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Mars Attacks

By   /  1. März 2018  /  No Comments

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Österreich fühlt sich grad manisch-depressiv an. Dieses Land gibt mir mehrmals täglich Gründe dafür entweder himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt zu sein. Da liegen oft nur wenige Stunden dazwischen. Einerseits hat das Jahr mit einigen ganz großartigen Begegnungen begonnen, bei denen sichtbar wurde, wie viele gescheite Frauen sich aktuell zusammentun und wie das geht und was sich ereignet, wenn sie sich zusammentun. Das gab und gibt nach wie vor so etwas wie Hoffnung oder – yeeeeah – Frühlingsstimmung. Und andererseits schlittert Österreich parallel dazu in eine der reaktionärsten, dunkelsten Phasen, mit einem Schlittenhund von Vizekanzler, der – nein, ich mag jetzt nicht aufzählen, was der in den letzten Woche gesagt, widerrufen, wieder gesagt und gegen wen er gehetzt hat – und einem Bundeskanzler, der einfach nicht in der Lage zu sein scheint, zu erkennen wie demokratiepolitisch gefährlich das alles ist. Der das Treiben der Rabauken nicht nur nicht mahnend kommentiert, sondern sich wie ein Kind benimmt, das sich die Hände vor die Augen hält und meint, die Welt verschwinde und – tataaa! – sei wieder da.

Möglicherweise müsste ihm das einfach jemand sagen: Ja, doch, das alles passiert wirklich um Sie herum, Herr Bundeskanzler, Strache sagt das tatsächlich und er meint das auch genau so, egal, wie oft er mit Hundeblick beteuert, dass alles nicht so gemeint war, und es ist an Ihnen, rassistische, antisemitische, europa- und demokratiefeindliche und all jene Äußerungen, die sich gegen die Freiheit der Presse richten zu kommentieren und aufs Schärfste zu verurteilen.

Möglicherweise aber sagt ihm das eh jemand und möglicherweise vergeblich, denn möglicherweise hat er einfach keinen blassen Schimmer, was mit Politikern, die verdrängen, passiert, wenn sie sich mit rücksichtslosen Extremen einlassen und auf deren kalmierende Versprechungen hereinfallen? Ich frage euch: Hat dieser Mann denn niemals Mars Attacks gesehen?

Wir erinnern uns: Mars Attacks – wer rettet die Erde da? Eine Oma mit ihrem Enkel und viel Volksmusik. Genau. Behaltet den Gedanken mal eine Weile. Kulturelle Hegemonie und so. Ich streichle meine Goldhaube schon ein Weilchen intensiver …

Wenn es nämlich nach einem FPÖ-Politiker aus Tirol geht, liegt unsere Chance ein Stück weit genau da: Markus Abwerzger (seine Fans auf Facebook muss man immer mal dran erinnern, dass er so und nicht Abzwerger heißt, und ja, ich bin tatsächlich so leicht zu unterhalten), meint nämlich zum Thema Kulturpolitik in einem Interview mit der Tageszeitung Der Standard, dass „feministische und queere Kunst“ keine öffentlichen Gelder mehr bekommen sollten, dafür aber wolle er „die Tradition und das gelebte Heimatbewusstsein in Tirol (…) fördern, weil es kulturstiftend ist und man damit die Masse erreicht.“ Gramsci schimmert nun also bis ins tiefste Tirol, und, nachdem ihn die deutsche Neue Rechte im Mund gehabt hat, darf auch der Tiroler Lokalpolitiker dran lutschen. Im Umkehrschluss bleibt bloß übrig, uns in Trachtenvereine einzuschleusen. Allerdings erweckte ich schon als Kind bei diversen Trachtenumzügen in meiner Herkunftsstadt trotz Goldhäubchen, Tracht und großem Bemühen um Mimikry offenkundig massives Misstrauen – lasst es uns dennoch ins Auge fassen.

Generell finde ich ja, dass wir viel mehr Chuzpe und vor allem Freude an Aneignung entwickeln könnten und dieses Spiel keinesfalls den Konservativen und Rechten überlassen sollten, sondern damit beginnen, mit großer Selbstverständlichkeit Dinge einzufordern: Frauenpolitikerinnen mit frauenpolitischem Bewusstsein etwa. Das Ende von all male Panels. Das Ende von Frauenverstehern und Mithelfern im Haushalt. Das Ende von Missbrauch. Das Ende des unlauteren Vermischens von Sexualität und Missbrauch. Und noch vielem mehr. Diskutiert und gefragt haben wir, unsere Mütter und unsere Großmütter immerhin lang genug. 2018 wird nicht mehr gefragt, 2018 wird nur noch gefordert. Das so strikt durchzuziehen, ist anstrengend und ich bin irre müde und nicht selten grantig. Weil es mich deprimiert, wenn ich sehe, dass wir seit Generationen auf verlorenem Posten antreten: gegen Dummheit, gegen Vereinfachung, gegen Gewalt. Und auch gegen Frauen, die sich stockholmsyndromartig nicht gegen die Vereinnahmung und Instrumentalisierung durch Männer zur Wehr setzen, weil sie meinen, sie würden dann ihre Sexualität, ihre Weiblichkeit etc. verlieren. Der Blick von außen ist bei manchen eben immer noch stärker und wird als notwendiger erachtet als das eigene (Selbst)Bewusstsein. Und gleichzeitig: wenn wir uns vergegenwärtigen, wie viele vor allem junge Frauen* in ganz unterschiedlichen Gruppierungen oder/und auch „nur“ für sich selbst aktuell klar und deutlich Stellung beziehen, keine Angst haben, dann ist das großartig. Längst hat eine neue Generation begonnen, zu hinterfragen in welcher Form – wenn überhaupt – von Beziehung sie leben wollen. Es ist die Zeit der Supernichten/neffen und Supersöhne/töchter angebrochen, die sich allesamt daran machen, ein sehr breit und offen angelegtes Bild von Gesellschaft zu entwickeln und zu leben und selbst wenn sie sich etwa auf ein eher klassisches Bild von Familie am Land eingelassen haben, mit großem Selbstbewusstsein ihre Mutter/Vaterrolle neu und vor allem selbst zu definieren. Wenn Frauen* die Forderungen anderer Frauen* unterstützen können, auch wenn diese nicht zu hundert Prozent den eigenen entsprechen, dann ist das zukunftsgewandt und demokratisch reif. Wenn junge Frauen* etwa im Kunstbereich (und überall anders) ein Gefühl dafür entwickeln, was ihre Arbeit wert ist und sie entsprechende Honorare fordern, dann ist das notwendig und richtig. Und wenn sich Frauen* über Partei- und Ideologiegrenzen hinweg endlich zusammentun und ein Frauen*volksbegehren auf die Beine stellen können, dann gibt das Hoffnung, so pathetisch sich das nun auch anhören mag.

Und jetzt geht hin, zieht eure Lederhosen an, lernt Jodeln, schnappt eure Omas und gründet queer/feministische Trachtengruppen! Wer von uns kann schon sagen, ob es nicht morgen bereits notwendig sein wird, gegen die Marsians mit Jodelklängen zu Felde zu ziehen.

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  • Published: 6 Jahren ago on 1. März 2018
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  • Last Modified: Februar 27, 2018 @ 11:22 pm
  • Filed Under: Kolumnen

About the author

wiltrud katherina hackl forscht zu und schreibt über konstruktionen von weiblichkeit und wasser und ist aktuell als universitätsassistentin an der kunstuni linz tätig, wo sie u.a. zu flüssen als orte der erinnerung lehrt. für ihr projekt „die flüssin“ sammelt sie geschichten von und mit flüssen. wiltrudhackl.com

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