Und, nein, es liegt nicht am warmen Wetter. Ich bin einfach nur so wie derzeit viele Menschen rund um mich müde. Alle schleichen wir mit dem gleichen erschöpften Gesicht um die Ecken, schauen uns an, lächeln und versinken wieder im reinen Funktionsmodus. Weil wir zu viel arbeiten? Oder auch ‚nur‘ beschäftigt sind? All die Großartigen da draußen, die seit Wochen an den Grenzen und an Bahnhöfen daran arbeiten, dass Geflüchtete nicht in der Kälte schlafen müssen. Das ist definitiv Arbeit, die geleistet wird. Arbeit, die jene auffängt, die Politiker_innen zu wenig wert sind. Auch Menschen wie A. arbeiten seit Wochen in Österreich. Der syrische Englischlehrer dolmetscht. Natürlich unentgeltlich. Weil er als Asylwerber nichts verdienen darf. Arbeiten schon. Obwohl viele wie ich bereit wären, ihn für seine Dolmetsch-Dienste zu bezahlen. Und er so dadurch eigenes Geld verdienen könnte. Unser Konzept von Arbeit & Asyl ist fürchterlich dumm. Im Zuge einer Diskussion über die unterschiedlichen Arbeitskonzepte und -begriffe in Österreich, erklärte kürzlich eine Bekannte eben jenem syrischen Lehrer den Begriff „Freiberuflichkeit“: „Weißt du, als Freiberufliche, da arbeitest du immer, bist niemals krank, und hast keinen Urlaub. Was nicht heißt, dass du nicht viel reist. Aber es ist kein Urlaub, es ist Arbeit. Freunde, die angestellt sind allerdings meinen, dass du ja eh nur dann arbeitest, wenn du Lust hast und die übrige Zeit unterwegs bist. Daran musst du dich gewöhnen. Krank sein kannst du dir nicht leisten, deshalb bist es auch nicht. Am Jahresende zahlst du einen Teil dessen was du verdient hast, an die SVA und einen anderen ans Finanzamt. Und dann fragst du dich, wo der Rest geblieben ist.“ Ich war erschüttert. Einerseits darüber, dass diese Beschreibung einem Asylwerber gegeben wird, dessen Situation an sich nicht gerade von einem Übermaß an Hoffnung geprägt ist; andererseits, und damit zurück zum Thema Arbeit und Müdigkeit, darüber, wie präzise sie 25 Jahre auch meiner Arbeitsrealität beschrieb. Mit luxuriösen Unterbrechungen wie ein echter Angestelltenvertrag inklusive Überstundenpauschale oder hybriden Ergänzungen wie die 14 Jahre als „ständige freie Mitarbeiterin“, mit deren Hilfe sich ein großes Medienunternehmen den Luxus gönnte, zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbare Journalistinnen zu sozialversicherungstechnisch (für das Unternehmen) besonders günstigen Konditionen am Werken zu halten. Da waren wir irgendwie angestellt und irgendwie doch nicht. Am 8. Dezember jedenfalls galten wir nie als Angestellte, wodurch es alljährlich zu durchaus von Sarkasmus geprägten Gesprächen kam, wer von uns „ständigen Freien“ wohl heuer die dienstgeberschonende Reportage über die Rechte von Handelsangestellten machen würde. Vorboten von Praxen, wie sie sich im Kultur- und Medienbereich etablieren. Da überbieten sich aktuell die Geschäftsführungen dabei, Konstrukte zu erfinden, um den Kostenfaktor Mitarbeiter_in – völlig egal, ob angestellt oder freiberuflich tätig – loszuwerden: am unelegantesten natürlich, indem man versierte Mitarbeiter_innen gegen Praktikant_innen ersetzt. Andere Strategien sind „Änderungskündigungen“, mithilfe derer Journalist_innen mit vielen Dienstjahren, guten Verträgen und ebensolchen Aussichten auf Pensionen und Abfertigungen wieder „günstiger gemacht werden“. Nicht alle akzeptieren dankenswerter Weise diese Praxis und so wechselten in den vergangenen Monaten etliche renommierte Kulturredakteur_innen in Österreich Medium oder Branche. Nicht alle aber haben die Chance zu wechseln. Sie akzeptieren also die Ketten-Verträge, die Kürzungen, die Golden Handshakes und (Alters-)Teilzeit „Angebote“, ganz einfach weil sie Angst haben. Angst aber ist klarerweise das Gegenteil von freier, mutiger und diskursfreudiger Kultur(politik)berichterstattung. Und genauso schaut die Medienlandschaft in Oberösterreich derzeit auch aus. Keep them busy. Beschäftigt halten mit Existenzängsten, unabhängig ob mit den eigenen oder jenen anderer. Das betrifft Kultur- und Medienarbeiter_innen zurzeit ebenso wie Sozialarbeiter_innen und die vielen Freiwilligen. Wir tun dahin, wir halten alles am Laufen, wir hinterfragen wenig. Dafür sind wir mittlerweile ohnehin viel zu müde.
Ich bin müde.
By Wiltrud Hackl / 1. Dezember 2015 / No Comments
- Published: 9 Jahren ago on 1. Dezember 2015
- By: Wiltrud Hackl
- Last Modified: Dezember 14, 2015 @ 7:24 pm
- Filed Under: Kolumnen
About the author
Wiltrud Hackl
wiltrud katherina hackl forscht zu und schreibt über konstruktionen von weiblichkeit und wasser und ist aktuell als universitätsassistentin an der kunstuni linz tätig, wo sie u.a. zu flüssen als orte der erinnerung lehrt. für ihr projekt „die flüssin“ sammelt sie geschichten von und mit flüssen. wiltrudhackl.com
Zufälliger Artikel
Notes on universal computationalism
What can encoded matter do? The text contributes to the AMRO22 DEBUG context. In this essay, GIA – the General Intelligence Agency (of Ljubljana) – tries to combine debugging as …
Bisher erschienen
Artikelarchiv
- Juni 2024
- März 2024
- November 2023
- August 2023
- Juni 2023
- März 2023
- Dezember 2022
- September 2022
- Juni 2022
- März 2022
- Dezember 2021
- September 2021
- Juni 2021
- März 2021
- Dezember 2020
- September 2020
- Juni 2020
- März 2020
- Dezember 2019
- August 2019
- Juni 2019
- März 2019
- Dezember 2018
- September 2018
- Juni 2018
- März 2018
- Dezember 2017
- September 2017
- Juni 2017
- März 2017
- Dezember 2016
- September 2016
- Juni 2016
- März 2016
- Dezember 2015
- September 2015
Galerie
Corpus Homini. Filmstill, BOXAFILM_printErika Gangls Stern ist mittlerweile Teil des Linzer Walk of Fem geworden. Foto Die ReferentinWer Schweinehochhäuser sieht, weiß unmittelbar, was mit Tierrechten gemeint sein muss. Dieses von 2011 aus Maasdorf/Südliches Anhalt wirkt aus heutiger Sicht beinahe harmlos. Foto Ralf Lotys (Sicherlich), CC BY 3.0Corpus Homini. Filmstill, BOXAFILM_printSonja Stojanovice und Udasi in Controller? Foto Ralf PetersenFestivalkommunikation der Reisegruppe Z. ScreenshotDie Treppe runter in die verruchten Räume. Foto Ralf PetersenFoto Die ReferentinFestivalkommunikation der Reisegruppe Z. ScreenshotEindruck vom 1. LGBTIQ*-Forum. Foto Stadt Linz, SturmFestivalkommunikation der Reisegruppe Z. Screenshot@ WellFestivalkommunikation der Reisegruppe Z. ScreenshotMichael Rakowitz, The invisible enemy should not exist, 2018. Courtesy of the artist and Galerie Barbara Wien/Berlin Foto Nick AshOliver Laric, Sleeping Figure, 2023. Foto Cédrick EymenierFoto Die ReferentinDarum geht es: um die künstlerische Arbeit Billige Winterfrische, Filmstill© Terri FrühlingErika Gangl im Rahmen des Stücks: Überall ist Babylon, 1978. Foto Alfred PeschekArbeitsgerät im Zoo-Schmiding. Foto GeroFestivalkommunikation der Reisegruppe Z. ScreenshotFestivalkommunikation der Reisegruppe Z. ScreenshotFestivalkommunikation der Reisegruppe Z. ScreenshotGoldhaube Florian Sedmak hat über Dickschädel Anton Bruckner geschrieben. Foto Robert MaybachFoto Caterina ZurzoloDie Eröffnung des österreichischen Pavillons am 8. April. Foto Herta GurtnerCorpus Homini. Filmstill, BOXAFILM_printSonja Stojanovice und Udasi in Controller? Foto Ralf PetersenEs hat bei der Eröffnung Flugblätter geschneit.Festivalkommunikation der Reisegruppe Z. ScreenshotFestivalkommunikation der Reisegruppe Z. ScreenshotAusstellungsansicht des Re:Works am futuristischen Manifest. Foto Jakob Dietrich/Kunstraum MemphisNeueste Kommentare
- Johannes Magauer bei Wandel unter weiblichen Werten
- Johann Jascha bei Memphis in Linz
- Rainer Ostendorf bei Die Fetische der Chrystal Tesla
- Wiltrud bei Vom gesehen werden und zählen lassen.
- Klaus Buttinger bei Vom gesehen werden und zählen lassen.
Veranstaltungstipps
- Villa Karbach – Wie der Skurrealismus in die Welt kommt
- 18/05/2024 - 29/09/2024
- Traunkirchen
- Margit Palme: Der Blick
- 24/05/2024 - 18/08/2024
- Linz
- Das Leben der Dinge. Geraubt – verschleppt – gerettet.
- 01/06/2024 - 01/09/2024
- Lauffen bei Bad Ischl
- Galerie im Glashaus & Kunst im „Otter am Markt“
- 01/06/2024 - 01/09/2024
- Klimaachse Linz
- 01/06/2024 - 31/12/2024
- alle Veranstaltungen anzeigen
- Villa Karbach – Wie der Skurrealismus in die Welt kommt
Aktuelle Ausgabe
Die Referentin #36
Juni/Juli/August 2024
[durchblättern]
[download PDF]
Die nächste Ausgabe der Referentin erscheint am 30. August 2024-
Beiträge
- Editorial
- Professionelle Körperbeziehungen
- Re: FUTURE (draft)
- Überall Fremde = Überall Heimat?
- Linzer Leichtigkeiten #4:Festhängen in der Käsleberkässchleife – die Spritzerpartei.
- Dahoam! vs. fort?
- Was ist Sirup?
- SLWDD/BRKFST@SKGT24
- Leben die Dinge noch?
- Eingeladen, ausgeladen, Themenverfehlung?
- Bruckner schon wieder …
- Linzblick
- Well’s Bruckner Re-Animated
- Das ersteLinzer LGBTIQ*-Forum
- Der Tag, an dem man mich aus einer Ordination rauswarf
- Die kleine Referentin
- Erika Gangl und der Neue Tanz in Linz
- Linz blickt
- Veganarchismus
- Das Professionelle Publikum
AutorInnen
Tanja Brandmayr
Autor
ist unter anderem Autorin, Künstlerin und Redakteurin der Referentin.
Links