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Mehr als hundert Einzelfälle …

By   /  1. September 2018  /  No Comments

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Sie sehen Flüchtlinge als Menschenmaterial, drohen politischen Gegnern mit Zwangsarbeit auf dem „Kartoffelacker“ und empfinden die Bezeichnung Nazi als Ehre. Silvana Steinbacher stellt im Interview mit Willi Mernyi eine Broschüre des Mauthausen Komitees vor. Aufgelistet sind darin rechtsradikale, öffentlich geäußerte Attacken, die eines verbindet: Sie stammen ausschließlich von FPÖ-Politikern.

Eine Art Heimathirte. Foto Die Referentin

Eine Art Heimathirte. Foto Die Referentin

68 rechtsextreme Fälle innerhalb von mehr als vier Jahren ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Unter dem Titel „Lauter Einzelfälle? – Die FPÖ und der Rechtsradikalismus“ hat das Mauthausen Komitee über viereinhalb Jahre Schmähungen, Untergriffe und Drohungen von FPÖ-Politikern quer durch die Hierarchien dokumentiert – bis zum Oktober 2017. Zwei Monate später wurde die FPÖ Regierungspartner. Jetzt hat das Mauthausen Komitee die „Einzelfälle“, die seitens der FPÖ immer als solche deklariert wurden und werden, aktualisiert. Die Attacken wurden allerdings weder seltener noch gedämpfter, stellt Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen Komitees fest. 14 neue Fälle zeigen antisemitische Bezüge, 15 nationalsozialistische oder neonazistische, 19 sind verbale Angriffe auf Flüchtlinge und Minderheiten. Bedrohlich mutet auch die Tatsache an, dass acht der aufgelisteten verbalen Angriffe von Mitgliedern der Parteispitze stammen, vier weitere von engen Mitarbeitern einiger FPÖ-Minister.
Mernyi: Das hat die Auswirkung, dass genauso, wie Sie es in dieser Dokumentation vorfinden, auch die österreichische Regierung agiert. Das sind Spitzenpolitiker und nicht der siebte Zwerg von hinten oder der stellvertretende Gemeinderat in einem kleinen Dorf. Das ist natürlich bedrohlich. Der Vizeparteichef von Wien, der Herr Gudenus hat gesagt, wenn wir an der Macht sind, kommt der Knüppel aus dem Sack. Diese Sprache muss man sich erst einmal vorstellen: der Knüppel aus dem Sack. Doch das gehört bei dieser Partei dazu. Das Androhen von Gewalt ist Teil der FPÖ.

Herr Mernyi, bei dieser Dokumentation fällt auf, dass sich die Verbalttacken und Unwahrheiten vor allem an jene richten, die sich nicht oder kaum wehren können, also an Schwache, Minderheiten, Migrantinnen und Migranten. Wie sind Sie bei dieser Dokumentation vorgegangen?
Die Dokumentation ist eine Sammlung von bekannten, nachvollziehbaren Einzelfällen. Diese Fälle haben wir nicht aufgedeckt, sondern nur dokumentiert. Jeden Fall, den wir erfasst haben, hat die FPÖ gekannt, jeder Fall ist in den Medien gestanden.

Innerhalb der rassistischen Untergriffe wurden neben Beschimpfungen der Flüchtlinge auch antisemitische Attacken dokumentiert, wie jene des FPÖ-Nationalratsabgeordneten Johannes Hübner, der sich öffentlich in antisemitischer Weise über Hans Kelsen, den Architekten der österreichischen Bundesverfassung geäußert hat. Vor einigen Monaten hat Bundeskanzler Sebastian Kurz die Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besucht, aber zu den antisemitischen Aussagen von einzelnen Mitgliedern seines Koalitionspartners schweigt die ÖVP. Wie sehen Sie deren Haltung?
Ich bemerke das große Schweigen, es wird ausgewichen, ich finde aber Politik sollte nicht von Sonntagsreden, sondern von Montagshandlungen bestimmt sein. Es hilft niemandem, mit einem betroffenen Gesicht durch die Gedenkstätte Yad Vashem zu gehen und im eigenen Land zu antisemitischen Vorfällen zu schweigen, so würde ich den Unterschied zwischen der Sonntagsrede und der Montagshandlung sehen.
Doch der Hauptfeind der FPÖ sind nicht die Juden, sondern die Moslems und somit versuchen sie sich mehrheitlich im Kampf gegen die Moslems mit den Jüdinnen und Juden zu verbrüdern. Ein FPÖ-Funktionär hat es einmal in einer Diskussion mit mir so ausgedrückt: Ein normaler Jugendlicher hat ja mit einem Juden keinen Kontakt, aber mit einem Türken schon, also müssen wir dieses Feindbild bedienen. Das ist doch eh klar.

Wieso folgen keine Sanktionen?
Wenn man diese Menschen in die Regierung holt, ist man auch gezwungen, dazu zu schweigen. Würde die ÖVP die Attacken der FPÖ vehement und lautstark verurteilen, wäre die logische und berechtigte Frage: Warum haben sie dann eine Regierung mit denen gebildet?

Man könnte den Eindruck gewinnen, die FPÖ spekuliere mit der Vergesslichkeit ihrer Wählerinnen und Wähler. Als Beispiel möchte ich Udo Landbauer nennen, der vor einem Comeback in die Regierung stehen soll. (Anm.: ehemaliger Spitzenkandidat der FPÖ Niederösterreich. Infolge der NS-Liederbuchaffäre der Burschenschaft Germania legte er im Februar 2018 alle politischen Funktionen zurück.)
Ich glaube man spekuliert mit der Vergesslichkeit und dem typisch österreichischen „Schau ma mal, wird ja nicht so arg gewesen sein“. Beim Herrn Landbauer wurden Grenzen überschritten und ich lasse mich nicht gerne für dumm verkaufen. Mir ist ein aufrechter Rechter wie der Herr Mölzer lieber, der sagt, was er sich denkt, aber was ich überhaupt nicht leiden kann, ist, wenn mir jemand weismachen will: Wir haben ein Liederbuch, aber wir haben daraus nie gesungen. Jeder weiß, dass nach dem dritten Bier bei den Burschenschaften gesungen wird. Die haben ein Liederbuch gehabt, das war in Verwendung, aber gesungen haben sie nie. Also bitte, das kann ich nicht leiden, wenn jemand glaubt, die Leute sind blöd.

Sehen Sie derzeit Symptome einer Unterhöhlung der Demokratie?
Ich sehe Symptome einer Abstumpfung. Wissen Sie, wenn versucht wird, das Wort Gutmensch zum Schimpfwort umzufunktionieren, verstehe ich die Welt nicht mehr. Meine Eltern waren einfache Arbeiter. Sie haben immer versucht mich so zu erziehen, dass ich ein guter Mensch werde, dass ich grüße, in der Straßenbahn aufstehe, höflich bin. Das Ziel meiner Eltern bestand darin, dass ich ein guter Mensch bin. Dazu gehört auch, dass man anderen hilft, wenn sie es brauchen. Dafür bin ich meinen Eltern auch dankbar. Heute ist Gutmensch teils ein Schimpfwort.

Viele Anhänger der rechten Parteien fühlen sich von der intellektuellen Linken nicht ernstgenommen, sogar gedemütigt, da sich die Linken auf kein Gespräch auf Augenhöhe mit ihnen einließen, so ein oft gehörter Vorwurf. Wie sollte Ihrer Meinung nach ein Diskurs aussehen, und ist er überhaupt möglich? Diese Kritik verstehe ich und ich finde es auch vollkommen falsch, die Diskussion über die FPÖ mit Präpotenz zu führen. Wenn jemand einem FPÖ-Anhänger auf sein Posting genüsslich zurückschreibt, dass er einen Rechtschreibfehler gemacht hat, dann schreib ich dem zurück: Lass das sein! Wirf ihm doch nicht vor, dass er möglicherweise Hilfsarbeiter ist, nicht die entsprechende Bildung hatte. Was ist denn das für ein idiotischer Vorwurf von einem Linken? Mit Präpotenz kommt sicher kein Diskurs zustande.

Und es schafft weitere Aggressionen zwischen den Lagern.
Ja absolut. Ich war bei einer Diskussion, wo ein Politiker gesagt hat, ihr müsst doch sehen, was Europa für Vorteile bringt, er nannte unter anderem das Erasmus-Programm. Die Menschen, die aber dort im Publikum gesessen sind, haben nicht gewusst, was ein EU-Projekt, geschweige denn ein Erasmus-Programm ist, und schon gar nicht könnten es ihre Kinder jemals in Anspruch nehmen. Wie kommt denn das bei diesen Leuten an, die bei diesen Projekten nie eine Chance haben werden, aber wissen, dass sie das mit ihren Steuern alles finanzieren?

Die Infragestellung der seriösen Berichterstattung einiger Medien seitens der FPÖ ist nicht neu; neu hingegen ist die Drohung, die Kunst in ihrer Freiheit einzuschränken. Ich möchte an den Vorfall erinnern, der sich im Sommer ereignet hat, als die FPÖ Schwechat den dortigen Nestroyspielen drohte, sie würden deren Subventionen nicht mehr zustimmen, falls der Regisseur nicht bereit wäre, einige Zusatzstrophen, die der FPÖ missfielen, zu streichen. Empfinden Sie diese Vorgangsweise, die an Metternich erinnert, als ein bedenkliches Signal?
Ich bin mir nicht sicher. Die Anzeichen waren ja schon immer da. Der Herr Gudenus hat gesagt: „Knüppel aus dem Sack“, der Herr Hofer meinte: „Man wird sich noch wundern, was alles möglich ist.“ Ich verstehe nicht, warum wir uns jetzt wundern, sie haben es uns ja vorher angekündigt: Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns. So lautet das Mantra einer Führerpartei.
Also, wenn die Künstler meinen, sie kämen ungeschoren davon, dann werden sie sich irren. Es ist ja die typische Haltung dieser Partei: Wir sind an der Macht und zeigen es ihnen. Du schreibst nicht so, wie ich will, du spielst nicht so, wie ich will, also bist du weg. Das alles ist einer Demokratie unwürdig.

 

Die Dokumentation „Einzelfälle und Serientäter“ – Die FPÖ und der Rechtsradikalismus“ ist unter www.mkoe.at/rechtsextremismus/broschuere-einzelfaelle-und-serientaeter zu finden.
An der Erstellung der Dokumentation war auch das Antifa-Netzwerk beteiligt.

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About the author

ist Autorin und Journalistin.

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