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Malen nach Zahlen

By   /  3. Dezember 2020  /  No Comments

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Seit 1. Oktober dieses Jahres gibt es die erste und einzige Professur für Critical Data an der Kunstuniversität Linz. Eine genuin interdiszipli­näre Definition des Gegenstandsbereichs scheint dabei ebenso zu fehlen wie eine Open-Source-Strategie – analysiert Barbara Eder. Sie hat außerdem einen größeren Blick auf die Zusammenhänge von Industrie und IT im Land geworfen, und darauf, was im Digitalisierungsdiskurs derzeit alles schief läuft.

Malen nach Zahlen zwischen: 1 = Digitalisierungshimmelblau und 4 = Wirtschaftsstandortschwarz

„Hacker sind wie Künstler: Wenn sie mor­gens gut drauf sind, stehen sie auf und ma­len ein Bild“ – so beantwortete Wladimir Putin beim Sankt Petersburger Wirtschafts­forum im Juni 2017 die Frage des DPA-Journalisten Peter Kropsch nach dem mög­lichen Einfluss russischer Hacker auf den deutschen Bundestagswahlkampf. Der gedachte Vergleich scheint mit Blick auf die aktuelle Stellenpolitik an österreichischen Universitäten nicht allzu abwegig: Mit einer „Visual Culture Unit“, angesiedelt am „Institute für Art and Design“, bemüht die TU Wien sich seit 2014 um die Erweiterung ihrer technischen Studiengänge, unter dem Etikett „Künstlerische Forschung“ präsentierte die Wiener Universität für Angewandte Kunst einige Jahre später eine „Open Hardware Summit“ mit angeschlossenem „Hacker-Space“ und die Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz (UFG) springt derzeit mit einer neuen Professur für Critical Data auf den Zug der Zeit auf. Am Güterbahnhof „MINT“ – sprich: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – gibt es viel Fördergeld zu holen, weshalb die Beteiligung am Wettrennen auch für Kunstuniversitäten lukrativ ist. Was genau gemeint ist, wenn deren Exponent_innen von „künstlerisch-wissen­schaftlicher Aufarbeitung mit internationaler Beteiligung“ sprechen und was es zu bedeuten hat, wenn dieses ambitionierte Unternehmen in kritischer Absicht betrieben werden soll, ist jedoch nicht immer transparent.

Digitalisierung ist nicht einfach nur nichts Neues – die Telefonie ist etwa seit Mitte der Neunziger Jahre digital –, sondern auch ein Phänomen, dessen soziale Effekte oft und falsch einschätzt werden. Demgemäß ist in aktuellen Calls zum Thema – so etwa dem von der Wiener Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler lancierten Fördertopf „Digitaler Humanismus“ und dem von der Arbeiterkammer Wien eingerichteten „Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0“ – auch von vagen Ahnungen die Rede – obwohl seitens der noch jungen Disziplin der STS – sprich: Science and Technology Studies – derzeit ebenso brauchbare Hypothesen zum Gegenstandsbereich formuliert werden wie von technischer Seite. „Indem wir die traditionsreichen geisteswissenschaftlichen Hochschulen unserer Stadt und die EntwicklerInnen neuer Informationstechnologien miteinander verbinden, wollen wir den Menschen wieder ins Zentrum technischer Innovation stellen“, bemerkte Kaup-Hasler anlässlich der Erstversion des Calls von 2019 – ein Programm, das Wien im Zentrum der „neuen Ära der Digitalisierung“ positionieren soll. Den sogenannten „EntwicklerInnen“ – und damit auch denen, die von namhaften Institutionen zwecks Umsetzung ihrer tollkühnen Ideen zugekauft werden – kommt dabei nicht selten der subordinierte Part zu und auch in Kunstkontexten verhält es sich kaum anders: Die Kräfteverhältnisse sind bei der Arbeit am „Digitalen“ schon im Vorfeld festgelegt, im Zuge der Arbeitsteilung daran bleiben die Geschlechterrollen – Frauen repräsentieren, Männer programmieren – auf erstaunliche Weise analog.

Something is rotten in this digital Age of Hope – und die Missverständnisse sind zahlreich. Wenn Kulturwissenschafter_innen – so etwa Sybille Krämer in ihrem Artikel für ORF-Science vom 7. 10. 2018 – von einer „Virtuellen Maschine“ sprechen, meinen sie damit nicht etwa eine Virtualisierungsumgebung mit Zugriff auf ausgewählte Ressourcen eines Host-Systems, sie sprechen von Metaphern; beim Kommunizieren über Disziplinengrenzen hinweg – die Autorin dieses Textes steht dabei nicht selten auf beiden Seiten der Front – ist ein derartiger Einsatz von Begriffen jedoch nicht unproblematisch; die frisch berufene Professorin an der Kunstuni Linz, Manuela Naveau, scheint dahingehend kaum den entscheidenden Un­terschied zu machen. Laut Presseaussendung vom 12. Oktober 2020 sieht diese sich als „Begleiterin von Studierenden, die sich mit den aktuellen Herausforderungen der Digitalisierung beschäftigen“ – ein löbliches Anliegen, bei dem „der Mensch als Garant für Zufälliges in digitalen Netz­werken“ angesehen wird. Die elegante Ale­a­torik in der Positionierung digitaler Subjekte mag imponieren, in einem Punkt ist sie so beliebig jedoch nicht: Nachdem Wien sich bereits vor zwei Jahren zur Hauptstadt des „Digitalen Humanismus“ erklärt hat, will die oberösterreichische Landeshauptstadt es dieser nun gleichtun.

Am 28. August hat Kanzler Kurz verkündet, dass Linz eine Technische Universität (TU) bekommen soll – ein Vorhaben, das mit notwendigen Investitionen in den „Wirtschaftsstandort Oberösterreich“ be­gründet wird, der seit jeher mit der Voestalpine Linz verknüpft ist. Der weltweit tätige Stahlkonzern ist nicht nur der größte CO2-Emittent des Landes, sondern seit rund zehn Jahren auch von massiven Umsatzeinbußen betroffen – ein Umstand, dem mit der Verknüpfung von „Industrie-Wei­terentwicklung und Digitalisierung“ an der neuen Linzer Ausbildungsstätte begegnet werden soll. Während der Rektor der Johannes-Kepler-Universität (JKU) Linz, Meinhard Lukas, sich von der Idee des Digitalisierungsstandorts Linz restlos begeistert zeigt, kommen die kritischen Stimmen vor allem aus dem Präsidium der Technischen Universitäten – so verkündete Harald Kainz, Rektor der TU Graz, dass Österreich mit drei technischen Universitäten ohnehin gut versorgt sei und zieht dabei die Verteilung in der Bundesrepublik heran, die in drei Bundesländern von der Größe Österreichs – Bayern, Baden-Württemberg und Hessen – über je maximal zwei technische Universitäten ver­fügt. Vorangetrieben wird das Vorhaben der Linzer Digitalisierungs-Universität maß­geblich durch Industriellenvereinigung (IV) und Wirtschaftskammer (WKO), bereits im Präsidium der Wiener FH Technikum haben diese ihre Vertreter_innen – nebst jenen von Kapsch und Schrak – großzügig postiert; in Linz wird künftig auch der Handelsverband mitmischen.

Bis auf Weiteres würde es nicht wundern, wenn die Kunstuniversität Linz nebst der von Gerfried Stocker im Zusammenspiel mit der neuen Critical-Data-Professorin Manuela Naveau jährlich veranstalteten Ars Electronica die sanfte Vorbereitung für die harten Lektionen der Industrie leisten sollte – von offener Partizipation und freier Entfaltung war auch im Zusammenhang mit Stadtteil-Gentrifizierungen oft die Rede, als deren Avantgarde und erste Vertriebene seit jeher Künstler_innen fungierten; in den hellen Gängen des Studiengangs „Interface Cultures“ breitet sich schon jetzt der „kreative“ Geist der Maschine aus – nicht selten in Form von dauerparlierenden Dosen und bewegungssensitiven IP-Kameras, die jeder HTL-Schüler hacken kann; währenddessen wird über Big Data lamentiert und von Naveau mitunter beklagt, dass „Konzerne mit ähnlich gearteten Produkten“ sich zusammenschlössen, „um ihre Datenbanken zu koppeln und so noch bessere Kundenprofile für punktgenauere Produktplatzierung zu erstellen“ – cookiegetriebene Herdenwerbung funktioniert anders und von Koppelungen dieser Art würde man vielleicht nicht so leichtfertig reden, wenn man etwas über das Tabellenformat hinter dem Interface wüsste. Relationale Open-Source-Datenbanksysteme wie MariaDB oder MySQL machten dieses Wissen transparent, stattdessen wurde das kunstuniversitäre Areal jedoch mit Geräten der Firma Apple ausgestattet und besticht bereits die Erstsemestrigen „intutiv“ – mit studentischen Rabatten auf die Laptops und Tablets desselben Konzerns. Ihnen wird vorgesetzt, was gekauft wurde und damit der Grundstein für eine oft lebenslange Kundenbindung gelegt, die in Künstlerkreisen nicht selten als Synonym für technische Kompetenz gilt – damit man auch in Zukunft noch kräftig zubeißen kann.

Nicht immer sind Hacker wie Künstler – im Gegensatz zum Großmogulen-System der Meisterklasse absolvieren sie den Akt der Selbstautorisierung nicht selten hinter dem Bildschirm oder mit Bleistift vor einem weißen Blatt Papier. „Nun weißt Du die Antwort gewiß, und ich habe sie dir nie gesagt. Bei dieser Vorgehensweise gibt es keinen Weg, dich in die Irre zu führen oder die falsche Antwort zu geben“, heißt es etwa gegen Ende der im Februar 1985 verfassten Einleitung zu George Spencer-Browns „Laws of Form“. Im Anschluss an die Explikation der logischen Grundlagen schließen die Leser_innen ganz ohne Lösungsheft. Tätigkeiten wie diese überlässt die „Kreative Klasse“ jedoch gerne anderen. Wenn Manuela Naveau sich wünscht, „dass sie“ – gemeint sind die Maschinen – „hin und wieder nicht oder anders laufen“, nimmt sie kritische IT-Infrastrukturen von dieser Forderung hoffentlich aus. Nicht Künstler, sondern Hacker aller Länder sorgen seit jeher dafür, dass der technische Dauerbetrieb in Krankenhäusern und Rettungsdiensten ohne Unterbrechung funktioniert. Von Digitalisierung reden derzeit jedoch jene, die ein Betriebssystem noch nie von innen gesehen haben. Und der Kuchen, den es zu verteilen gibt, ist von vornherein knapp.

ufg.ac.at

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About the author

ist Wissensarbeiterin, sie studierte Philosophie, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und Informations- und Kommunikationstechnologien in Wien, Berlin und anderswo, mehr: www.barbaraeder.org

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