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Das dunkle Dokuversum …

By   /  1. März 2016  /  No Comments

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… der Filmemacherin Helena Třeštíková kommt bald ins Kino: Tschechisches Filmschaffen beim Crossing Europe Filmfestival in Linz. Die Prager Filmemacherin ist heuer Tribute-Stargast. Pamela Neuwirth hat vorab Einblick in vier ihrer Dokumentarfilme genommen – und absichtlich das Ende ausgespart. Es besteht also garantiert kein Spoiler-Alarm für die LeserInnen der Filme-zu-Ende-gesehen-Kino-Vorschau. Ganz im Gegenteil: Es gibt stattdessen persönliche, fragmentarische Bilder zum Film jeweils am Ende.

Renè
(90 Minuten, CZ 2008)

Mit „Liebe Helena“ wird Renè jeden Brief beginnen. „Liebe Helena“ schreibt er weit über eine Dekade an die Filmemacherin, die dieses Leben begleitet, das sich trotz der vordergründigen Verbrecher-Biografie erst langsam entfaltet. Renè ist der große Verlierer ohne doppelten Boden, dessen Geschichte ohne den gesellschaftlichen Hintergrund unverständlich bleibt. Wer ist Renè, außer ein Berufsverbrecher, den er auf den ersten Blick verkörpert? Die klassischen Codes der Gefängnistätowierungen überziehen die Haut, wobei das mächtige „Fuck Off People“ an der Kehle des Helden platziert, nie Code war, sondern immer Ansage ist. Seine Antwort auf die Härten der Justiz, auf die Umbrüche einer Gesellschaft vom Kommunismus in eine kapitalistische Gesellschaft, auf ein Gefüge, indem er relativ wenige Chancen aufgefunden hat. Es war der sprichwörtliche Rand der Gesellschaft, an den man ihn ohne große Wahl und Mittel gestellt hatte. Die Kamera begleitet Renè, der seine kleineren und größeren kriminellen Vergehen in unterschiedlichen Gefängnissen absitzt. Helena Třeštíková zeichnet eine Anatomie der Einsamkeit auf: begleitet seine Prozesse vor Gericht, Gefängniszellen, leere Gänge, die immer gleiche Wiederholung panoptischer Architektur. Als Renè während eines raren Moments in Freiheit mehrere Wohnungen ausraubt, darunter auch die von Třeštíková, brechen nach der schlimmen Episode Kontakt und Langzeitfilmprojekt nicht ab. Und Renè schreibt, wieder: „Liebe Helena“. Und wir erleben, wie aus René Plášil ein Schreibender wird. Es ist ein Schreiben, das aus der Härte kommt. Schreiben am Klo. Dass dieses Schreiben von sentimentalen Melodien der Schlagersängerinnen, die im Staatsfernsehen flimmern, zersetzt wird, verleiht dem Film eine Brüchigkeit, die den Einstieg in die Tiefe seines Leidens und seine Kreativität erlaubt.

Der eiserne Vorhang ist Geschichte, Google wird erfunden, Mobiltelefone kommen auf den Markt, dann war da noch 9/11 und die ersten Facebook-Profile werden ins Internet gestellt. Das tat sich, während René nur wenige, kleine Zeitfenster in Freiheit erlebte.

Marcela
(82 Minuten, CZ 2006)

Ohne das Filmende zu kennen, soll hier verraten werden, dass der Film mit einer schon älteren Marcela eröffnet wird. Sie sitzt im Zug und lässt Stationen ihres Lebens Revue passieren. Reflektiert; und mit Marcelas Erzählstimme kommen die privaten Filmaufnahmen ins Bild, sie sind vom Alter im Farbton schon leicht ocker, eben wie sie der Onkel Konrad auch aufgenommen hätte bei den Familienfeiern. Festgehalten werden die fröhlichen Rituale der Hochzeit von Marcela und Jiri. Das erste Kind. Sonnige Tage an der Trabrennbahn. Marcela und Jiri, das vermählte Paar bespricht vor der Kamera ihre Probleme mit dem Wohnen, wo die Jungen sehr lange bei den Alten wohnen bleiben, wo sich die Parteien eines Wohnblocks für gewöhnlich die Toiletten teilen. Schlaglichter in das sozialistische bürokratische System. Die Kamera bleibt bei Marcela, als diese sich von Jiri trennt. Wieder Schlaglichter auf die Beengtheit der Wohnsituation. Unterbrochen dann nur vom harten Klang der Bürokratie, wenn das Gericht die Scheidung von Marcela und Jiri mit lauten Tastenschlägen protokolliert. Gefolgt vom harten Klang des Protokolls, wenn beide vor Gericht um das Sorgerecht des Kindes streiten. Die Sozialreportage tritt spätestens hier deutlich zu Tage. Marcela übersteht einen längeren Krankenhausaufenthalt. Sie nimmt eine Stelle bei der Post an. Und sie verlässt immer seltener die Wohnung, auf die sie jahrelang gewartet hat. Marcela verfällt phasenweise in Agonie – aber da ist noch das Kind. Als die Kamera Marcela und Jiri später beim gemeinsamen Gespräch am Küchentisch filmt, geht es hin und her, wie beim Tennis, wenn das geschiedene Paar die Ursachen seines Scheiterns erörtert. Wo Marcela ein etwas resigniertes „Like we used to say: It’s fate, isn’t it?“ in den Raum stellt. Wir haben uns, wie erwähnt, das Filmende für das Crossing Europe Filmfestival aufgespart. Der Film lief schon längst im tschechischen Staatsfernsehen.

Die Sozialreportage erzählt von Vogerl-Tanz, Erwachsenwerden und den Fallstricken des sozialistisch organisierten Wohnmodelles.

Mallory
(90 Minuten, CZ 2015)

Mallory ist eine Expertin, die Spezialistin der Straße. Dort, auf der Straße, wird sie einmal nachts auf der Brücke einen berühmten tschechischen Schauspieler treffen mit dem sie stundenlang durch den Regen wandert. Er ist es, dem sie nach einer langen Zeit einen Brief schreiben wird. Sie erzählt ihm, wie wichtig ihr zufälliges Treffen, damals in dieser einen Nacht war, wo sie – Mallory – den Tiefpunkt erreicht hatte. Sie wird nicht enden wie viele ihrer Gefährten, deren Grab sie besuchen wird, die Ex-Drummer in Metal-Bands, die Männer, denen sie nachweint (und die das wirklich nicht verdient haben). Helena Třeštíková begleitet auch dieses Leben über viele Jahre, dokumentiert das Leben Mallorys auf der Straße, wie sie im Autowrack wohnt, zeichnet die zahlreichen Versuche vom Heroin wegzukommen auf. Mallory fällt nicht noch tiefer, sondern findet im bürokratischen Labyrinth von Sozialhilfe und Arbeitsamt ihren Weg, obwohl sie dort wie alle anderen eine Nummer ist und hören wird, dass sie mit 40 Jahren zu alt ist. Dann drückt sie wieder die Schulbank, es sind bizarre Szenen, wenn Mallory in anderen Worten lernt, was sie längst weiß. Vor dem Hintergrund des Protests der Subkulturen der späten 1980er Jahre in der zusammenbrechenden Tschechoslowakei, entspinnt Třeštíková ein Kaleidoskop der Straße.

Mallory ist ein Name, der wie eine Melodie klingt. Diese tönt zwar im Leben der Heldin durchwegs dissonant, wird sich aber mit ihr doch immer für Momente in die Lüfte erheben.

Katka
(90 Minuten, CZ 2010)

Was Tereza einmal über Katka denken wird, wissen wir nicht. Aber wir wissen, es war Katkas Traum ein Kind zu haben und selbst Mutter zu sein. Es ist ein großer Traum, der zwischen Kingdom Heroin, den Entzugskliniken und den bewohnten Abrisshäusern und verlassenen Zuggleisen Wirklichkeit wird und wenig überraschend zum Alptraum gerät. Die Kamera trifft Katka schon als Teenager, da schreibt sie noch, weil sie über ihre Kindheit nicht reden will. Sie geht als junge Frau nach Prag. Jeder neue Schuss bedeutet ein lebensgefährliches Risiko und trotzdem bleibt sie dabei, kommt mit ihren Männern Ladis und Roman von den Drogen nicht los. Am Anfang sind es noch kleine Diebestouren in der Stadt, das ist ein richtiger Brotberuf fürs Heroin, werktags 9 to 5. Als Teile der Reportage über Katka einmal im tschechischen Fernsehen zu sehen sind, wird sie danach auf der Straße erkannt; ihr selbst scheint zu dem Zeitpunkt bereits längst alles entglitten zu sein. Es folgt später dann doch noch der Weg in die Prostitution, um den cold turkey unter allen Umständen zu vermeiden. Hepatitis A und B werden bei ihr getestet. Auch ihre vielen Versuche in Ämtern doch noch irgendeine Chance zu bekommen, scheitern. Es sind ihre angestrengten Einsätze für einen Plan, der Katka selbst unbekannt ist. Katka träumt mit 25 Jahren ihren Traum, der hört ja nie auf, sagt sie der Kamera.

Im Laufe der Jahre sehen wir wieder und wieder Katkas schönes Gesicht in Spiegeln, die immer kleiner, brüchiger und zersprungener werden. 

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denkt im Radio und in anderen Räumen.

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