Sonka

By   /  5. März 2020  /  No Comments

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Die Referentin bringt seit mehreren Heften eine Serie von Porträts über frühe Anarchist_innen und den Anarchismus als eine der ersten sozialen Bewegungen überhaupt. Peter Haumer schreibt in dieser Ausgabe über Hugo Sonnenschein – seines Zeichens „Judenjunge, Slowakenkind, Kulturbastard“.

Hugo Sonnenschein alias Sonka – skizziert von Egon Schiele. Bild Egon Schiele (gemeinfrei)

Wer dir von Pflicht der Arbeit spricht dem speie ins Gesicht! Stiehl! Du! – Bettel nicht.1

Der deutschsprachige expressionistische Dichter Hugo Sonnenschein (1889–1953), der in der Literaturgeschichte auch unter seinem Pseudonym „Sonka“ bekannt ist, dieser anarchistische Abenteurer und spätere Parteikommunist bis zu seinem Ausschluss 1927, stammte aus Kyjov in der Nähe von Brünn. Anhand seiner Bücher können wir das Leben des Landstreichers „Sonka“ nachvollziehen: Wie er auszog als trotziger verträumter Anarchist, „Judenjunge, Slowakenkind, Kulturbastard“; einer, der dürftige, aber zähe Familienbande zerriss, um der wilden, schaurigen Luft der Vagabondage willen. Die Heimat aller Heimatlosen, die Straße, die heiße, staubige Straße des „Packs“, das dumpf zur Arbeit geht, die freie Straße des Vogelfreien, die böse Straße, an deren Rand erschöpfte Bettler sinken, gerade jene Straße, die zu meiden der damalige literarische gute Ton befahl – sie wurde zur Heldin seiner revolutionären Vagabundenlyrik. In seinen Gedichten treten Einzelgänger, Rebellen, Vagabunden, Narren, Juden und Sexarbeiterinnen auf. Gott handelt als Anarchist und Jesus ist ein Vagabund wie er selbst einer war. Die Straße führte Hugo Sonnenschein aus dem slowakischen Ghetto, vorbei an Fabriken, Schmieden, Jahrmarktsbuden und vermittelt ihm die bösen, verbotenen Lieder der Lohnsklaven, der Bettler, der Lumpen und Sexarbeiterinnen. Er vernahm das Lied der Entrechteten, das aus Hammerschlägen und Sirenengeheul und aus Bettlerflüchen klingt und vernahm, dass die Zeit reif sei, sich zu wenden, dass in die geballten Fäuste der Empörten die Waffe der Revolution gehöre!
Aber nicht die soziale Revolution wurde Wirklichkeit, sondern 1914 ist der 1. Weltkrieg vom Zaun gebrochen worden. Über die von „Sonka“ geliebten Landstraßen zogen nun endlose Soldatenkolonnen, bis an die Zähne bewaffnet. Sie haben es nicht für ihre Rechte und ihre Zukunft getan, sondern waren vielmehr Kanonenfutter imperialistischer Barbarei und sind – unter ihnen auch der k. k. Infanterist Hugo Sonnenschein – nach den Fronten gekrochen. Unsäglich Scheußliches musste geschehen und endloses Leid sich erfüllen, ehe die irregeführten Massen wieder ihre Stimme erheben konnten gegen ihre Peiniger: jetzt aber sind es Millionen und Abermillionen Stimmen, organisiert in Arbeiter- und Soldatenräten. „Sonka“ war nun kein einsamer Landstreicher mehr auf seinen Straßen, kein eigenbrötlerischer Rebell. Er erkannte das vermeintliche Gebot des geschichtlichen Augenblicks. Aus dem anarchistischen Schwärmer war ein halbwegs disziplinierter, seiner proletarischen Klasse dienen wollender Kommunist geworden, dessen Lebensbild ein Aufruf war zur menschheitsbefreienden Tat, zur Weltrevolution. „Sonka“, der sich zum proletarischen Dichter entwickelt hatte, versuchte in diesem Kampf voranzugehen.
Hugo Sonnenschein lebte in Wien von 1907 bis zu seiner Ausweisung nach den Februarkämpfen 1934, danach in der Tschechoslowakei. Er wollte die Welt verändern, kämpfte für die soziale Revolution und gegen den aufkommenden Nationalsozialismus und überlebte dabei selbst Auschwitz, wo aber seine Frau ermordet worden war. Sein Leben ist eine schwindelerregende Folge von Abenteuern, Liebe, Politik und Kunst. „Sonka“ war gern an Orten, an denen außergewöhnliche Ereignisse stattfanden: Streiks, Aufstände und Revolutionen. Er agitierte gegen die stalinistischen Schauprozesse in Moskau und war viele Male selbst im Gefängnis. Er traf, vagabundierend durch halb Europa, Mussolini, Hitler, Lenin, Kropotkin und Goebbels, korrespondierte mit Leo Trotzki und diskutierte mit ihm im Cafe Central in der Wiener Innenstadt. Egon Schiele und F. H. Harta2 machten eindrucksvolle expressionistische Skizzen von ihm und er hatte viele Freunde und Bekannte unter tschechischen Künstlern: Březina, Deml, Šrámek, Neumann, Olbracht. Hugo Sonnenschein, der jüdische Dichter und Abenteurer, hatte es geschafft, mit seinen Ideen die herrschenden Ideologien herauszufordern. Er starb eines natürlichen Todes, wenn auch in einer Zelle des Gefängnisses von Mirov in Tschechien – wo er doch gerade nach Auschwitz solch eine Sehnsucht hatte in Freiheit zu sterben.
Im März 1945 schrieb „Sonka“: „Am 7. Jänner 1945[?]3 um 2 Uhr 27 Minuten nachmittags kam eine sowjetische Vorpatrouille ins Lager Oswiecim [dt.: Auschwitz], das ich nicht mit den Häftlingstransporten verlassen hatte. Drei weiße Gestalten kamen, die mir in ihren langen Schneemänteln herrlich, wie die Erzengel der Freiheit erschienen: die ersten drei Soldaten des großen Befreiers. Wir hatten keine Worte. Wir reichten ihnen die Hände und weinten.“4
Die Rote Armee befreite vor 75 Jahren die wenigen Überlebenden des nationalsozialistischen Mordlagers Auschwitz – unter ihnen Hugo Sonnenschein. Er lebte und wunderte sich. Er war frei – und staunte. Da schrieb er das Wenige auf, das er aus der Zeit jenseits des Lebens aus jener Welt der Träume im Gedächtnis behalten hatte. Das Ergebnis waren seine „Schritte des Todes, Traumgedichte aus Auschwitz“ – Verse, die nicht gedichtet, nicht erdacht und nicht geschrieben, die erträumt worden sind. „Als ich sie in einer Art Dämmerzustand vernahm, befand ich mich in den blutigen Klauen der SS, SD und Gestapo, in ihren Gefängnissen und Konzentrationslagern. Ich war in ständiger Gefahr getötet zu werden. Täglich wurden Hunderte aus unseren Reihen hingemordet. Man kommandierte uns, die blutigen Leiber der Kameraden auf unseren Schultern zu den Verbrennungsgruben und Krematorien zu tragen. Nachts hörten wir oft in den Zellen die Köpfe der Gefährten, die vorher noch das Lager mit uns geteilt haben, in die Kiste fallen. Oder bellende Salven, die sie hinstreckten, weckten uns aus dem Schlaf. Jeden Augenblick konnte ich selbst abgeholt werden und zum Galgen gebracht werden. Ich träumte Gedichte. Sie blieben ungeschrieben. Eine Notiz hätte das Leben kosten können.“5 Ein paar Monate nach seiner Befreiung hatte Hugo Sonnenschein sie bereits im März 1945 zu Papier gebracht und – es waren Gedichte, angesichts deren tiefer Innerlichkeit und verbissenen Kraft jede ästhetische Kritik abzudanken hätte, wie Karl-Markus Gauß6 befand. Doch schon bald wurde Hugo Sonnenschein erneut inhaftiert, diesmal aber auf Weisung von der eigenen Regierung. Verantwortlich für die Verhaftung war der damalige Innenminister der Tschechoslowakei und Stalinist Vaclav Nosek, der „Sonka“ absurderweise eine Kollaboration mit der Gestapo zum Vorwurf machte. Der ehemalige Bergarbeiter Nosek war ein alter Bekannter von Sonnenschein. Beide waren Gründungsmitglieder der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Im Gegensatz zu Nosek, der ein strammer Stalinist geworden war, wurde Sonnenschein jedoch ein Antistalinist, der es unter anderem auch gewagt hatte, Leo Trotzki in den Moskauer Schauprozessen 1936 zu verteidigen. Vaclav Nosek, der sich auch das Ziel gesetzt hatte, Oppositionelle aus den eigenen Reihen zu eliminieren, wurde schnell wieder auf Hugo Sonnenschein aufmerksam. Dieser musste mundtot gemacht und aus dem Verkehr gezogen werden. Obwohl kein einziger Anklagepunkt nachgewiesen werden konn­te, wurde Hugo Sonnenschein mit Wirkung vom 28. April 1947 zu zwanzig Jahren schweren Kerkers in der Haftanstalt Mirov verurteilt. Er stirbt schließlich nach acht Jahren Kerkerhaft an einem von Tuberkulose ausgelösten Gehirnschlag. In einem seiner letzten Gedichte „Auschwitzer Testament“ resümiert er sein Leben:

Mein Leben war nichts als Furcht vor dem Tod,
der mir gefolgt war bis tief in die Träume,
mein Leben: die Chance, die sich mir bot,
damit ich sie sicher und glücklich versäume.

Ein ruhlos Beginnen, doch nur ein Beginnen
und kein Beenden und nie ein Vollenden.
So geh ich von hinnen,
Ohnmacht in Händen.

Ich hab nichts zu vererben
als Schäume und Schein.

Mein Leben war ein stetes Sterben –
das Sein wird Sinn des Todes sein.7

Hugo „Sonka“ Sonnenschein, nach eigener Definition „Judenjunge, Slowakenkind und Kulturbastard“, wartet noch immer auf seine Rehabilitation. Das Schandurteil von 1947 ist nie aufgehoben worden!

 

1 Hugo Sonnenschein, Ichgott, Massenrausch und Ohnmacht, Utopia des Herostrat, Verlag Utopia, Paris/Wien, 1910, S. 122, „Gebot“.

2 Harta, Felix Albrecht (1884–1967), österreichischer Maler und Graphiker, lebte in Wien.

3 Seit dem 27. Januar 1945 ist Auschwitz-Birkenau befreit. Militärärzte und Sanitäter der Roten Armee, unterstützt von Freiwilligen des polnischen Roten Kreuzes, und ehemalige Häftlinge, die im Auschwitzer Krankenrevier arbeiteten, bemühten sich, die Überlebenden – 7500 Menschen – zu versorgen.

4 Hugo Sonnenschein Sonka: Schritte des Todes, Traumgedichte aus Auschwitz; Edition Wilde Mischung, Band 6, S. 2.

5 Ebd., S. 1.

6 Karl-Markus Gauß, Der „weltverkommene Bruder Sonka“. Leben und Werk des Dichters Hugo Sonnenschein. In: Österreich in Geschichte und Literatur, 28 Jg., Heft 4, 1984, S. 262.

7 Hugo Sonnenschein Sonka: Schritte des Todes, Traumgedichte aus Auschwitz; Edition Wilde Mischung, Band 6, S. 9.

Ein Fest für Hugo Sonnenschein.
Eine Revue von Papiertheater Zunder featuring Laut Fragen
Das Papiertheater Zunder featuring Laut Fragen hat zu Hugo Sonnenschein aktuell ein Programm gestaltet: Die musikalische Revue bewegt sich zwischen Leseperformance und Puppentheater. Im Rahmen eines turbulenten, szenischen Festaktes wird der jüdisch-mährische Schriftsteller, Vagabund und Revolutionär Hugo Sonnenschein geehrt und dieser wird sich noch einmal kräftig zu Wort melden.

Institut für Anarchismusforschung: anarchismusforschung.org

Die Serie in der Referentin ist auf Anregung von Andreas Gautsch bzw. der Gruppe Anarchismusforschung entstanden.

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About the author

lebt in Wien-Floridsdorf, ist Mitglied des Papiertheaterkollektivs Zunder und des Instituts für Anarchismusforschung. Siehe auch anarchismusforschung.org

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